Herbert Tichy und seine Puch Herbert Tichy und seine Puch
07 Oktober 2025

Herbert Tichy – Der stille Bergsteiger zwischen Himmel und Geschichte

Ein Wiener Abenteurer, der die höchsten Gipfel der Welt suchte – nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Sehnsucht

Zwischen Himalaya und Heimat blieb er ein leiser Pionier mit Blick für das Menschliche.

Herbert Tichy war vieles zugleich: Geologe, Schriftsteller, Reisender – und vor allem ein Bergsteiger, der den Aufstieg als innere Bewegung verstand. Geboren am 1. Juni 1912 in Wien, gehörte er zu jener Generation von Alpinisten, die das Bergsteigen nicht als sportliche Leistungsschau, sondern als Begegnung mit der Welt begriffen. Sein Name steht vor allem für die Erstbesteigung des Cho Oyu im Jahr 1954, doch Tichys Bedeutung reicht weit über diese Tat hinaus.

Schon früh zog es ihn hinaus. Nach dem Studium der Geologie und Naturgeschichte an der Universität Wien reiste er in den 1930er Jahren durch Indien, Afghanistan und Tibet – meist allein, mit bescheidenen Mitteln und unerschütterlicher Neugier. 1935/36 verkleidete er sich als Pilger, um den heiligen Berg Kailash zu umrunden – ein Wagnis, das westlichen Forschern damals verboten war. Diese Reise prägte ihn tief: Sie lehrte ihn Demut vor dem Fremden, Achtung vor spiritueller Erfahrung und eine Skepsis gegenüber jeder Form westlicher Überheblichkeit.

Als Bergsteiger war Tichy ein Gegenentwurf zu den heroischen Gipfelstürmern seiner Zeit. Für ihn war der Berg kein Ort der Eroberung, sondern der Einkehr. Sein Stil war einfach, fast asketisch: wenig Ausrüstung, kaum Hilfstrupps, dafür Vertrauen in Erfahrung und menschliche Begegnung. Er verstand das Unterwegssein als geistige Disziplin, als Annäherung an das Wesentliche. Später schrieb er: „Das Maß der Höhe ist nicht der Gipfel, sondern das, was der Mensch in sich selbst überwindet.“

Sein größter Erfolg, die Erstbesteigung des Cho Oyu (8201 m) am 19. Oktober 1954, spiegelt diese Haltung wider. Gemeinsam mit Sepp Jöchler und dem Sherpa Pasang Dawa Lama erreichte er als erster Mensch den Gipfel – ohne Sauerstoffgeräte, ohne überdimensionierte Expedition, im Vertrauen auf Kameradschaft und Ausdauer. Die Unternehmung war unspektakulär, aber wegweisend: Sie zeigte, dass große Berge auch ohne militärische Planung und Materialschlachten bezwungen werden können. In seinem Buch Cho Oyu – Der Türkisgipfel schildert Tichy den Aufstieg nicht als heroischen Sieg, sondern als spirituelles Erlebnis – ein „Gespräch mit der Erde und dem Himmel“.

Über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus herrscht bis heute Uneinigkeit. Eine Studie nennt ihn als frühes Parteimitglied, andere Quellen betonen seine spätere Distanz zu jeder Ideologie. Sicher ist: Tichy trat nie als Propagandist auf. Seine Werke atmen Weltoffenheit und Empathie, sie zeugen von einem Mann, der in fremden Kulturen nicht das Exotische suchte, sondern das Gemeinsame. Seine Haltung war humanistisch und freiheitsliebend – ein stiller Widerspruch gegen jede Form von Machtdenken.

Nach dem Krieg lebte Tichy mehrere Jahre in China, wo er als Geologe arbeitete und das Alltagsleben eines von Umbrüchen geprägten Landes erlebte. Diese Zeit vertiefte sein Verständnis für kulturelle Vielfalt und menschliche Anpassungsfähigkeit. Später schrieb er Reiseberichte, die weit über das Genre hinausgingen: Sie verbanden ethnologische Beobachtung, naturwissenschaftliche Genauigkeit und poetische Sprache. Bücher wie Zum heiligsten Berg der Welt oder Weiße Wolken über gelber Erde machten ihn zu einem der bedeutendsten österreichischen Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Auch im Alter blieb Tichy ein Wanderer. Noch in den 1980er Jahren kehrte er regelmäßig nach Nepal zurück, besuchte Freunde im Khumbu-Tal und unterstützte lokale Hilfsprojekte. Für viele Sherpas war er nicht nur „Sahib“, sondern „Mitra“ – Freund. Seine Tagebücher zeigen einen Mann, der immer weniger die Höhe, sondern immer stärker die Nähe suchte: zu Menschen, zur Erde, zu sich selbst.

Am 26. September 1987 starb Herbert Tichy in Wien. Seine Beisetzung fand ohne großes Aufsehen statt – ganz in seinem Sinn. Doch sein Werk und seine Haltung wirken fort. Tichy gilt heute als Symbol eines anderen Alpinismus: eines, der auf Zuhören, Wahrnehmen und Respekt gründet. Zwischen Gipfel und Geschichte, zwischen Ruhm und Zweifel bleibt er eine leise, aber kraftvolle Figur – ein Mann, der die Höhen der Erde suchte, um die Tiefe des Menschen zu verstehen.

Das Erbe lebt weiter: Der Herbert-Tichy-Verein „Menschenwege – Götterberge“ bewahrt heute sein geistiges und materielles Vermächtnis. Er pflegt Tichys Nachlass – Tagebücher, Fotografien, Manuskripte – und veröffentlicht seine Werke in der Edition Sonnenaufgang. Der Verein organisiert Vorträge, Lesungen und Trekkingreisen in Nepal, die seinem Geist folgen: respektvoll, neugierig, weltoffen. So bleibt Tichys Idee eines „menschlichen Bergsteigens“ lebendig – als Brücke zwischen Kulturen und Generationen. Aktuell wurde das Buch von Herbert Tichy "Zum Heiligsten Berg der Welt" neu aufgelegt. 

Mehr dazu unter www.herbert-tichy.at



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