Simon Gietl und Vittorio Messini nach 47:16 Stunden beim Lucknerhaus. Simon Gietl und Vittorio Messini nach 47:16 Stunden beim Lucknerhaus.
05 Juni 2018

North 3 – trotz Schlechtwetter in 47 Stunden und 16 Min.

Simon Gietl und Vittorio Messini machen 3 Alpenwände, 9535 Hm und 391 km in 47 Stunden und 16 Minuten.

Im Jahr 1991 gelang den Südtirolern Hans Kammerlander und Hans Peter Eisendle die Durchsteigung der Ortler Nordwand und der Große Zinnen Nordwand innerhalb von 24 Stunden – die 246 km dazwischen wurde „by fair means“ mit dem Fahrrad zurückgelegt. Fast 30 Jahre später wollten die beiden Alpinisten Simon Gietl und Vittorio Messini noch eines drauflegen und innerhalb von 48 Stunden die Nordwände von Ortler, Großer Zinne und Großglockner durchsteigen.

Die beiden hatten sich ein Zeitfenster von zwei Wochen reserviert, denn später hinaus in den Juni wollten sie das Unternehmen nicht schieben. Vittorio Messini: „Wenn's mal 30° und mehr hat, hast du in den Nordwänden nichts mehr verloren.“ Das Wochenende davor war das Wetter zwar sehr schön, mit dem vielen Neuschnee war es aber in den steilen Nordwänden wegen der Lawinen viel zu gefährlich. Das Wetter war zwar nicht optimal prognostiziert, die Hoffnung auf Wetterbesserung und der Optimusmus waren aber da.

Wildes Schneetreiben in der Ortler Nordwand

Der Startschuss fiel am 27. Mai um 19.00 Uhr in Sulden, am Fuße des Ortlers – und das Wetter war schlecht. 4 Stunden später waren Simon und Vitto im sog. Flaschenhals mitten in der Ortler Nordwand und Frau Holle hat die Federdecken ordentlich ausgeschüttelt. Im dichten Schneetreiben funkten die beiden zwei Bergführer an, die auf dem Normalweg beim Lomardi-Biwak waren. Dort war der Schneefall nicht so stark und so stiegen die beiden weiter durch die Nordwand auf und erreichten um 0:35 Uhr den Gipfel des Ortlers. Vom Gipfel ging es dann auf Skiern zum Lombardi-Biwak und durch die Trofaier Eisrinne zur Berglhütte und weiter nach Drei-Brunnen.

Vittorio Messini: „Die Ortler Nordwand war das gefährlichste der gesamten Tour. Neben den objektiven Gefahren bedrohten auch Sercas die Route. Es hat im Bereich des Flaschenhalses wild geschneit, es hat angefangen kleine Schneerutsche zu geben. Vom Normalweg bekamen wir die Info, dass es immer noch stark schneit aber nicht blitzt. Wir entschieden für eine halbe Stunde weiter zu gehen – wenn es mehr geworden wäre, hätten wir absteigen oder irgendwo warten müssen. Es ist aber etwas weniger geworden und wir haben zügig den Ortler Gipfel erreicht."

Beginnend auf der Stilfserjochstraße bei Drei Brunnen starteten die beiden mit dem Fahrrad in Richtung der Drei Zinnen. Auch auf der 246 km langen Radstrecke war der Wettergott nicht immer auf ihrer Seite, sie erreichten aber trotz Regen und Kälte ihr Radziel bei bei der Auronzo Hütte.

Vittorio Messini: „Natürlich sind wir beide keine Oberradfahrer, wir hatten aber vorher schon etwas trainiert. Ich war ca. 15 Mal davor mit dem Rennrad unterwegs. Die Strecke hinauf zur Aurozo Hütte war aber dann doch richtig zach. Die Straße ist sehr steil und nach Ortler und 240 Kilometer Radfahren noch mal Gas zu geben war eine Herausforderung. Auch hatte ich seit Bozen Knieschmerzen, die sich am Schlussanstieg wieder massiv bemerkbar machten“.

Große Zinne Nordwand – Kleine Zinne Gelbe Kante

Noch am Abend erreichten die beiden die Nordwand der Großen Zinne und stiegen über den Vorbau in die Comici-Route ein. Wegen des schlechten Wetters musste schweren Herzens abgebrochen werden und die beiden seilten sich hinunter zum Einstieg ab. Aber Aufgeben wollten die zwei nicht – sie gingen an die Südseite der Kleinen Zinne und stiegen dort an der vom Wetter etwas begünstigten „Gelben Kante“ (6+) in nur 1,5 Stunden auf den Gipfel der Cima Piccola. Die Enscheidung veränderte zwar den Titel der Unternehmung, musste doch eine der drei Nordwände durch eine Südwand ersetzt werden.

Vittorio Messini: „Wir haben schon gewusst, dass die Comici-Route in der Nordwand nass ist, wir sind die Route eine Woche davor geklettert und die Hälfte der Route war nass. Als wir jetzt aber hingekommen sind hat es den ganzen Nachmittag geregnet und die Wolken von Norden genau in die Wand gedrückt. Die Wand war platschnass, es hat sogar aus den sonst immer trockenen gelben Überhängen runter getröpfelt. In der dritten Seillänge mussten wir entscheiden, ob wir jetzt noch probieren weiter zu murksen. Es war aber zu gefährlich, wenn einer beim gleichzeitigen Klettern (am Stand ein Tibloc eingehängt) ausrutscht und du kannst nicht Tibloc gehen, wenn das eine Rutschpartie ist.“

Die Entscheidung anderes als geplant weiter zu machen

Nach dem Abseilen gingen die beiden wieder zum Einstieg und sie sagten sich: „Machen wir das Beste daraus“ und so fiel die Entscheidung auf die auch von Emilio Comici erstbegangene Route „Gelbe Kante“ an der Südseite der Kleinen Zinne. Die Südseite der Zinnen war Wetterbedingt deutlich besser und so erreichten die beiden schon nach 1,5 Stunden den Gipfel der kleinen Zinne (2856 m). Da in der Rinne zwischen Großer und Kleiner Zinne viel Schnee lag, wurde über den Normalweg abgestiegen.

Vittorio Messini: „Nach dem Abbruch an der komplett nassen Nordwand der Großen Zinne wurde spontan entschieden anders weiter zu machen. Wenn wir uns schon die Plagerei angetan haben mit dem Fahrrad zur Auronzo Hütte hinauf zu fahren, dann wollten wir schon mit etwas Kletterei belohnt werden.“

Es folgte die Fahrt von den Drei Zinnen nach Heiligenblut und noch einmal wurde den beiden Bergsteigern auf der für sie ungewohnten Disziplin „Rennrad-Fahren“ alles abverlangt. Durch das Pustertal nach Lienz und dann über den kurzen, aber scharfen Anstieg am Iselsberg ins Mölltal und nach Heiligenblut. Im Ortsteil Winkl ging es dann wieder zu Fuß weiter.

Vittorio Messini: „Im Mölltal haben wir angefangen irgendwie Schlangenlinien zu fahren. Dann schaue ich mal kurz hinüber zu Simon und er schaut nur mit einem Auge, das andere hatte er zu. Hey, jetzt ist fertig, jetzt müssen wir einfach einmal anhalten, denn sonst passiert da noch etwas. Wir haben dann ca. 10 Minuten im Begleitbus geschlafen. Diese kurze Schlafphase hat uns voll geholfen, danach ging es wieder deutlich besser weiter.“

Dichter Nebel an der Großglockner Nordwand

Die beiden gingen taleinwärts und erreichten die Pasterze (der größte Gletscher Österreichs), dort waren sie auch wieder „online“, da ihnen die auf den Fahrrädern vergessenen GPS-Tracker von der Begleitmannschaft gebracht wurden. Wieder war das Wetter schlecht, es regnete leicht aber es gab zum Glück kein Gewitter.

Auf dem Glocknerkees unterhalb der Nordwand zog es dann aber komplett zu – der Nebel machte es fast unmöglich den Einstieg der Mayerl Rampe zu finden. Die beiden brauchten satte zwei Stunden, bis sie dann doch den Weg zur Mayerl Rampe fanden und dann recht zügig vorran kamen. Auf dem Nordwestgrat erreichten sie gegen 16 Uhr den Gipfel des Großglockners (3789 m) und hatten ihre dritte Wand innerhalb von 48 Stunden „by fair means“ bezwungen.

Vittorio Messini: „Ich bin die Mayerl Rampe schon ein paar Mal gegangen, aber wir haben den Einstieg im Nebel einfach nicht gefunden. Auf dem Track sieht man ja, wir sind da fast 2 Stunden am selben Fleck gewesen – es hat alles gleich ausgeschaut. Wir sind immer ein Stück rauf, dann weiter runter, denn wir dachten, das passt doch nicht. Runter, rauf, rechts und links – irgendwann haben wir die Mayerl Rampe dann aber gefunden und wir hatten perfekte Bedingungen. Gleich wie am Ortler sind wir alles seilfrei aufgestiegen, es hatte gerade so viel Schnee, dass man etwas halt hatte. Von dem Mayerl Rampe Einstieg bis zum Gipfel haben wir nicht mal eine Stunde gebraucht.

Es folgte der Abstieg an der Südseite. Auf dem Normalweg hinunter zur Adlersruhe, weiter über das Ködnitzkees hinunter ins Ködnitztal. Nach genau 47 Stunden und 16 Minuten erreichten Simon Gietl und Vittorio Messini das „Ziel“ beim Lucknerhaus. Erschöpft aber mit ihrer gewaltigen Leistung doch recht zufrieden wurden die letzten Meter – natürlich im Regen – zurückgelegt. Das Lächeln in Simons und Vittos Gesicht sagt eigentlich alles, was man über die 47:16 Stunden, die 391,4 Kilometer und die 9535 Höhmenmeter noch erzählen kann.

Fotos: Vittorio Messini bzw. Salewa

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