Silvan in der steilsten Passage der Tour. Foto: P. v. Känel Silvan in der steilsten Passage der Tour. Foto: P. v. Känel
30 August 2023

Renaissance – eine trad Erstbegehung in der Eigernordwand

Silvan Schüpbach und Peter von Känel eröffnen vom 19. bis 24. August eine schwierige Neutor in der Eiger Nordwand - EX, 7c? (7a obligatorisch) 1220 m / 820 Höhenmeter ab Stollenloch, 30 Seillängen

Vom 19. Bis zum 23. August eröffnen Peter und Silvan eine neue Route in der Eigernordwand. Dabei folgen sie ihrem Ideal, keine Bohrhaken zu verwenden. Fünf Tage Klettern die beiden in der Wand der Wände mit der Ungewissheit, ob sie mit dem von ihnen gewählten Stil überhaupt hochkommen. Ein großartiges Abenteuer und ein Meilenstein in der Klettergeschichte des Eigers geht am 24. August zu Ende, als die beiden Alpinisten auf dem Gipfel des Eigers stehen.

Die Erstbegeher kletterten die kühne und elegante Felsroute bis auf zwei kurze Passagen frei. Sie setzten keine BH und beließen insgesamt 8 Schlaghaken. Eine Wiederholung der Tour ist ein Abenteuer und ein Hochgenuss für alle mit einem Faible fürs Trad-Klettern in großen Wänden. Der überwiegend exzellente Fels ist schön strukturiert und erlaubt an vielen Stellen das Anbringen mobiler Sicherungen. Für eine Wiederholung sollte man 2 bis 3 Tage einrechnen. Die Route überwindet die «Rote Fluh» an deren rechten Rand und führt nach einer kurzen Gehpassage (mögliches Biwak) relativ direkt durch die kompakte, teils überhängende Wand rechts vom Tschechenpfeiler. Im obersten Teil folgt die Route über drei Längen der Ghilini-Piola. Während diese über einfache Felsen nach rechts auf den Westgrat aussteigt, bietet die «Renaissance» nochmals drei weitere schöne Längen, bis man schließlich auf dem Westgrat auf 3480 m aussteigt. In Routennähe gibt es mehrere geschützte Biwakplätze, die jedoch meist nur einen einzigen Schlafplatz bieten. Für eine Wiederholung empfiehlt es sich daher, ein Portaledge mitzunehmen.

Das Fehlen von Bohrhaken gibt der Route eine bemerkenswerte Ursprünglichkeit und Ernsthaftigkeit. Die Route kann nicht einfach konsumiert werden, sie fordert Engagement. Andererseits steigert dies den Erlebnis- und Abenteuerwert massiv, denn auch das Wiederholen der Route fühlt sich ein wenig nach Erstbegehung an. Neben einem soliden Kletterniveau verlangt die Route ein geübtes Auge, sowohl für die Kletterlinie, als auch für das Anbringen mobiler Zwischensicherungen. Ebenfalls hilfreich ist eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein permanentes, bewusstes Kontrollieren des objektiven Risikos während des Vorstiegs.

Verwendetes technisches Material: Doppelseile 60 m, 2 Satz Cams #0.2-2(Totemcams von Vorteil), Kk, Peckers, Schlaghaken, Skyhook, Portaledge.

Weitere Infos: ww w.o bsig.ch , ww w.slack-line.ch

Gedanken von Silvan

In den letzten Jahren wurden in der Nordwand des Eigers viele neue Kletterrouten eingerichtet. Ich selbst durfte viele dieser Routen wiederholen und bin fasziniert von der Qualität und Schönheit dieser Klettereien, welche mit viel Schweiß und Können erstbegangen wurden.

Diese Routen haben alle gemeinsam, dass sie mithilfe von elektrischen Bohrmaschinen und Bohrhaken möglich gemacht wurden; dass somit die Felsen des Eigers beklettert werden, die Absicherung jedoch mit modernen Maschinen «garantiert» wird. Ich finde dies nicht verwerflich, sondern eine logische Entwicklung des Klettersports.

Ich frage mich seit ein paar Jahren, ob man das heutige Kletterkönnen auf den Eiger anwenden kann, aber mit den Sicherungsmitteln (ohne Bohrmaschine) von einst? Dies schien mir eine faszinierende Herausforderung zu sein. Zufall, Glück und Können haben sich für uns vom 19.-23. August vereint: Einer der letzten unberührten Wandteile des Eigers hat uns in unserem Stil gewähren lassen – anlässlich eines mehrtägigen Wetterfensters mit hohen Temperaturen und ohne Niederschläge.

Es würde uns freuen, wenn in Zukunft wieder mehr junge Bergsteigende und Kletternde auf traditionelle Sicherungsmittel setzen - und eine Renaissance beim Klettern in großen (und kleinen) Wänden einläuten würden.

Gedanken von Peter

Silvan hat diese grandiose Linie ursprünglich entdeckt und mit großem Aufwand ausgearbeitet. Als Team funktionieren wir beide bestens und wir ergänzen uns hervorragend. Auch haben wir einen ähnlichen, leicht schrägen Humor und teilen diverse kulinarische Vorlieben wie z.B. reichlich Mayonnaise und Butter.

Mein Kletterniveau ist solide, aber nicht überragend. Andererseits kann ich meine Kletterfähigkeiten auch in mental anspruchsvollen Situationen, z.B. hoch über einer mobilen Sicherung, abrufen. Insbesondere fürs trad-Klettern ist das sehr nützlich.

Silvan und ich beschäftigen uns seit einigen Jahren intensiv mit dem bohrhakenfreien Klettern im Kalkstein. Rückblickend nehme ich unsere gemeinsamen Erstbegehungen am Stockhorn und am Dündenhorn als Zwischenstationen wahr, die uns die «Renaissance» schließlich erst ermöglichten. Bevor mich Silvan damals mit dem bohrhakenfreien Klettern angefixt hat, realisierte ich meine Erstbegehungen alpiner Mehrseillängentouren jeweils mithilfe von Bohrhaken. Dank selbst auferlegter Regeln beim Einbohren, z.B. Einrichten von unten, keine Hakenleitern, keine cliff-Löcher etc., hat mir diese Art von Erstbegehen zwar viele grossartige Abenteuer beschert, trotzdem wuchs mit zunehmender Erfahrung mit mobilen Sicherungen mein Appetit nach bohrhakenfreiem Klettern. Mein maximal mögliches Kletterniveau habe ich mehr oder weniger erreicht, daher sehe ich im trad-

Klettern die nächste Stufe in meiner persönlichen Entwicklung als Kletterer. Das Kletterniveau ist zwar auch beim trad-Klettern wichtig, aber es ist nicht der alles entscheidende Faktor. Es braucht vielmehr eine austarierte Mischung verschiedener Fähigkeiten. Rückblickend empfinde ich die Erstbegehung der «Renaissance» als meinen bisherigen Höhepunkt in diesem Prozess. Die Kombination aus

Klettern, Lesen des Felsens, Legen mobiler Sicherungen und dem kontinuierlichen Austarieren des Risikos erlaubte mir, effizient und mit einem guten Gefühl von Kontrolle vorzusteigen. Dies, obwohl die Tour mich mehrere Male an meine Grenzen brachte.

Der Gedanken ans Losklettern mit mobilen Sicherungsgeräten am Klettergurt in eine jungfräuliche Wand macht mich jedes Mal von neuem nervös. Wenn es dann soweit ist und ich losklettere, weicht die Nervosität jeweils einer beinahe hypnotischen Fokussiertheit und Klarheit. Diese Momente sind äußerst intensiv und gehören zu den unvergesslichen Höhepunkten meines Lebens.

Auf einer Gleitschirm-Flugaufnahme entdeckten wir vor der Tour im steilsten Teil der Wand Felsstrukturen, die bezüglich Klettern und mobilem Absichern vielversprechend aussahen. Trotzdem hat uns die Felsqualität vor Ort nochmals positiv überrascht. Etliche Seillängen dieser Tour finden Eingang in meine persönliche «Hall of Fame» des besten Felsens, den ich bisher unter meinen Fingern und Sohlen hatte. Ich hoffe sehr, dass die Linie bohrhakenfrei bleibt und damit Wiederholern ähnlich intensive Momente fürs Fotoalbum des Lebens schenkt wie uns.

Silvan Schüpbach, 41, ist Bergführer, Coach, Referent und Biotechnologe. Wenn er nicht gerade in einer Wand hängt, ist er beim SAC für die Förderung des Bergsteigens im Nachwuchsbereich tätig. Wohnhaft in Thun mit seiner Familie.

Peter von Känel, 50, ist Bergführer, Gleitschirm- Tandempilot und Luftfahrt-Ingenieur. Zudem hält er Vorträge, u.a. zum Umgang mit Risiken, und ist Autor des Kletterlehrbuchs „Steep Frozen“. Der Vater zweier erwachsener Töchter lebt mit seiner Frau in Frutigen.



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