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19 November 2020

Goldener Granit in Kirgistan - Neutouren in der Karavashin-Region

Die beiden Bergführer Christoph Schranz und Gebhard Bendler unternahmen im Juli 2019 eine dreiwöchige Expedition nach Kirgistan, dabei gelangen ihnen drei Erstbegehungen von bis zu 1800 Meter hohen Granitwänden ....

Gemeinsam mit vier weiteren Tiroler Kletterern, (Sebastian Posch, Christian Mauracher, Wolfi Felderer, Martin Haid) allesamt Mitglieder des Bergsteigervereins Alpine Bande, begaben sie sich am 3. Juli 2019 auf die Reise in die kirgisische Stadt Osh. Viereinhalb Tage später erreichten sie das Basislager im Kara-Su-Tal an der Grenze zu Tadschikistan. Der beschwerliche Weg dorthin führte über fünf Pässe und durch reißende Gebirgsflüsse. Fast 5000 Höhenmeter legten die Bergsteiger gemeinsam mit Tragtieren, die das Expeditionsequipment transportierten, zurück. „Das Basislager ist ein absoluter Traum für Bergsteiger“, erzählt Christoph. „Eine saftig grüne Märchenwiese, aus der glasklare Quellen entspringen, umzingelt von bis zu 5500 Meter hohen Riesen aus Granit und Eis.“ Bereits David Lama und der amerikanische Profikletterer Tommy Caldwell waren dort auf Expedition, um sich ihre Kletterträume zu erfüllen. Für Caldwell wurde daraus jedoch ein Alptraum, als ihn eine Gruppe Islamisten aus der Wand heraus entführte. Nur indem er einen seiner Entführer über eine Hunderte Meter Hohe Felswand stieß, konnte er sich befreien. An der 900 m hohen Yellow Wall, an der Caldwell entführt wurde, kletterten auch die Tiroler. Noch Jahre nach der Entführung hing das Portaledge der Amerikaner und deren Haulbags in der Wand. Sie dienten den einheimischen Gebirgssoldaten als Zielscheibe für ihre Waffenübungen.

Neutouren an Green-Wall und Silver-Wall

Christoph und Gebi wollten dort eine Neutour eröffnen, aber vor Ort stellte sich heraus, dass ein französisches Team ihre beabsichtigte Linie schon vor ein paar Jahren klettern konnte. Daraufhin änderten sie ihren Plan und eröffneten die erste Kletterroute durch die Nordwand der Green-Wall, ein 3800 Meter hoher Nebengipfel zur Silver-Wall. Diese befindet sich weiter taleinwärts. Nach vier Stunden Kletterei standen die beiden am Gipfel. Sie hatten Schwierigkeiten bis zum 8. UIAA Grad hinter sich gebracht. Da die Route über Plattenpassagen führt, setzten sie an den nicht mit Friends und Keilen absicherbaren Passagen und an den Standplätzen Bohrhaken. Vom Gipfel aus entdeckten die beiden Tiroler einen markanten Pfeiler weiter hinten im Tal. 1200 Meter ragt dieser senkrecht in den Himmel. Für die beiden war schnell klar, wohin der nächste Ausflug vom Basislager führen muss. Nach einem Ruhetag wanderten sie wieder taleinwärts. Ihr Plan lautete in Wandmitte auf einem lauschigen Grasband zu biwakieren. Am nächsten Tag erreichten sie über ein geniales Risssystem den Gipfel auf 4010 Meter. Sie konnten alles clean, also nur mit mobilen Sicherungsmitteln, absichern und hinterließen keine Haken. Ihre Erstbegehung nannten sie „Tyrolienne“, weil der Einstieg des Pfeilers nur durch die Überquerung eines reißenden Gletscherflusses erreicht werden kann. Um über den Fluss zu gelangen, spannten die Kletterer ein Seil darüber und bauten eine Art Seilbahn – eine „Tyrolean Traverse“ oder „Tyrolienne“.

Kotina 4800 m – Neutour „Krukonogi“

Wie zuvor führte auch diese Erstbegehung zu einem Folgeplan. Von ihrem Biwakplatz aus hatten sie gegenüberliegend eine 1800 Meter hohe Wand detailgenau studieren können. Die Anziehung dieser scheinbar perfekten Meter in bombenfestem Granit wurde immer größer. Motiviert von den beiden ersten Touren erschien ihnen die Wand nun machbar – vielleicht. Und die Wetterprognose versprach perfekte Bedingungen. Am Einstieg der 1800 Meter hohen Wand kamen jedoch Zweifel auf, bemerkt Bendler. „Was passiert, wenn wir einen Unfall haben? Ob tatsächlich jemand kommt, wenn wir auf die Notfalltaste des Inreach-Satellitentelefons drücken?“ Die beiden mussten bei dem Gedanken daran, dass daraufhin in den USA bei Garmin die Rettung in Gang gesetzt wird und kirgisische Bergretter sie dann am Tau ausfliegen, schmunzeln. Sie wollten es nicht testen. Im Basislager hieß es noch, dass es nur einen Militärhubschrauber in ganz Kirgistan zur Rettung gäbe und der sei momentan nicht einsatzbereit. Anders als in den Touren zuvor erwartete sie bei dieser Wand ein langer und komplizierter Abstieg mit unzähligen Abseilmanövern. „Was, wenn sich beim Abseilen das Seil verhängt und wir nicht mehr herunterkommen? “ Nach den ersten schönen Klettermetern verflüchtigen sich die Zweifel. Nach 17 Stunden Nonstop-Klettern beziehen sie ihren Biwakplatz 200 Meter unter dem Gipfel des Kotina auf 4500 Meter. Die Hauptschwierigkeiten liegen hinter ihnen, Kletterstellen bis zum Grad 8+, alles ohne Haken, alles selbst abzusichern. Beide konnten alle Seillängen in Wechselführung onsight, also im ersten Versuch frei klettern. Um Gewicht zu sparen haben sie nur einen Schlafsack für zwei Personen mit. Steif gefroren machen sie sich am nächsten Morgen auf Richtung Gipfel. In der Nacht ist das Thermometer auf weit unter Null gesunken. Auf der Oberfläche des Schlafsacks hat sich eine Eisschicht gebildet. Die Gipfelfreude hält nur kurz. Der lästige Abstieg wartet. Und tatsächlich durchtrennt nach einem Drittel der Wegstrecke ein herabstürzender Felsbrocken ihr Seil. Was nun? Ihnen gelingt es zu improvisieren und trotz des abgetrennten Seils mit etwas mehr Zeitaufwand die restlichen 1500 Meter Wand zu überwinden. „Wir waren noch nie zuvor so fertig“, meinen die beiden, als sie nach 12 h Abstieg ins Basislager torkeln und sich erstmal ein Bier genehmigen. Dieser Route geben sie den russischen Namen „Krukonogi“, weil im Basislager noch eine russische Expedition anwesend ist, die die Tiroler nachhaltig beeindruckt hat.

Russische Tradition

Für die Russen gilt das Gebiet nach wie vor als das Mekka schlechthin zum Bigwall-Klettern. Bereits 1936 unternahm Vitaly Abalakov – das ist der Mann, der die Abalakov Eissanduhr erfunden hat – eine Expedition dorthin. In den 1980er Jahren entdeckten die Russen das Gebiet als Austragungsort für ihre nationalen Meisterschaften im Bergsteigen. Im Zuge dieser Wettkämpfe wurden viele der bis zu 5000 Meter hohen Berge im Eilzugstempo bestiegen. Denn Geschwindigkeit war eines der Hauptkriterien bei der Bewertung ihrer Leistung. Als Mittel zur Besteigung war alles Recht. Deshalb entwickelten die Russen besondere Formen des Technokletterns, die im Westen unbekannt sind. Der „Krukonogi“ ist ein Werkzeug aus der russischen Techno-Trickkiste. Oleg, der russische Hausmeister des Gebietes, der fast jeden Sommer zum Klettern ins Tal kommt, demonstrierte den beiden diese Vorrichtung. Dabei handelt es sich um einen Haken, der am Schienbein befestigt wird. Mit diesem Spezialhaken ist es möglich, sich über das Schienbein so weit aufzurichten, dass man mit den Händen viel weiter greifen kann, als wenn man in eine gewöhnliche Trittleiter steigen würde. Durch den Krukunogi werden glatte Passagen erst kletterbar.

Traumwetter

Insgesamt war die gesamte Reise aufgrund des stabilen Wetters für alle erfolgreich. Sebastian, Christian, Wolfi und Martin konzentrierten sich auf die Wiederholung bestehender Linien.

Sie konnten an den Bergen Usen, Little Asan, Vnuk, Silver-Wall und Yellow-Wall zahlreiche Touren begehen. Diese haben (fast) alle gemeinsam, dass sie lang und clean (keine eingerichteten Standplätze, keine fixen Zwischensicherungen) sind. Somit ist auch die zu kletternde Linie häufig unklar. Im Basecamp betreute der Kirgise Ali die Kletterer kulinarisch. Christian: „Seine Küche bestach durch kompromisslose Kontinuität, dafür war er immer gut gelaunt und sein herzhaftes Lachen klingt allen noch immer in den Ohren.“ So wie das Getöse des Wildbaches, und dabei ist nicht das Rauschen des fließenden Wassers, sondern die beeindruckende Naturgewalt gemeint: das unaufhörliche Poltern des bewegten Geschiebes.

Text (Autorin): Katharina Keller - Fotos: Archiv Gebhard Bendler

Anmerkung bergsteigen.com: Mit einer dieser Erstbegehungen schafften sie es auf die große Auswahlliste (big list) zur Nominierung für den Piolet d‘ Or 2020 !




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