Der Angeklagte vor dem Richter - links der Sachverständige Der Angeklagte vor dem Richter - links der Sachverständige
12 Juni 2013

Freispruch Ottenalm Unfall

Der Prozess im Zuge des Klettersteigunfalles auf der Ottenalm brachte einen klaren Freispur für den angeklagten Klettersteiggeher - die Zusammenfassung des Gerichtsverfahrens

Rückblick - August 2012: Auf der Ottenalm im Bezirk Kufstein (Tirol) auf dem Diretissima Klettersteig passiert das bis dato für unmöglich gehaltene. Zwei Personen begehen einen Klettersteig, eine Person stürzt in das Klettersteigset und beide korrekt eingehängten Karabinerschlingen reißen ab, es kommt zum Totalabsturz eines der beiden Kletterer. Der zweite Kletterer wird wegen "Führung aus Gefälligkeit" und der damit verbundenen fahrlässigen Tötung angeklagt.

Die Verhandlung beginnt mit der Befragung des Angeklagten. Intensiv wird nach seiner alpinistischen Ausbildung geforscht. Er gibt an, erst drei Klettersteige gemacht zu haben, seine "Kletterausbildung" beschränkt sich auf einen Top-Rope-Kurs in der Kletterhalle (als Teilnehmer), Ausgleichsverankerung und Standplatzbau kann er nicht korrekt durchführen. Der Angeklagte kennt das Opfer nur flüchtig, weil sie im selben Gasthof wohnten. Am Vorabend des Unfalls wurde spontan beschlossen, dass man zu den Klettersteigen an der Ottenalm geht - die genaue Tour wurde noch nicht gewählt.

Laut Zeugenbefragung der Mutter des Verunfallten hat der Angeklagte den Satz "Es ist ganz easy, in wenigen Stunden bringe ich dir deinen Sohn wieder retour." getätigt. Die Stimmung im Gerichtsaal ist gedrückt, man spürt, dass der Mutter der Verlust ihres Sohnes sehr nahe geht. Weiters gibt die Mutter an, dass ihr Sohn Dachdecker und sportlich sehr aktiv (Leistungssportler in der Handball Oberliga) war. Die Klettererfahrung des Verunglückten beruht auf einen Tag "Erlebnisklettern" mit seinem Handballteam in einer Kletterhalle.

Als nächstes wird der Wirt von der Ottenalm befragt. Dieser gibt an, drei Tage zuvor noch mit den Klettersteigsets unterwegs gewesen zu sein, er konnte dabei keinen Mangel feststellen. Wie sich später an Hand des Gutachtens aufklären wird, waren alle Klettersteigsets der Ottenalm nicht mehr sicher (nicht erkennbarer Produktionsfehler). Die Frage nach der Klettersteigerfahrung des Wirtes sorgt für Erheiterung im Gerichtssaal: "Na ja, kenna tu I nur die drei Klettersteig auf meiner Alm - den leichten bin I sogar schon ohne Sicherung klettert".

Wieder zurück zu den beiden Kletterern: Sie fuhren nach Angaben des Angeklagten gemeinsam hinauf zur Ottenalm. Dort wurde das Klettersteigset, der Gurt und ein Helm ausgeliehen. Das Klettersteigset war schon korrekt mit dem Gurt verbunden. Die Auswahl, welche Tour gemacht wird, wurde erst anhand der Toposkizze bei der Almhütte bzw. später am Einstieg gemeinsam getroffen. Ein Überreden des Verunfallten durch den Angeklagten konnte nicht festgestellt werden.

Der Angeklagte sagte lt. seinen Aussagen zum Verunfallten, dass er versuchen sollte, viel mit den Füssen zu steigen um Kraft zu sparen. Der Angeklagte entschied sich, vorauszuklettern und beobachtete den später Verunfallten an der D/E Stelle gleich nach dem Einstieg. Der Verunfallte meisterte diese Stelle und zwei viel weiter oben liegende D/E Stellen (höchste Schwierigkeit dieses Klettersteiges) gut und klagte auch nicht, überfordert zu sein. Einzig Blasen an den Fingern wurden an einer Rastposition versorgt, weil der Verunfallte keine Klettersteighandschuhe trug.

Nach einer leichten Querung, dem sog. Besenquergang, bei einer D-Stelle, bei der der Verunfallte zurückklettern und erneut ansetzen musste, passierte das Unglück. Der Verunfallte soll ohne Vorwarnung ins Klettersteigset gestürzt sein, "er fiel dann bis zur Verankerung und dann einfach immer weiter und weiter hinunter" gab der Angeklagte an. Im Gutachten des Alpinsachverständigen wurde festgestellt, dass an dieser Stelle gute Tritte vorhanden waren.

In der Beweisführung durch die Staatsanwaltschaft wurde weiters vorgebracht, dass der Angeklagte kein Sicherungsseil mitführte und dieses somit auch nicht anwenden konnte. Versucht wurde weiters, eine Überredung durch den Angeklagten und eine größere Verantwortung durch mehr Erfahrung zu beweisen. Auch wurde die Tourenbeschreibung auf bergsteigen.at verlesen, auf der bei Ausrüstung zu lesen ist: "Kompl. Klettersteigausrüstung und Helm. Für Kinder und Anfänger Sicherungsseil". Dem Gegenüber steht aber die Klettersteigpublikation der alpinen Vereine und der Bergrettung, in denen bei Ausrüstung nur Helm, Klettersteigset und Gurt empfohlen wird (als Notfallausrüstung Verbandszeug und Handy). Weiters führte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer intensiv den Punkt 2 der 10 Empfehlungen der alpinen Vereine an: "Das Ziel den persönlichen Voraussetzungen anpassen." - der Angeklagte hätte sich nicht daran gehalten.

Freispruch wegen "Null Klettersteigerfahrung" durch Richter Hofer

Richter Hofer - welcher den Klettersteig sogar selber geklettert ist, um sich besser mit der Ortlichkeit vertraut zu machen - sprach den Angeklagten frei. Begründet wurde dieser damit, dass der Angeklagte mit nur drei Klettersteigen "Null Klettersteig-Erfahrung hat und im Grunde selber froh sein konnte, diesen Klettersteig unfallfrei überstanden zu haben". Eine Überredung des Verunfallten durch den Angeklagten konnte nicht nachgewiesen werden, beide haben das Ziel gemeinsam ausgesucht. Die sehr aktive sportliche Betätigung und der Beruf Dachdecker lassen Schlüsse auf die zumindest physische Eignung des Verunfallten zu.

Zum Kernthema für die Klettersteigszene, die nötige Verwendung eines zusätzlichen Sicherungsseils, wurde ausgeführt. Der Angeklagte hatte kein Wissen über die Handhabung der Seilsicherung und den Standplatzbau, eine nicht korrekte Seilsicherung wäre vielleicht noch gefährlicher gewesen (da bei Seilsicherung das Klettersteigset oft nicht eingehängt wird, Knoten, Sicherungsablauf und Standplatz könnten fehlerhaft sein). Folglich könne man dem Angeklagten die fehlende Seilsicherung auch nicht zur Last legen.

Wäre der Punkt Seilsicherung vom Richter anders beurteilt worden, hätte das gravierende Auswirkungen für den Klettersteigsport gehabt! Alle schwächeren Partner müssten in Zukunft auf Klettersteigen mit einem Seil gesichert werden. Der Richter führte weiters aus, dass Seilsicherung bei Schwächeren nur von ausgebildeten Führern (Führungstour, Tour mit Instruktor) angewendet werden müsse.

Die Ursache des Totalabsturzes - das fehlerhafte Klettersteigset - konnte der Beklagte beim besten Willen nicht vorhersehen, da sogar der Gutachter beim Lesen in der Zeitung ("dass ein Klettersteigset gerissen sei") anfangs an eine Falschmeldung glaubte. Wenn der Schlingenriss nicht einmal von einem Alpinsachverständigen anzunehmen war, wie dann vom Angeklagten, welcher über keine technische Sachkenntnis verfügte? Folge dieses traurigen Unfalls war bekanntlich die größte Rückrufaktion in der Bergsportgeschichte - zahlreiche Hersteller musste ihre Klettersteigsets zurückrufen.

Wir haben uns die Verhandlung angehört und waren erstaunt, wie schnell es gehen kann, wegen fahrlässiger Tötung vor dem Richter zu stehen. Man denkt an sich selbst und überlegt, ob man als Führerautor, Bergretter mit solider Alpinerfahrung und guter seiltechnischer Ausbildung überhaupt noch mit vermeintlich Schwächeren eine Klettersteigtour unternimmt. Schon allein der Gedanke an die Begleiterscheinungen (aufwendiger Prozess, Anwaltskosten - die vermutlich nur zum Teil ersetzt werden und die persönliche Belastung) lassen einen kurz zusammenzucken.

Bergführer und Instruktoren mit Schwächeren am Seil

Das Urteil dürfte auch für Bergführer und Instruktoren bei Klettersteigführungen interessant sein. In einem Telefonat wurden wir schon darauf angesprochen: "Bei uns geht ein Bergführer mit acht Gästen den Klettersteig - wie soll er da noch Schwächere sichern....". Man darf gespannt sein, wie sich das in Zukunft entwickelt, mit dem ungebrochenen Klettersteigboom steigen auch die angebotenen Führungstouren rasant an.

Anm.: In der Zeitung wurde geschrieben, dass der Hersteller des Unfall-Klettersteigset's (Edelrid) auch Ansprüche an den Angeklagten stellt - das stimmt so nicht ganz. Die Forderungen wurden vom Versicherer der Herstellerfirma erhoben, nicht aber von der Firma direkt. Nach dem mittlerweile rechtskräftigen Freispruch hat sich das aber vermutlich erübrigt.


Tourenbeschreibung: Tourenbeschreibung Ottenalm Direttissima



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