Oberster Gerichtshof: Erfrieren ist kein Unfall - ein Kletterer zog sich nach einem Sturz in der Eiger Nordwand schwere Erfrierungen zu und wollte von der Unfallversicherung Ersatz.
Der Kläger und sein Kletterpartner kletterten durch die Eiger-Nordwand. Als ein Stein, auf dem der Kläger mit den Frontalzacken seiner Steigeisen gestanden war, plötzlich ausbrach, stürzte er ins Seil. Durch diesen Sturz erlitt der Kläger keine Verletzungen, allerdings traten im Kniebereich seiner Hose 2 bis 4 cm lange Risse auf, im Bereich des Oberschenkels wurde die Hose abgeschürft. Der Kläger und sein Kletterpartner setzten ihre Tour bis zum Gipfel fort. Infolge Durchnässung der Hose und dem Feuchtigkeitseintritt erlitt der Kläger Erfrierungen an beiden Vorfüßen, die eine Vorfußamputation notwendig machten.
Der Oberste Gerichtshof verneinte einen Anspruch aus der Unfallversicherung mit der Begründung, dass der Kletterer durch den Sturz nicht so in seiner körperlichen Funktionalität (in diesem Fall Fortbewegungsmöglichkeit) beeinträchtigt wurde und in eine hilflose Lage geriet, die dann zur Erfrierung geführt hat.
Quelle: OGH
Der deutsche BGH entschied am 24.09.2008, dass ein Unfall vorliege, wenn ein Kletterer durch ein hinzutretendes äußeres Ereignis in seiner Bewegungsfreiheit so beeinträchtigt werde, dass er den Einwirkungen von z.B. Kälte oder Hitze hilflos ausgesetzt sei. In einer Vorentscheidung aus dem Jahr1962 wurde als ein solches Ereignis das Verhängen des Kletterseils ohne unmittelbare Körperschädigung angesehen, was zur Folge hatte, dass der Versicherte in einer Bergwand festgehalten wurde und infolgedessen erfror.
Quelle: OGH 7Ob79/16t
Ein anderer Bergsteiger- Erfrierungs -Fall wurde auch bereits letztes Jahr vom OGH abgewiesen. Dabei zog sich ein Bergsteiger auf der Nollen-Route am Mönch auf ca. 4000 m Seehöhe Erfrierungen zu, nachdem er und sein Partner trotz guter Vorhersage von einem Sturm überrascht wurde und auf vereisten Fels trafen. Auch diese Bergsteiger waren lt. Gericht auf ihrer Tour in keiner Notsituation, sondern haben die schwierigen Verhältnisse alpintechnisch richtig gemeistert Sie haben den Aufstieg fortsetzt und sich nicht für den weit schwierigeren Abseil-Abstieg entschieden. Siehe OGH, 7Ob79/16t.
Fazit: Erfrierungen sind grundsätzlich kein plötzliches Ereignis, weil sie sich im Rahmen eines längeren Prozesses entwickeln. Dies trifft in der Regel auf die meisten klassischen Erfrierungen bei Bergtouren zu. Kommt man durch einen Sturz, Steinschlag oder ein anderes äußeres Ereignis so zu Schaden, dass man sich nicht mehr fortbewegen kann und erfriert deshalb, kann ein Unfall vorliegen. Im Eiger-Nordwand-Fall hätte die Unfallversicherung vielleicht bezahlen müssen, wenn der Bergsteiger nicht weiter geklettert wäre und einen Notruf abgesetzt hätte. Die aktuelle OGH Entscheidung fördert jedenfalls, den „Bergen lassen ohne Not“ Trend. Die beiden Bergsteiger befanden sich in einer der schwierigsten Nordwände der Alpen, eine Bergung wäre vermutlich nicht ganz einfach gewesen und hätte evtl. die Bergretter in Gefahr gebracht. Vielleicht hätte die Bergung sogar länger gedauert als der weitere Aufstieg, was eventuelle zu noch größeren Erfrierungen oder Schäden geführt hätte.
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