18 August 2004

Ewiges Eis - 586 KM ENDLOSIGKEIT

Vier Bayern durchquerten Grönländisches Inlandeis - Nach 33 Tagen und fast 600 Kilometern erreichte sie die grönländische Ostküste.

586 KM ENDLOSIGKEIT

Die bayrische Expedition mit dem Namen ?Horizonte 2004? erreichte ihr Ziel und durchquerte in 33 Tagen das Grönländische Inlandeis. Expeditionsleiter Hayo Wolfram, Günther Hanisch, Hubert Domscheit und Florian Geiger durchquerten die größte Insel der Welt von Kangerlussuaq im Westen hinüber nach Isortoq an der Ostküste. Insgesamt legten sie 586 Kilometer zu Fuß auf Skiern zu zurück. Einziger Wermutstropfen: Hubert Domscheit musste sich am zehnten Tag wegen einer Zahnentzündung vom Eis ausfliegen lassen. Mittlerweile sind alle Vier wohlbehalten zurück in der Heimat und genießen die sommerlichen Temperaturen.

Perfektes Team zusammen gewürfelt

Den Traum von der Grönland-Durchquerung trugen die vier Freunde aus Oberbayern lange mit sich herum. Hayo Wolfram, 33, und Günther Hanisch, 32, waren schon zuvor auf Grönland und hatten sich in die Arktis verliebt. Sie begeisterten dann ihre Freunde Flo Geiger und Hubert Domscheit, beide 32, für die gemeinsame Expedition ins ewige Eis. Erfahrungen und Know-How der Teilnehmer ergänzten sich ideal. Während Hayo Wolfram unterwegs für diverse Publikationen fotografierte, hielt der Kameramann Günther Hanisch die Ereignisse fürs Fernsehen auf Film fest. Flo Geiger war Navigator und erfasste die Wetterdaten, Hubert war für Ernährung und Koordination zuständig. Nach einer intensiven Vorbereitung brachen die Vier Mitte Juni auf.

Jeder zog rund 120 kg Gepäck in seiner Pulkas

Startpunkt der eigentlichen Expedition war Kangerlussuaq am Ende eines Fjords an der Westküste. Der ehemalige amerikanische Militärstützpunkt ist heute der wichtigste Flughafen von Grönland. Per Truck ging es noch ein paar Kilometer bis zur Eiskante. Ab dort war das Team auf sich allein gestellt: 586 schwierige Kilometer voller Gefahren lagen vor ihnen. Jeder zog rund 120 kg Gepäck in seinen Pulkas (Zugschlitten) hinter sich her. Nach sechs mühsamen Aufstiegstagen im Labyrinth riesiger Gletscherspalten erreichte das Team das Innere der riesigen Eiskappe. Günther Hanisch brach dabei zwei mal ein, zum Glück ohne Folgen.

Zwölf Stunden durch ein Gewirr von Gletscherspalten gehen ­ das kostete mich unglaublich viel Kraft

Nach einer Woche auf dem Eis litt Hubert Domscheit unter zunehmend schlimmeren Zahnschmerzen. Die Expedition saß drei Tage fest (Schneesturm) und hofften in der ? Zwangspause?, dass die Schmerzen nachlassen. Als dies nicht der Fall war, wurde der Hubschrauber nach dem zweiten Tag gerufen, der auf Grund von schlechtem Wetter erst am folgenden Tag kommen konnte. Frustriert musste sich Hubert ausfliegen lassen. Auch Florian Geiger kam nicht ungeschoren davon: ?Mit Magen-Darmgrippe und jeder Menge Blasen an den Füßen zwölf Stunden durch ein Gewirr von Gletscherspalten gehen ? das kostete mich unglaublich viel Kraft.? Aber es ging weiter. Hayo Wolfram erzählt: ?Jeder von uns hatte seine Tiefpunkte. Aber die Anderen bauten ihn wieder auf, und so haben wir es dann geschafft. Ich bin froh, dass bei uns die Chemie im Team so gut passte.?

Der Schnee hat in Grönland viele Namen

Meistens durften sich die Abenteurer über gutes Wetter freuen: Sonnenschein und nicht zu viel Wind. Die Schneeverhältnisse waren abwechslungsreich. Günther Hanisch: ?Die Grönländer kennen über 40 verschiedene Namen für die unterschiedlichen Schneearten. Ich glaube, die meisten davon haben wir kennen gelernt. Dazu gehörte auch weicher Sulzschnee bei warmem Wetter und freiem Oberkörper.? Wenn der Wind stimmte, setzte das Team so genannte Kites ein: Mit bis zu Tempo 50 zogen die überdimensionierten Lenkdrachen die Expeditionsteilnehmer über die eisige Endlosigkeit.

Irres Gefühl, plötzlich wieder am Meer zu stehen

Nach 33 Tagen und fast 600 Kilometern erreichte die verbliebene Dreiermannschaft am 13. Juli 2004 um 01.00 Uhr die grönländische Ostküste nahe der Ortschaft Isortoq. ?Das war schon ein irres Gefühl, plötzlich am Meer zu stehen?, sagt Günther Hanisch. Nach 7,5-stündiger Bootsfahrt durch Eisschollen und mit langen Umwegen auf Grund zugefrorener Teilstrecken kamen sie dann endlich in Tassilaq an.

Zurück in der Sommerhitze Mitteleuropas erzählen die Abenteurern begeistert von der Schönheit Grönlands, von der unglaublich klaren Luft, der völligen Stille an den Tagen ohne Wind und der endlosen Weite unter dem blauem Himmel.

Mehr zur Expedition gibt es auf der Website www.Horizonte2004.de. Unterstützt wurde das Projekt unter anderem von Outdoor-Ausrüstungsherstellern BERGHAUS und PRIMUS.

Auszüge aus einem Interview mit Günther Hanisch und Flo Geiger

Wie waren die Wetterverhältnisse während der Expedition?

Günther Hanisch: Wir hatten das volle Programm: Vom Schneesturm bis zum Sonnenbad mit freiem Oberkörper gab es alles. Insgesamt war es der Jahreszeit entsprechend eher warm ? wobei das natürlich sehr relativ ist. Die niedrigste Temperatur war ?16°C und die wärmste +10°C. Zum Glück schien meistens die Sonne.

Flo Geiger: Ein paar Tage gab es aber auch Nebel. Arktis-Reisende nennen das ?White Out?: Das Weiß des Schnees geht direkt in das Weiß des Himmels über. Man kommt sich dann vor, als würde man durch einen weißen Wattebausch stapfen. Für den Ersten der Gruppe ist das unheimlich anstrengend, denn man bekommt dabei Gleichgewichtsprobleme. Das Auge hat einfach nichts, an dem es sich festhalten könnte. Wir haben deshalb den Führenden immer wieder durchgetauscht. Ein paar kleine Stürme, die aber nur vier bis maximal neun Stunden dauerten, erlebten wir auch. Da pfiff uns dann eine Mischung aus Triebschnee und Neuschnee um die Ohren. Am nächsten Morgen mussten wir die Pulkas mühsam ausgraben.

Wie waren die Schnee- bzw. Eisverhältnisse?

Günther Hanisch: Die Grönländer kennen über 40 verschiedene Namen für die unterschiedlichen Schneearten. Ich glaube, die meisten davon haben wir kennen gelernt. Jahreszeitlich bedingt hatten wir in erster Linie Altschnee in den unterschiedlichsten Formen. Mal war es weicher Sulz, dann wieder knallharter, Wind gepresster Schnee, der die Steigfelle nur so kahl rasierte.

Flo Geiger: Viele Grönland-Erfahrene hatten uns zuvor vom Juni/Juli abgeraten. Man kann auf reißende Flüsse auf dem Eis und mächtige Seen als unüberwindliche Hindernisse stoßen. Wir haben aber in dieser Saison genau das ideale Zeitfenster erwischt. Nicht zu warm, nicht zu kalt.

Wie muss man sich das Inlandeis vorstellen?

Flo Geiger: Es ist wie ein riesiger eisiger Fladen, der auf Grönland liegt. An den Rändern ist es dünner und wölbt sich natürlich auch. Daher gibt es dort jede Menge Gletscherspalten Es sieht aus wie ein gefrorener Ozean mit riesigen Wellen. Oben drauf ist es eher flach und praktisch spaltenfrei.

Sind die Gletscherspalten nicht sehr gefährlich?

Günther Hanisch: Auf jeden Fall. Sie klaffen groß und mächtig auf, möchten einen verschlingen. Manche Spalten wirken so bodenlos tief, dass man meint, bis nach Australien schauen zu können. Anfangs hatten wir richtig Angst, obwohl die Spalten größtenteils schon offen waren. Aber dann gewöhnt man sich dran. Nach ein paar Tagen lacht man der Gefahr ins Gesicht und geht seinen Weg ? auch wenn die Schneebrücken hinter einem einstürzen. Beim Aufstieg auf der Westseite gingen wir meistens nachts, weil dann die Schneebrücken besser tragen. Ich bin trotzdem zweimal durchgebrochen und muss sagen: Das war gar kein gutes Gefühl?

Flo Geiger: Beim Abstieg vom Eis hinunter zur Ostküste hat ein Wärmeeinbruch in Verbindung mit mehrtägigem Dauerregen alle Gletscherspalten geöffnet. Dadurch waren sie für uns wenigstens gut sichtbar. Noch ein paar Tage später hätten wir mit Schlauchbooten über die Seen fahren müssen.

Was war das Härteste für Euch?

Günther Hanisch: Gleich in den ersten Tagen haben wir uns wahnsinnige Blasen gelaufen, die natürlich nicht abheilten. Aber da mussten wir durch. Die Blasen schmerzten dann die nächsten Wochen bei jedem Schritt. Und es waren ungefähr 650.000 Schritte bis zum Ziel.

Was war das Schönste an der Tour?

Günther Hanisch: Die unglaubliche Stille an manchen Tagen. Und das Licht. Wenn die Mitternachtssonne ganz flach über das Eis scheint, reichen die Schatten bis zum Horizont. Highlights ganz anderer Art waren die Tage, an denen wir unsere Kites benutzen konnten. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mit bis zu 50 Sachen über das Eis zu donnern. Die Schlitten springen in einem wilden Galopp über die Schneeverwehungen. Sonst hängen sie wie zähe Säcke hinter einem, beim Kiten spürt man sie gar nicht mehr.

Flo Geiger: Ein ungewöhnliches Erlebnis war auch die verlassene Radarstation DYE 2. Die Amis hatten diesen monströsen Bau noch zu Zeiten des Kalten Kriegs errichtet, wie eine Mondbasis mitten auf dem Eis. Man kann die Station in der unglaublich sauberen und trockenen Luft schon Tage vor Erreichen sehen. Das war für die Augen sehr angenehm. Sie klammerten sich förmlich an diesen dunklen Fleck in der Ferne. Sonst gibt es ja nichts gibt außer Eis bis zum Horizont. Das Inlandeis ist ein sehr zweidimensionale Welt.

Zum Abschluss eine schwierige Frage: Warum macht man so was überhaupt?

Flo Geiger: Ich finde, einmal im Leben sollte man mal etwas wirklich Außergewöhnliches und Anspruchsvolles gemacht haben. Außerdem erhoffte ich mir auch eine Art Pilgerreise: Beim monotonen Gehen das Sein aus das Elementare reduzieren. Aber wegen den ständigen Ablenkungen kam es dazu nicht. Erst wurde Hubert ausgeflogen, dann kam Dye 2 als Ereignis und schließlich die Kite-Segelei. Dennoch möchte ich keine Sekunde dieses großartigen Erlebnisses missen.

Webtipp

Horizonte 2004 - die Page der 4 Abenteurer

Berghaus - die Page des Outdoorausrüsters

Primus - die Kocher für jeden Einsatz



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