Half Dome NW - links El Cap, mitte hinten Half Dome Half Dome NW - links El Cap, mitte hinten Half Dome
16 Juli 2002

HALF DOME, REGULAR NORTHWEST FACE

Christian Dreyer: "....ich war insgesamt 8 Tage weg..." und er kam mit der Half Dome-Regular Northwest zurück... Ein Bildbericht über diese berühmte Bigwallroute.

Bigwall!

Jeder Alpenbub träumt davon, einmal eine granitene Bigwall zu bezwingen. Wem Baffin Island zu kalt, Trango Tower zu hoch, und Paine Towers zu schwer erreichbar sind, dem bleibt eigentlich nur das kalifornische Yosemite Valley. Mit Direktflug nach San Francisco, und per Mietauto am gleichen Tag in vier Stunden ins 1000m hoch gelegene "Valley". Hat übrigens auch Alex Huber bemerkt, dass das gemütlicher ist als jedes Jahr nach 6 Wochen Anreise und Akklimatisation am Ogre im Schneesturm umzudrehen.

Im Valley gibt es zwei Superrocks: El Capitan (El Cap), und Half Dome. Drum herum stehen noch an die 20 weitere tolle Gipfel, aber Weltruhm haben allen voran eigentlich nur die beiden.

Half Dome

"Dome" heißt Kuppel: die "halbe Kuppel" hat eine runde, und eine wie abgeschnittene senkrechte NW-Seite. Senkrecht heißt senkrecht heißt senkrecht. Diese war 1957 das Ziel von Royal Robbins, Mike Sherrick und Jerry Gallwas, die in 5 Tagen einen Weg von 24 Seillängen - mit Hilfe von vielleicht 15 Bohrhaken - fanden ("Regular Northwest Face") und damit die Ära des "Golden Age of Climbing" einläuteten (Bild rechts Route). Weitere Höhepunkte dieser Ära waren dann am Al Cap "The Nose" (Harding 1958) und "Salathé" (Robbins, Frost, Pratt 1961), bevor die Amis mit ihrer neuen Technik auch in den Alpen Spuren hinterließen (z.B. Dru Westwand, Hemming-Robbins 1962).

Bigwall-Taktik?

Schon bei der Planung fiel uns auf, dass man in Kalifornien anders denkt als bei uns. Während in den Alpen die Taktik meist "schneller sein als der nächste Wettersturz" lautet, gilt in der ewigen Sonne "stay cool, man". Entsprechend nimmt man einen riesigen Haulbag, packt alles hinein was man eventuell brauchen könnte - inklusive Schlafsäcke, Liegematten, Cassettenrecorder, Bier, Moskitospray und Cannabis - und zieht dieses teuflisch schwere Ding gemächlich Länge für Länge an zwei Seilen (haul line und lower-out line) hinter sich her. Entsprechend braucht man für die "Regular Northwest Face" zwei bis drei Tage.

Doch lieber alpin

Wir sind aber die eingangs erwähnten österreichischen Alpenbuben und fürchten uns vor dem drohenden Seilsalat, dem verklemmten Haulbag, und den vielen Biwaks (Biwaks sind doch saukalt, oder?). Deshalb beschließen wir, die Route eher wie die Totenkirchl Westwand anzupacken - waren das nicht auch 21 Seillängen? Entsprechend schleppen wir unsere Schlafsäcke nur bis zum Wandfuß (Bild rechts). In der Wand haben wir dann nur einen Rucksack für den Nachsteiger mit 6l Wasser, ein Notbiwaksack, eine Rettungsdecke, Anoraks und Verbandszeug. Allerdings ganz schön viel Eisen: je zwei Sets Keile und Friends, 15 Expressschlingen, ein Zwillingsseil, je eine Strickleiter - aber weder Haken noch Hammer.

Bei Sonnenaufgang schon am 3. Stand

Noch in der Dunkelheit steigen wir um 5h bereits ein. Die ersten 3 SL haben wir am Vorabend schon erkundet (Bild oben), so dass wir mit Stirnlampen in die vorgelegten Friends und Keile einklinken. Beim Herumsortieren mit dem vielen Material am Gurt klinke ich versehentlich meine mobile Wasserflasche aus. Ein Liter ungeplante Gewichtsreduktion poltert in die dunkle Tiefe. Auch egal: je leichter, desto schneller.

Dann geht es in konsequenter Wechselführung weiter. In wunderbar festen Granitrissen zieht die Route absolut klassisch nach oben. Freikletterei und künstliche Passagen sind im steten Wechsel: Ganz frei müsste man bis 5.12 beherrschen (ca. 8+), aber wir klettern nur bis 5.9 (6) frei, da wir unter Zeitdruck sind und lieber rasch Höhe gewinnen wollen. Die Hände bekommen trotzdem bald diesen typischen "Bigwall-Look" - weiß vom Magnesium, mit roten Flecken von den vielen kleinen leicht blutenden Miniverletzungen.

Robbins-Traverse und enge Kamine bis zum Big Sandy Ledge

Die erste "Schlüsselstelle" ist ein Pendelquergang in der 10. Seillänge, durch den wir bereits um 10h den zentralen Wandteil erreichen. Royal Robbins setzte dafür 9 Bohrhaken, deshalb ist die "Robbins-Traverse" heute keine Hexerei. Danach aber wird es ungemütlich: enge Kamine sind nur innen abzusichern, aber wohl außen zu klettern. Wir sind feige und entscheiden uns für innen. Das heißt quetschen. Unter Fluchen und Schimpfen gewinnen wir den 14. Stand (Bild rechts).

Das Tempo hat sich etwas reduziert, da man - wie in USA üblich - alles selbst absichern muss. Statt wie im Kaiser von Haken zu Haken, arbeitet man sich hier von selbst gelegtem Keil zu Keil, oder Friend. Seltene Ausnahmen sind festgefressene Keile, sowie die eingebohrten Standplätze.

Eine tolle 17. Seillänge - die "Double Cracks" - erfordert Faustklemmen und Manteln. Sie führt auf die "Big Sandy Ledge", ein 2x8m breites Podest in ca. 500m Höhe über dem Wandfuß (Bild unten). Dort ist üblicherweise ein Biwak vorgesehen, dürfte auch recht schön sein. Es ist jetzt aber erst 14h, die Sonne wandert gerade über den Gipfelgrat und wärmt uns heute zum ersten Mal - angenehm nach der bisher eher kühlen Nordwandstimmung, obwohl es uns nie zu kalt war.

Die Zig Zags zum Thank God Ledge

Nach einigen Schluck Wasser (der Rucksack ist schon deutlich leichter) packen wir die drei Schlüsselseillängen an: die "Zig Zags" sind ca. 50cm tiefe, perfekt rechtwinkelige Verschneidungen, die in (für uns) künstlicher Kletterei Richtung "Visor" ziehen (Bild unten). Der Visor ist ein ca. 10m ausladendes, 50m breites Gipfeldach, das seit der Robbins-Traverse bei jedem Blick nach oben näher rückt und den Ausstieg aus der Wand zu versperren scheint.

Zum Glück taucht nach der 20. Seillänge das berühmte "Thank God Ledge" auf, welches Gott sei Dank unter dem Visor etwa 25m vollkommen horizontal nach links wegführt. Komischerweise ist im Topo keine Schwierigkeit angegeben, so dass ich annehme, man könne darauf gemütlich hinüberspazieren. Geht auch die ersten 10m gut, dann wird das Ding verdammt eng. Ich komme mir vor wie James Bond, der auf einem Mauersims zum Nachbarfenster balanciert. Leider wölbt sich jetzt die Mauer, und ich muss unwillkürlich abspringen und mich mit den Händen am Sims festhalten (Bild unten). Verdammt, da bleibt nur übrig, den Allerwertesten hoch zu hieven und darauf rutschend zentimeterweise Distanz zu machen. Nicht sehr elegant, aber es funktioniert.

Ausstieg und Gipfel

Ein letzter Schreck noch: Ein 10m-Risskamin im Grad 5.8, für den ich einfach keine Sicherung legen kann. Was soll's - Piaz und hinauf, Kraft sparen ist nicht mehr nötig. Nun noch eine kurze Bohrhakenleiter (Bild rechts) und die zwei Seillängen zum Gipfel. Einige uns ungläubig anglotzende Wanderer fügen sich harmonisch in einen prächtigen Rundblick ein. Es ist 18:30h, wir haben also 13:30h benötigt - doch etwas länger als am Totenkirchl.

Rasch schießen wir die Seile auf und steigen über die drahtseilversicherte Ostschulter ab. Erstaunlich sind vier Wanderer im Aufstieg mit großen Rucksäcken - sind das Paragleiter? Sie verneinen. Nach einigermaßen unangenehmem Abstiegsgelände mit zwei Abseilern sind wir um 20h sind schon wieder bei unseren Schlafsäcken am Wandfuß. Da es gegen 20h dunkel wird, beschließen wir dort noch einmal zu übernachten, um gemütlich am nächsten Tag ins Tal abzusteigen. Also laben wir uns an der dortigen Quelle (mit nur 2,5l pro Tag ist man doch recht durstig) und blicken noch einmal in die grandiose Wand nach oben.

Plötzlich ein Zischen über uns. Instinktiv springen wir auf, denn wir befürchten Steinschlag, den es hier häufig gibt. Ein riesiger Schatten stürzt vom Visor aus direkt auf uns zu. Mir bleibt fast das Herz stehen. Doch plötzlich gewinnt der Schatten Distanz von der Wand und zieht noch hoch über uns Richtung Tal. Jetzt schießt es mir durch den Kopf - ein "Base Jumper"! Davon habe ich gelesen, aber es noch nie gesehen. Ich weiß auch, dass das hier im National Park streng verboten ist. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen, dazwischen so Art Schwimmhäuten, flitzt er an uns vorüber und um eine Kante ins Tal. Hoffentlich hat er seinen Fallschirm noch gezogen, wir haben jedenfalls nichts gesehen.

Nach fünf Minuten lösen sich nochmals drei Punkte vom Visor - noch drei Base Jumper. Diese bleiben näher an der Wand und ziehen Ihre Schirme etwa 100m über uns. Wir hören einen den anderen zurufen: "I can't belive I jumped fucking Half Dome...!". Na ja, gilt abgewandelt auch für uns: "I can't believe we climbed fucking Half Dome". Man drückt sich hier wohl so aus...

Bergsteiger: Christian Dreyer, Alexander Ruckensteiner

Besteigungsdatum: 16.7.2002

Anmerkung der Redaktion: Auf die Frage, wie lange denn der ganze Trip gedauert hat, bekamen wir von Christian folgende Antwort:

....ich war insgesamt 8 Tage weg, 11.-19.7. Man fliegt 12h nach San Francisco und fährt 4hAuto nach Yosemite. Dann 3-4 Tage zum Einklettern im Granit (gewöhnungsbedürftig!). Für den Half Dome selbst braucht man dann nur zwei/drei Tage: Zustieg+Einrichten 3 SL (3h+3h) , Wand (13,5h), Abstieg (3-4h). Die meisten Leute machen aber 1 Biwak auf Big Sandy Ledge, manche auch 2 Biwaks...

Topo der REGULAR NORTHWEST FAS als PDF

Webtipp:

Die Topoführer von Supertopo.com; die meisten Topos gibt es aber nur gegen Bezahlung...

Ähnliche Neuigkeiten:


Kommentare

Neuer Kommentar
Zum Verfassen von Kommentaren bitte anmelden oder registrieren.