Robert Jasper in Sperrzone M9, E5, 287m; Foto: Klaus Fengler Robert Jasper in Sperrzone M9, E5, 287m; Foto: Klaus Fengler
28 Februar 2006

Mixed Bigwall - Sperrzone M9, E5, 287m

Sperrzone M9, E5, 287m - Robert Jasper und Markus Stofer gelingt die Erstbegehung des Staubbachwasserfalles im Berner Oberland.

Im Februar 2006 gelang dem deutschen Extrembergsteiger und Eiskletterer Robert Jasper und seinem Kollegen Markus Stofer aus der Schweiz die erste Besteigung des berühmt-berüchtigten Staubbachwasserfalles im Lauterbrunner Tal.

Berühmt wurde der Staubbachwasserfall, schon lange bevor das Eisklettern erfunden wurde, als einer der höchsten und spektakulärsten Wasserfälle der Alpen. Bereits 1799 reiste Johann Wolfgang von Goethe an, um die 287 Meter frei abstürzenden Wassermassen im Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ zu beschreiben. Dass das Lauterbrunnertal ein Juwel in Sachen Eisklettern ist, war mir schon länger klar. Ob der bedeutendste der 72 Wasserfälle, der des Staubbaches, kletterbar sein würde war jedoch sehr unklar.

Herausforderung Mixed Bigwall

Auf der Suche nach neuen Herausforderungen kam mir die Idee den Staubbach als Mixed Bigwall mal näher unter die Lupe zu nehmen. Der untere Teil, reine Eiskletterei im Bereich WI 3-5, sah zwar nicht wirklich schwierig, dafür aber eher gefährlich aus. Aufgrund der vielen Eiszapfen die wie Torpedos am oberen Wandrand hängen und zum Überfluss auch noch Mittagssonne abbekommen musste man hier sehr schnell sein. Das grosse Fragezeichen der Route war die stark überhängende Felszone in der Mitte und die riesigen Eispilze am Ausstieg. Selbst bei minus 15°C schoss noch eine dicke Wasserfontaine hinunter ins Tal.

Anfang Februar war es dann so weit. Die erste Erkundung verlief aber nicht sonderlich erfolgreich. Wir hatten fünf Eisseillängen unter uns und gerade als Markus die zwei Bolts für den Stand in den brüchigen Schieferkalk gebohrt hatte, verabschiedete sich unsere Bohrmaschiene, begleitet von etlichen Flüchen, in die Tiefe. Es blieb nur der Rückzug!

Bohrmaschine überlebt 180 m Sturz

Zu meiner grossen Überraschung holt Markus sie aus der Eisschlagzone und nach ein paar Funken und etwas Rauch lief sie wieder einwandfrei. Das nach dem 180 Meter Fall, unvorstellbar!

Mühsame Tage in der Wand

Die nächsten Tage in der Route waren sehr mühsam. Die Kletterei war schwierig. Aber vor allem der Fels in Bhagirathi III Qualität (=absoluter Bruch), verhindert ein schnelles Vorwärtskommen. Absolutes Highlight war hier der sogenannte „dirt 10 pitch“, ein 30 Meter Quergang, zwar nur M7+, aber das dreckigste was man sich vorstellen kann. An einer Stelle trifft man im Schieferbruch sogar noch auf Schwefelablagerungen. Nur im gefrorenen Zustand ist das klettern zu verantworten. Auch so wurden unsere edlen Gore Tex Klamotten arg in Mitleidenschaft gezogen.

Durch interessante Linienführung konnten wir die stark überhängende Zone überlisten. Nach zwei sehr interessanten und anspruchsvollen Drytooling Seillängen in bedeutend besserem „Korallenriff-Fels“ erreichten wir die Eisbalkone. Mit gemischtenGefühlen liessen wir die Bohrmaschine und das schwere Material am Stand hängen, der Wetterbericht versprach anhaltende Kälte, und ein paar Tage später wollten wir weitermachen. Dass Eis sehr schnell schmelzen kann ist einem als Eiskletterer besonders bewusst, aber es war ein so mühsames Unterfangen, immer wieder das gesamte Material von unten herauf zu zerren.

Starker Föhn bringt Probleme

Als wir dann ein paar Tage später, früh um sechs, mit den Stirnlampen am Einstieg standen, trauten wir unseren Augen nicht. Der aufkommende Föhn war im Tal schon zu spüren. Der Wind blies den Wasserstrahl 50 Meter talaufwärts, genau auf unsere Route. Das Wasser lief uns in die Ärmel und schon nach der ersten Seillänge waren wir durch und durch nass. Dass es so zu gefährlich war, weiter hinauf zu steigen, war uns klar. Um nicht Gefahr zu laufen, die Bohrmaschine erst im nächsten Winter bergen zu können, versuchten wir noch am selben Tag von oben an die Umkehrstelle abzuseilen. Dazu mussten wir aber noch eine Bohrmaschine und Bolts organisieren. Dies gelang uns überraschenderweise (samstagmorgens um 8 Uhr!) dank einem guten Freund in Interlaken.

Wieder zurück im Tal ereichten wir die Ausstiegszone über einen Wanderweg. Sperrbänder und Verbotstafeln wiesen auf ein Betretungsverbot hin. Angeblich wegen Steinschlaggefahr für den Wanderweg unter dem Wasserfall. Das gilt wohl nur für den Sommer, da im Winter der natürliche Eisschlag viel massiver war als die paar Brocken Eis die einer oder auch viele Kletterer je in die Tiefe beförderten hätten können. Weiter hiess es: „Basejumping ist strengstens Verboten!“ Das brachte es wohl eher auf den Punkt.

Den ersten Absprung mit dem Schirm wagte Xavier Bongard, der auch als Alpinist und Eiskletterpionier Geschichte schrieb, und ein paar Jahre später ebendort ums Leben kam. Seither ist der Staubbach als Basejumpspot sehr beliebt. In den folgenden Jahren passierten etliche tödliche Unfälle. Die Bevölkerung hatte es verständlicherweise satt, dass ständig in ihre Gärten gesprungen wurde. Vor allem wenn ab und zu der Schirm nicht aufging.

Die Busse von 100 Schweizer Franken, die kostenmässig in etwa mit dem Fallenlassen einer Eisschraube gleichkommt, überzeugte uns aber nicht wirklich. Bei den milden Temperaturen war aber auch der Versuch, unseren Umkehrpunkt durch Abseilen wieder zu erreichen und das Material zu bergen, zu gefährlich. Wir ergaben uns dem Schicksal der Eiskletterer, dass der Traum auch sehr schnell wieder zu Wasser zerfliessen kann. Immerhin konnten wir noch die letzte schwere Mixedlänge von unten eröffnen.

Es wird wieder kälter

Ein paar Tage später war es wieder deutlich kälter. So um die minus acht Grad, was für den Staubbach aber immer noch fast zu warm ist, da die Mittagssonne gefährlich aufwärmt und das viele Wasser ein Abschätzen der Eisschlaggefahr fast unmöglich macht. Trotzdem versuchten wir den kompletten Rotpunktdurchstieg von unten.

Im Stirnlampenlicht durch die erste Eisslänge, Routine! Nach zwei Stunden hatten wir die fünf Seillängen des Eisteils schon hinter uns gebracht. Alles lief wie geplant, bis ich plötzlich den Ausstiegszapfen in der Grösse eines Einfamilienhauses an uns vorbeifliegen sah. Grosser Eisschlag war in der Mittelzone des Staubbaches zwar nicht neu für uns. Oft hatte man den Eindruck, dass der gesamte Wasserfall zusammenstürzen würde, solch einen Lärm machten riesige abbrechende Stücke. Dementsprechend hatten wir auch mit grösster Vorsicht die am sichersten kletterbare Linie gewählt.

An diesem Tag konnten wir alle Seillängen unseres Mixed Bigwalls bis auf die letzte Ausstiegslänge rotpunkt klettern. Die letzte Seillänge, eine sehr schöne M8-, bei der man an einen freihängenden Zapfen klettert und über nochmals schwieriges Eis den Ausstieg erreicht war beim Einrichten nicht mehr das Problem gewesen. Ohne das Eis, es fehlten ca. 20 Meter, waren wir in der Sackgasse. Zum Glück hatten wir weiter unten ein Quergangseil für den Rückzug hängen lassen. So schafften wir die Abseilfahrt bei hereinbrechender Nacht. Unsere Stirnlampen konnte man von Lauterbrunnen aus gut als tanzende Lichtpunkte erkennen. Man fragte sich im Tal sicher, was für Verrückte da wohl am klettern seien.

Erfolg in der letzten Seillänge

Drei Tage später, es war immer noch zu warm für einen neuen Versuch ganz von unten, entschieden wir uns für eine Fotosession mit Klaus Fengler, unserem Fotografen.

Von oben seilten wir hinunter bis zum Ende des „Dirt-10 Querganges“ und kletterten beide den gesamten oberen Teil erneut rotpunkt. Der Ausstiegszapfen war in den drei Tagen unglaublich gewachsen und wieder kletterbar. Von M8- bis Unmöglich, und nun ca. M9-. Das alles in einer Woche. Da wurde uns mal wieder die rasche Veränderung der Schwierigkeiten beim Eisklettern so richtig bewusst.

Am nächsten Tag noch mal dasselbe Spiel. Klaus hatte schon fast alles im Kasten. Schlussendlich zum x-ten Mal die verflixte letzte Seillänge. Das Eis war so durchnässt, dass ich nichts mehr anbrennen lassen wollte und nur ein paar Meter auf den Eiszapfen und dann wieder zurück zum sicheren Bohrhaken kletterte. Dann liess mich Markus wieder zum Stand herab. Gerade im Moment als ich das Band ereichte, brach der gesamte Zapfen von selbst ab und schlug wie eine Bombe eineinhalb Meter neben mir ein. Wie durch ein Wunder blieb ich unverletzt . Ein deutliches Zeichen, dass wir schon viel zu viel Zeit in der Sperrzone verbracht hatten.

Text: Robert Jasper; Fotos: Klaus Fengler

Hardfakts Sperrzone

Länge: 330 Meter

Wandhöhe: 287 Meter

Ort: Lauterbrunnertal; Berner Oberland, CH

1. Begehung Robert Jasper & Markus Stofer in 5 Tage, Februar 2006

Schwierigkeit: 12 Seillängen bis M9, E5, rotpunkt

1SL. WI 4+; 2SL. WI 5+; 3SL. WI 3; 4SL. WI3; 5SL. WI4+; 6SL. M8; 7SL. M7+; 8SL. M8; 9SL. M9; 10SL. M8; 11SL. M8-/9-;

12.SL.WI1-2.

Material: 50 Meter Doppelseil, Eisausrüstung und Friends Grösse 0,5- 3, alle nötigen Felshaken vorhanden.

Achtung: Die Route ist objektiv sehr gefährlich! Die Beurteilung der objektiven Gefahren wie z.B. Eisschlaggefahr

nur schwer möglich! Nur bei sehr kaltem und windstillem Wetter einsteigen! Achtung auf Mittagssonne.

Rückzug ab Seillänge 7 schwierig.

Webtipp: Robert Jasper



Kommentare

Neuer Kommentar
Zum Verfassen von Kommentaren bitte anmelden oder registrieren.