Da der Winter heuer nicht viel an Eis zu bieten hatte, entschloss ich mich wieder einmal für Kanada. Für mich bereits die vierte Reise in die Kanadischen Rockies, aber da ich Infos über gute Verhältnisse hatte und die Möglichkeiten grenzenlos sind hatten ich den Entschluss schnell gefasst. Konrad Auer ein Bergführer Kollege und Freund lies sich schnell für einen Vorhangwechsel begeistern!
12 Flugstunden weiter westlich in Calgary war dann endlich richtig Winter. Unser Quartier haben wir wie immer in der Rocky Mountain Ski Loodge in Canmore bei Hans Peter Stettler bezogen. Den Jeep haben wir von zu hause gebucht, so was braucht man in Kanada zum Eisklettern unbedingt! Es nützten die besten Verhältnisse nichts, wenn man zu den Klettereien nicht hinkommt.
Ein Abenteuer der ganz besonderen Art
Ich selbst fahre am liebsten in das Ghost Valley. Das ist immer ein Abenteuer der ganz besonderen Art. Von Canmore aus braucht man ca. zwei Stunden, je nach Fahrer…
Die größte Auswahl an Klettereien hat man sicherlich im Jcefieds Parkway. Von Lake Louise fährt man Richtung Jasper und nach ca. einer Stunde kommt man beim Mt.Wilson vorbei. Einem riesigen Bergmassiv oberhalb des David Thompson Highway.
Heuer waren diese Klettereien besonders fett geformt, die Tabernac Bowl bot sich uns in einem perfekten Zustand. In einer Stunde Zustieg ist man bei der ersten Eismauer angelangt, gut fünfzig Meter senkrechtes Eis und dann geht es wieder zu Fuß weiter Richtung Les Miserables und Whoa Whoa Capitaine. In einem großen Amphitheater, vom Highway aus gut sichtbar, stehen sie neben einander. Wenn man alle drei an einem Tag durchklettern will muss man schon zeitig aufbrechen und Gas geben, so wie wir es gemacht haben.
Eine Tour der ganz besonderen Art kletterten wir am darauf folgenden Tag. Morgens um acht gab es Frühstück in Rampart Creek, dem einzigen im Winter offenen Hostel im Park. Eine gute Stunde später standen wir am Einstieg von Polar Circus, einem der bekanntesten Eisfälle unseres Planeten. Minus zwanzig Grad zeigte das Thermometer im Jeep. Als wir gegen Mittag oben am Ausstieg ankamen waren es vielleicht noch fünf Grad unter null.
Da wir bis auf zwei Längen alles seilfrei kletterten, waren wir bereits am frühen Nachmittag beim Jeep. Uns blieb aber alle Zeit der Welt um eine Pause einzulegen und einen Happen zu Essen und vor allem zu trinken. Wir wollten nämlich noch Ice Nine dranhängen. Der super geformte Eispanzer der ersten Seillänge ist von der Sonne schon ganz weiß geworden. Als wir am Einstieg ankamen entschlossen wir uns noch zu warten. Wenn die Sonne ganz tief steht nimmt die Temperatur rasch ab und das Eis zieht an. Als wir bei der ersten Länge am Stand ankamen hing da eine Gore Tex Jacke, komisch wer diese wohl hier hängen hat lassen!
Die zweite Länge war allerdings schon etwas mehr von der Sonne in Mitleidenschaft gezogen worden. Gleich nach dem Stand wartet ein senkrechter Pfeiler, der normalerweise richtig fett geformt ist. Diesmal sah es etwas anders aus, die Schrauben konnte man nur noch in das halb hohle Eis drehen, wie Schweizer Käse.
Als wir mit dem Abseilen beginnen, merken wir, dass andauernd Schnee herunterrieselt. Nach genauem Hinaufschauen sehen wir einige hundert Meter über uns jemanden abseilen, alleine! Das wird wohl der Besitzer der Gore Jacke sein, klettert Solo über Ice Nine und oben noch ein Couloir weiter. Es gibt verschiedene Möglichkeiten einen Tag in den Icefields zu verbringen! Nach 10 Stunden Kletterei geht es zurück nach Rampart Creek. Heute wird wieder mal wieder richtig gekocht, das ist nämlich meine zweite Leidenschaft.
Ein 350 m hoher Shooting Star
Am darauf folgenden Tag haben wir noch zwei weitere, heuer gut geformte Eisfälle am Mt. Wilson auf dem Programm. Wenige Kilometer Tal auswärts ist vom Highway ein markant geformter Kanal gut sichtbar. Shooting Star heißt dieser ca. 350 Meter lange Eisfall und mit Abstand der schönste an diesem Massiv. Morgen wird das unser Ziel sein.
Um zum Einstieg zu gelangen haben wir uns die Tourenski angeschnallt, denn zu Fuß bricht man im Schnee bis zur Hüfte ein. Die erste Länge ist schon etwas mager geformt, hier muss man technisch sehr gut klettern.
Die nächsten beiden Längen schlängeln sich in einer Art Rinne traumhaft nach oben. Ein kurzer Anstieg zu Fuß bringt uns dann zum zweiten Teil, welcher mit einer fünfzehn Meter hohen, freistehenden Eissäule aufwartet. Diese Seillänge ist wirklich Eisklettern vom Feinsten, die Geräte kann man überall super platzieren, das Eis ist einfach perfekt.
Die letzte Seillänge führt unter einem riesigen Klemmblock zum Ausstieg. Das ganze Ambiente um diesen Eisfall ist gewaltig. Shooting Star, der schönste Eisfall am Mt.Wilson!
Das Wetter ist super und richtig ausgelastet sind wir für diesen Tag noch nicht. Nach einem flotten Abseilmanöver queren wir mit unseren Skiern zu unserm nächsten Ziel. „Dancing With Chaos”. Dieser schlängelt sich einen Kanal weiter Tal auswärts herunter. Und ganz im Gegenteil zur Namensgebung, es war ein traumhafter Tanz an dieser 100 m hohen Eiskaskade.
In Kanada sagt man Plastik-Eis
Wir sind jetzt richtig gut in Form und haben uns an die Größe und Mächtigkeit der Kanadischen Eisfälle gewöhnt, es ist einfach eine andere Dimension. Fast schon einwenig übermütig ziehe ich die lange, fast fünfzig Meter senkrechte Seillänge durch. Das Eis ist super, Plastik-Eis sagen die Kanadier dazu.
Als wir nach zwei langen Abseilmanövern wieder bei unserem Ski Depot angekommen waren, taucht die Sonne die Gipfelwand in ein traumhaftes Licht. Die letzten Tage hatten wir Verhältnisse wie man sie besser nicht haben kann, alles hat gepasst. Kanada hat sich uns schon von einer ganz anderen Seite gezeigt. Nach zwei Ruhetagen und jede Menge Spagetti und Steaks haben wir wieder den richtigen Schwung für neue Taten.
Ein Hauch von Abenteuer im Ghost Valley
Wir machen uns auf ins Ghost Valley. Eine richtig abgelegene Gegend, nordöstlich von Canmore die noch einen Hauch von Abenteuer vermittelt.
Es ist das Land im dem früher die Indianer lebten. Heute leben sie zurückgezogen in einem Reservat. Man braucht einen guten Jeep um so weit als möglich über das meist stark mit Schnee verwehte Flussbett zu den verschiedenen Ausgangspunkten zu gelangen. Im südlichen Teil des Ghost Valley formt sich einer der eindruckvollsten Eisfälle Kanadas. „The Rial Big Drip“, 280 m lang.
Diese Route wollte ich mir schon lange mal anschauen. Die ersten Länge klettere ich über brüchige Schuppen vorsichtig nach oben. Nach etwa zwanzig Metern kommen die ersten Eispilze, welche mir sehr willkommen sind. Konzentriert klettere ich weiter Richtung Eissäule, um den ersten Standplatz einzurichten. Zum sichern sind in dieser Länge ausreichend Bohrhaken.
Es ist Saukalt geworden und ich spüre meine Finger kaum noch. Wenn man alles frei klettert geht das in die Richtung M8+.
Konrad klettert dei zweite Länge, die sich uns heuer wesentlich leichter präsentiert, als im Führer beschrieben.
Am zweiten Standplatz begutachten wir das große freihängende Eisschild über uns. An einer Stelle ist es abgebrochen, zurückgeblieben ist ein gut zwei Meter überhängendes Eisdach. Hier kommen wir mit Sicherheit nicht drüber, denke ich mir. Mal schauen. Ich klettere die dritte Mixedseillänge hoch und dann sehen wir weiter.
Auch diese technisch recht anspruchsvoll, die Schlüsselstelle ein Dach in der Hälfte, der Rest ist dann kein Problem mehr. Kurz unterhalb des Eisdaches richte ich einen Standplatz ein. Nach langem Begutachten entschließe ich mich über das Dach quer hinaus zu klettern und am Ende darüber.
Man muss genau wissen, was man da macht
Solche Aktionen verlangen immer eine starke psychische Verfassung und man muss genau wissen, was man da macht. Der Überhang hat mir an meinen Kraftreserven einiges abverlangt und mit dicken Unterarmen klettere ich auf der Vorderseite noch zwanzig Meter weiter nach oben um einen guten und sicheren Standplatz einzurichten. Die Hauptschwierigkeiten sind vorbei, aber es sind immerhin noch drei volle Seillängen im Eis zu klettern.
Als wir oben beim letzten Stand ankommen, fängt es schon leicht zu graupeln an und der Wind hat angezogen, Kanadische Verhältnisse. Nach einer komplizierten Abseilaktion stehen wir im Dämmerlicht wieder am Einstieg. Gegen zehn Uhr Abends gelangen wir endlich auf eine Tankstelle am Highway 1A, die bestellte Coke hat so gut geschmeckt wie selten eine zuvor.
Die Route „The Real Big Drip“ gehört zu den absoluten Top Alpinen Mixedklettereien. Sieben Seillängen in einem Ambiente wo der „Abenteurer“ noch auf seine Kosten kommt…
Wie sich die Route uns heuer präsentiert hat würde ich einen Bewertungsvorschlag von M8+ und im Eis WI7- vorschlagen. 280 Meter lang
Die Königsetappe
In den Rockies gibt es unzählige Möglichkeiten zum Eisklettern, eine der schönsten Kombination die man machen kann gelingt uns in der ersten Februarwoche. Im nördlichsten Teil des Ghost Valley formen sich zwei mächtige Eisfälle. Zum einen ist das „The Sorcerer“ im Johnson Creek und auf der anderen Seite des Berges „Hydrophobia“ im Waiparus Valley. Beide zusammen sind etwa vierhundert Meter lang und an Ausgesetztheit kaum zu übertreffen.
Noch in der Dunkelheit starten wir durch das lang gezogene Tal bis zum oberen Ende des Johnson Lake. Von hier aus kann man den Eisriesen das erste Mal ganz kurz sehen. Im dichten Wald geht es weiter Richtung Nordwesten. Die Orientierung in diesem Gestrüpp ist sehr schwierig. Als wir in den Canyon kommen lichtet sich der Wald wieder und wir sind nur noch wenige hundert Meter vom Einstieg entfernt. Kurze Verschnaufpause und dann geht’s los. Mit einer nicht allzu großen Serie an Material steigen wir ein, heute müssen wir schnell sein und es geht auch zügig voran.
Die ersten zwei Längen weisen sehr solides und nicht allzu steiles Eis auf. Die dritte Länge klettert Konrad bis an den rechten Rand des steilen Pfeilers, eine richtige super Kletterei ist das. In der vierten Länge stellt sich der Kollege noch mal richtig auf. Dann gilt es noch mal eine große Schneewechte zu überklettern, um ganz oben heraus zu kommen. Es ist Mittag als wir oben am Ausstieg vom „The Sorcerer“ stehen. Die meisten Kletterer seilen sich hier wieder ab. Wir nicht, wir wollen noch weiter auf die andere Seite des Berges um „Hydrophobia“ zu klettern.
Es bläst uns ein kalter und teilweise stürmischer Nordwest Wind ins Gesicht. Nach einer kurzen Teepause spuren wir einen ewig langen Kanal nach oben. Wir wissen nicht genau wo sich unser zweites Objekt befindet. Da sich vom höchsten Punkt aus mehrere Rinnen zum absteigen anbieten queren wir einfach ohne viel an Höhe zu verlieren Richtung Norden.
Wenn wir hier die falsche Rinne erwischen heißt das wieder eine halbe Stunde Gegenanstieg machen und somit wäre unser Projekt gescheitert, da das zeitlich nicht mehr möglich wäre. Wir rätseln was wir machen sollen und steigen kurzerhand einfach noch weiter ab, auch auf die Gefahr hin, dass wir falsch liegen. Nach einigen hundert Metern können wir an einer großen Felswand einen Eispilz erkennen, hier muss es sein. Eilig steigen wir weiter ab. Vor uns erstreckte sich ein großer, nach unten immer steiler abfallender Eisteppich. Wir steigen bis an den Rand ab und sortieren das nötige Material aus. Nach zwei Abseilmanövern stehen wir unmittelbar vor der Kante.
Eine neue Dimension
Ich bin viel Eisfälle in Kanada und in den Alpen geklettert, das hier sind aber neue Dimensionen. Dieser Eisfall ist an Schönheit und an Ausgesetztheit schwer zu überbieten. Da muss man die Luft für einen Moment anhalten, bevor man weiter Talwärts fährt. Schließlich muss man ja auch wieder herauf kommen.
Eine halbe Stunde später stehen wir unten am Einstieg, das ist eine ganz besondere Stimmung hier. Abgelegen, fast schon etwas unheimlich. Man ist total auf sich allein gestellt, meilenweit kein Mensch. Man muss sich mit dieser Ausgesetztheit vertraut machen. Nach wenigen Klettermetern kommen wir wieder richtig in Schwung. Uns erwartet fast 150 Meter senkrechtes Eis. Das Eis ist vom föhnigen Wind leicht zerfressen und von bizarren Formen, einfach traumhaft jeder Pickelschlag passt beim ersten Schlag.
Nach knappen drei Stunden stehen wir wieder am Ausstieg, wir genießen noch einmal für einen Moment diesen Tiefenblick, aber wir müssen uns beeilen die Nacht rückt an. Noch einen kleinen Schluck Tee und dann geht es wieder bergauf. Im Dämmerlicht sind wir wieder an der anderen Seite beim Ausstieg vom „The Sorcerer“ angelangt.
Mit der Stirnlampe richte ich den ersten Stand zum abseilen ein, Abalakov heißt man diese Eisuhren, welche man in das fest gefrorene Eis bohrt. Das ist eine perfekte und vor allem sichere Möglichkeit beim Eisklettern abzuseilen, zurück bleibt nur ein Stück Rebschnur. Es ist schon stockdunkel, als wir die Seile von der letzten Abseilstelle abziehen. Ein langer Tag geworden, aber zufrieden marschieren wir Tal auswärts Richtung Jeep.
Wir konnten in den drei Wochen wirklich sehr schöne Seillängen klettern. Doch nicht nur die Eisfälle sind einzigartig in diesem Land, es ist vor allem die grandiose Landschaft, die an Größe und Weite wohl kaum zu überbieten ist.
Und nicht zuletzt sind es auch die Menschen dort, die von der Natur geprägt eine gewisse Ruhe und Gelassenheit bewahrt haben. Kanada ist nicht nur wie zu frühern Zeiten der Traum der vieler Holzfäller und Goldgräber, es ist auch der Traum der Eiskletterer, wir kommen wieder!
Kurze Übersicht der gekletterten Eisfälle
Ghost Valley
The Real Big Drip: 280m, M8+/WI 7-
The Sorcerer: 210m, WI 5
Hydropobia: 180m, WI 5+
Malignant Mushroom: 55m,WI 5
Black Rock Falls: 55m, WI 4+
Candel Stick Maker: 140m, WI 5
The Hooker: 100m, WI 5
Icefied Parkway
Oh Le Tabernac: 55m, WI 5+
Les Miserables: 120m, WI 6+
Whoa Whoa Capitaine: 110m, WI 6
Polar Circus: 500m, WI 5
Ice Nine: 100m, WI 6
Shooting Star: 350m, WI 6
Dancing With Chaos: 105m, WI 6
Lower Weeping Wall Centraler Pfeiler: 180m, WI 5+
Mixed Master: 300m, WI 5
Stanley Glacier Headwall
Suffer Machine: 220m, WI 6
Nemesis: 180m, WI 6
Killer Cave
Phyllis Diller M10
Miller Schwiller M10-
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Text: Kurt Astner; Fotos: Kurt Astner und Konrad Auer
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