Das Bedürfnis nach Freiheit gehört wohl zur tiefsten Sehnsucht eines jeden Menschen.
Es liegt an uns, sich ein Optimum an Freiheit zu erobern und sich der Ketten der Notwendigkeit zu entledigen. Mit diesen Gedanken, beginnen alle Projekte, die Menschen fähig sind zu leisten. So auch diese Geschichte, die ohne Familie, Freundschaft, Schmerz, Erfolg und Niederlage nicht auskommt!
Gastein, am 24. Januar 2010
Einen Fuß vor den anderen, flüstert eine gepeinigte Stimme in mir. Die schwere Last auf meinen Rücken lässt mich mit meinem inneren Schweinehund ums Weitergehen kämpfen.
Der eineinhalbstündige Zustieg zum Austragungsort der Spiele ist hart, und fordert mir und meinen Mitstreitern einiges an Körperwasser ab.
Es hilft alles nichts, dass Material muss rauf, sonst wird das mit dem Film auch nichts.
Wenn man bedenkt, dass wir das ganze Zeug , nach behördlichen Missverständnissen zum zweiten mal raufscherpern, bin ich fasziniert, wie viel Motivation und Begeisterung das ganze Team an den Tag bringt. Der Rückschlag vor zwei Wochen ist abgeklärt und die Aufbauarbeiten zur letztmöglichen Abwicklung des Projektes sind gut koordiniert und laufen souverän ab.
Zwei Tage noch, dann kann ich das, was ich in der Nacht träume, endlich in der Realität leben
Jetzt gilt, sich gut zu erholen und aktiv zu regenerieren. Ich fühle mich gut, der Körper ist durch das harte Training gut vorbereitet, trotzdem kommen Zweifel auf und die Angst zu Versagen drückt mir etwas aufs Gemüt. Meine Freunde, haben große Opfer gebracht und verlassen sich auf mich. Red Bull hat mit einem starken und angagierten Team sehr viel investiert um uns unsere Leidenschaft zu ermöglichen. Das macht es nicht einfacher. Die Erwartungen sind hoch und eine Schlüsselszene im Verlauf des Projektes lassen meine Gehirnnerven vermehrt Verbindungen eingehen.
Eisklettern ist und bleibt eine Risikosportart. Alpine Gefahren, wie Eisschlag, Lawinen, extreme Kälte, sehr hohe physische und psychische Anforderungen an den Athleten machen diese Sportart zur Königsdisziplin im Bergsport.
Runder Tisch
Am Vortag zum 27. war der runde Tisch angesagt. Das Team um Rob Hakenberg von Outdoor Leadership, Regisseur Thomas Kretschmer mit seinem Gefolge und den drei Akteuren haben sich eingefunden um sich für einen reibungslosen Verlauf des Folgetages, Gedanken zu machen. Sofern man das im Extrembereich überhaupt sagen kann.
Auch der Extremkletterer und Fotograph Beat Kammerlander schließt sich diesen Abend unserer Runde an. Ganz locker, lustig, aber sachlich gestalten wir diesen Abend. Die Kamerapositionen werden festgelegt und der Ablauf ist unter Berücksichtigung aller objektiven Gefahren klar definiert.
Mir ist klar, diese Truppe von Vollprofis, stellen hohe Anforderungen an uns Protagonisten. An Schlaf ist nicht zu denken, als ich mich nach beendeter Diskussion Zuhause ins gemachte Nest lege. Die Anstrengungen der Tage zuvor, drücken mir dann doch die Lieder zu. 5 Stunden später rase ich mit140 Sachen ins benachbarte Dorf um in der Werkstatt noch die Helmkamera zu montieren die wir am Vortag entgegengenommen haben. Im gleichen Tempo eile ich zurück, um die Termine einzuhalten.
Startschuss für ein hochkarätiges Abenteuer
27. Feb. 6. 30 Uhr, minus 10 Grad. Die Klingel zu meiner Wohnung läutet. Das ist der Startschuss für ein hochkarätiges Abenteuer. Ich drücke meiner kleinen Tochter und meiner Frau noch einen Kuss auf die Wange. Diese Liebe lässt mich immer wieder nach Hause zurückkommen. Das Equipment gepackt, mit offenen Schuhen, gestresst und hellwach steige ich in das Auto meiner Freunde ein. Gerald Zussner, ein langjähriger Begleiter und Freund im steilen Eis lenkt das Fahrzeug. Seine Ruhe, Souveränität und Erfahrung in den Bergen rangen mir immer wieder Höchstleistungen ab. Der Beifahrersitz wurde gewärmt von einem jungen Wilden, belastbar und stark.
Ich lernte Alexander Holleis, bei einem Eistrip nach Norwegen kennen und schätzen. Wir bildeten im Eiswinter 2009 eine starke Seilschaft in den Icebigwalls von Norwegen. Diese beiden sind für mich der Schlüssel, für einen tollen und erfolgreichen Tag im extremen Gelände. Sie haben mein volles Vertrauen. Die Fahrt verlief ruhig. Ich glaube, jeder von uns hatte mit sich noch ein Wörtchen zu reden.
Aufstieg in Eisarena
Am Ausgangspunkt und Parkplatz wird noch gewitzelt, denn das Wetter und die Stimmung sind gut. Wir treffen uns mit dem Werfener Huber Rupert, der die Moderation während des Geschehens übernehmen wird. Ich lernte Rupert vor vielen Jahren, beim Sportklettern kennen. Wir verloren den Kontakt für eine Weile, bis wir uns beim Eisklettertraining in der Thun-Klamm wieder über den Weg liefen. Seitdem sind wir regelmäßig unterwegs und ergänzen uns in allen Spielformen des Alpinismus. Endlich sind die Musketier wieder vereint.
Die Rucksäcke sind leicht, da die essentiellen Dinge fürs Klettern schon am Einstieg angebracht wurden. Eine Crew von Bergsteigern, Filmleuten und Photografen sind schon früher gestartet, um alle Vorkehrungen für einen raschen Anfang zu treffen. Der Faktor Tageserwärmung ist heute unser größter Feind, im Kampf gegen die Zeit. Mit herabfallenden Eisgeschossen, die sich aus der Wand lösen, möchte ich heute nicht konfrontiert werden. Mit zügigen Schritten, machen wir uns an den Aufstieg in die 1400m hoch gelegene Eisarena.
Diese Ecke des Gasteinertales gehört wohl zu den wildesten im Bezug auf das Eisklettern weltweit. Auf engstem Raum zieht hier eine Superroute nach der anderen ins Höhkar hinauf. Eine längerandauernde Kälteperiode und eine nord- nordostseitige Exposition, ließen auch heuer wieder gigantische Eismaßen herabwachsen.
Nonstopbegehung dreier Monster
Die Verhältnisse wurden sorgfältig gewählt, den eine Nonstopbegehung im Eis an drei dieser Monster steht heute an der Tagesordnung. Die letzten Schritte, zu einem ausgetretenen Platz am Fuße der Arena, lassen dann jegliche Spannung von mir abfallen. Viele lässige Leute werken schon mit großem Angagement und Begeisterung und geben mir den nötigen Enthusiasmus um ein Wahnsinns Abenteuer, heute unvergesslich zu machen. Geri, Alex und ich teilen die Ausrüstung auf. Automatisierte Handgriffe lassen Proffesionalität aufkommen. Der Krankenpflegerlehrer, der Industriedesigner und der Tischler wollen heute wissen wo ihre Grenzen liegen. Immer wieder schaue ich hoch.
Die Eisgiganten thronen hoch über uns, die, die sie „Supervisor, Mordor und Rodeo nennen. Der Letztere, weißt schlechte Verhältnisse auf, das uns zwingt über eine noch nie bestiegene Linie unser Glück zu versuchen. Angsteinflössend schaut sie herab, eine 100m hoch gelegene überhängende Verschneidung, wo am unteren Ende eine filigrane Eissäule den Anfang dieser Seillänge einleitet. Der kompakte Granit mit einer feinen Rissspur, führt hinauf in ein 1,5m ausladendes Dach. Ab dann geht es weiter, in, vom Felsen abgehobene Eisglasuren, im immer noch überhängenden Kombigelände. Besorgt schaue ich auf mein kleines Sortiment an Stoppern und kleinen Friends, die ich für diese Psycholänge ausgewählt habe.
Supervisor
Zuerst aber steht der 270m hohe, im 6ten Eisgrad angesiedelte „Supervisor“ auf dem Programm. Die Zeit läuft, denn der Eisfall bekommt gegen 9 Uhr die Sonne im oberen Drittel zu spüren und wir laufen dann Gefahr von herabstürzenden Eisbrocken getroffen zu werden. Hastig werden wir noch für die Aufnahmen präpariert. Die Helmkameras und das Mikro werden angeschalten, dann stapfen wir voll konzentriert, die letzten Meter bis zum Einstieg.
Die Seile geschultert, steigen wir seilfrei über den Vorbau, bevor sich der gefrorene Wasserfall senkrecht vor uns aufbaut. Gewohnte Griffe, und schon bin ich am scharfen Ende des Seils eingebunden. Dieser Umstand sollte sich bis zum Schluss nicht verändern. Einstiegszeitpunkt war genau um 9 Uhr.
Beim ersten schwingen der Eisbeile merke ich wie zäh und spröde das Eis durch die tiefen Temperaturen der letzten Tage geworden ist. Ökonomisches schlagen und der Verzicht auf Zwischensicherungen lassen mich schnell vorankommen. Die Taktik ist klar. Laufendes Seil auf den ersten 100m. Die modifizierten Hauen meiner Eisgeräte geben mir Sicherheit, da wenig Sprengwirkung auf das penetrierte Eis einwirkt. Wir klettern mit 60m Halbseilen, in einer Dreierkonstellation.
Ein kleiner Ruck reißt mich aus meinem Rythmus. Der Strang, an dem unser Leben hängt ist ausgeklettert und hastig setze ich eine 16cm lange Eisschraube die als einziger Haltepunkt für die nächsten 40m ausreichen muss. Nun gibt’s kein zurück mehr. Das erstklassige Material, das perfekt an unsere Körper angepasst ist, kommt jetzt voll zum Einsatz. Eine riesige Wolke aus lockerem Schnee, die sich aus der tief winterlichen Wand gelöst hatte, hüllt uns ein und lässt uns kurz innehalten. Die Jungs steigen gewohnt schnell nach und lassen mir keine Verschnaufpause. Ein Spinndrift nach dem anderen fegt über uns hinweg und füllt unsere nicht geschützten Körperstellen unangenehm mit Schnee.
Ganze Seilschaft an einer Schraube
Die ganze Seilschaft hängt an einer einzigen Eisschraube und man lässt den Gedanken an einen Fehler, erst gar nicht aufkommen. Ich werde langsamer und umsichtig schaue ich nach einem ordnungsgemäßen Standplatz, der einigermaßen Schutz vor herabfallenden Eisteilen gibt, die sich im Vorstieg lösen und nicht vermeiden lassen.
Das Tempo ist hoch und ich versänke zwei gute Schrauben, denen wir unser Leben anvertrauen müssen. Die Karabiner mit Selbstsicherung und der Sicherung für die Nachsteiger werden eingehängt. Hastig ziehe ich das Restseil ein und genieße die Ausgesetztheit in dieser alpinen Kulisse. Ein Blick nach oben lässt mich erkennen, dass Reichelt Max, einem Alpinisten unter den Kameraleuten, sein Gerät voll auf uns draufhält. Rechts von mir steigt Kammerlander Beat am Fixseil auf, um in der Schlüssellänge die richtige Höhe, für hochqualitative Fotos zu bekommen. Gegenüber, im Rodeo hat uns der Extremkameramann Hinterbrandtner Franz voll in die Totale genommen.
Jetzt machen sich die aufgebauten Aluminiumpodeste, die wie Adlerhorste hoch oben in den Wänden montiert wurden, bezahlt. Die angebrachten Fixseile lassen einen flexiblen und schnellen Standortwechsel der Kameraleute zu.
Geri und Alex kommen zum Stand. Sie klettern in perfekter Technik am Eisschild empor. Es wird schnell umgebaut. Jeder hat seinen Aufgabenbereich und setzt somit die Voraussetzung für eine gut funktionierende Maschine. Die Schlüsselseillänge beginnt mit senkrechten, abwechselnd röhrigen und kompakten Eis, die in eine überhängende Wandzone ausläuft.
Schaut mal rauf, Jungs
Eine große Kathedrale aus Eis bäumt sich vor mir auf. Schnell wird noch eine letzte Schraube, die zweite für diese Länge, reingedreht bevor es anschließend, kompromisslos und ohne zu zögern, auf die wunderschöne Eissäule hinausgeht, die an Ausgesetztheit kaum noch zu überbieten ist. Am Kopf der Säule bildet sich ein Wulst aus auf dem ich einigermaßen bequem Stand machen kann.
Kaum eingehängt, spurten Geri und Alex unten los. Mit hoher Frequenz klettern sie die Schlüsselpassage. Erst jetzt habe ich etwas Zeit, um die Akrobatik, die für ein gutes Foto erforderlich ist, mitzuverfolgen. Die Seile sind zur Gänze eingeholt und meine Freunde stehen neben mir auf dieser 200m gelegenen Stufe mit Luxusausblick. Wir haben die Eisschlagzone hinter uns gelassen. „Schaut mal rauf, Jungs“ schallt es in vorarlbergerischem Hochdeutsch, bevor Beat wieder eine Serie abknipst.
Einige Handgriffe später, starte ich in die letzte Seillänge, die nur noch Schwierigkeiten bis zum 5ten eisgrad aufweißt. Ich genieße das, durch die Sonne angewärmte Eis und die letzten Meter zum Ausstieg. Reichelt Max hat über das Fixseil ebenso das Ende der Route erreicht und filmt die letzten Bewegungen ab. „Stand“.“Nachkommen“ Auf Kommando, steigen Geri und Alex die letzte Länge nach und genießen sichtlich die UV- Strahlen, die im steilen Winkel auf uns einwirken. Oben angekommen, wird der Handschlag zelebriert und wir freuen uns über eine erstklassige Kletterei und einer Zeit von 2 Stunden durch diese 270m hohe senkrechte Eiswand.
Emotionen auf Band
Wir tanken noch etwas an Sonne, bevor es wieder runtergeht in den kalten Kessel der Eisarena. Die letzte Wärme des Tages wird gespeichert und dann ab an den Fixseilen runter zum Ausgangspunkt. 80 Meter führen uns zuerst auf die Plattform, die als genialer Standplatz für Kamera und Koordinator Rob funktionierte. Dann weiter an 200m Seil bis zum Boden. Die erste Vertikale liegt hinter uns.
Gestärkt aus dieser souveränen Vorstellung joggen wir rüber zum Depot. Da wartet auch schon Thomas Kretschmer, der Regisseur der Produktion und ringt uns Emotionen ab die er auf Band aufzeichnet. Zu dieser Zeit noch an seiner Seite, der Kameramann Eduardo Gellner, der eine sehr feine Klinge im Umgang mit seinen Gerät beweißt.
Wir rüsten um. Die feine Auswahl an mobilen Sicherungsgeräten, wird am Gurt eingehängt. Jetzt geht’s ans Eingemachte. Die wiederaufladbaren Batterien für Ton und Kamera werden gewechselt. Ich atme tief durch, denn ich weiß, dass es jetzt um alles geht.
Monster 2
Adjustiert machen wir uns auf den Weg zur 2ten Route des Tages. Eduardo machte sich nun mit seinem Equipment daran, zu einem Adlerhorst aus Alu aufzusteigen, dass zwischen Mordor und Supervisor angebracht wurde um eine Totale von der Erstbegehung einzufangen.
Seilfrei über den Vorbau, knüpfe ich mich danach wieder mit beiden Strängen in die Seilschaftskette ein. 60m im unteren 6ten Eisgrad, mit Verzicht von Zwischensicherungen führen mich bis unter die genannte Verschneidung, etwas rechts der fragilen Eissäule.
Der Stand ist nicht optimal, doch jetzt heißt es die Zähne zusammenbeißen und durch. Halb hängend, halbstehend sichere ich meine beiden Kollegen zu mir herauf. Die Schrauben sind in schlechtem Eis mit Schneeeinschlüssen verankert und zeugen nicht gerade von einem vertauenserweckenden Zustand.
Linie über filigranes Eis
Kurzer Umbau, mit gekonnten Tritten, lassen den Standplatz zu einer imaginären Zirbenstube mutieren. Kurzer Check. Ich bin gesichert und es trennen mich noch 6m vom Einstieg in die Säule. Das Eisgebilde ist ca. 3m hoch und vibriert bei jedem feinfühligen Schlag meiner Eisgeräte. Am Sockel der Säule setze ich noch eine kurze Schraube um den schlechten Stand, an dem meine Kameraden hängen, im Falle eines Sturzes etwas zu entlasten.
Danach führt mich die Linie über das filigrane Eis bis unter ein kleines ausladendes Dach, wo ich einen Klemmkeil als Zwischensicherung unterbringen kann. Danach folgt ein unangenehmer Aufsteher auf nach unten geschichteten Granit in eine vom Felsen zur Gänze abgehobene Eisglasur. Ich klinke einen Drehmomenthaken, den ich im Zuge von einer Abseilaktion schlagen musste, um nicht den Kontakt zur Wand zu verlieren.
Die Kletterei ist anstrengend und technisch extrem anspruchsvoll. Noch auf der Glasur stehend, taste ich mich mit den Pickeln einen feinen Riss entlang, der unter Belastung immer wieder nachgibt. Die Stelle ist verdammt trocken und die erhofften Placements sind nicht am Stein angefroren.
Wankelmutige Psyche
Ein Blick nach unten zeigt, dass im Falle eines Sturzes, wahrscheinlich nur noch die beiden Schrauben die den Stand bilden, das letzte sein wird was meine Körper auffangen. Jetzt muss was hergehen, sonst sieht es schlecht aus, mit einem Weiterkommen.
Ein großer Block unter dem Dach beschert mir eine passable Sicherung. Ein Klemmkeil der Größe 6 findet in einem sich verjüngenden Schlitz Verwendung. An beiden Eisgeräten hängend, auf abschüssigen Tritten stehend atme ich schnell um meine Muskulatur mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Doch eigentlich ist die Muskulatur nicht das Problem, vielmehr mein psychischer Zustand, der in diesem Moment ziemlich wankelmütig ist. Ich muss hier raus.
Der Felshook für mein rechtes Gerät ist gut. Die Haue verkeilt sich in einem tiefen Riss. Jetzt hooke ich links auf die 5cm dicke Glasur, die mir den Weg aus dem Dach weißt.
Das Halbgefrorene droht abzugleiten, da sie nur noch auf der Struktur des Felsens aufliegt und nicht wirklich eine zusätzliche Belastung aushalten würde.
Wie auf rohen Eiern steige ich mit meinen Monozacken gefühlvoll auf der feinen Spur entlang. Schlagen mit den Beilen würde nichts bringen, da ich sofort Felskontakt haben würde und meine Hauen dabei einen enormen Verschleiß erfahren. Ich brauche die messerscharfen Äxte um hier lebendig raus zu kommen. Der Felsen rund um die Glasur ist geschlossen.
Nervenkostüm Entlastung
Das letzte mobile Sicherungsmittel ist 10m unter mir. Ich habe keine Chance auf eine Sicherung, die meinem Nervenkostüm Entlastung bringen würde. Auf gleicher Höhe und einem Podest steht Hinterbrandtner Franz, der diesen Psychothrill mit der Kamera aufzeichnet und mir am liebsten die rettende Hand reichen würde, um mich auf die Plattform zu ziehen.
Keine Chance, über mir Granitplatten gespickt mit feinen Überzügen und Zapfen, die etwas an Zuckerguss und Konfekt erinnern und die mir alles an Klettertechnik abverlangen. Am liebsten würde ich mich in die nahe Konstruktion aus matt schimmerndem Metall einhängen, um dieser Qual ein Ende bereiten. Ein kleiner Eisknopf in der Granitplatte und ein feiner Zapfen mit einem gewachsenen Loch am Ende lassen einen möglichen Weg nach oben erahnen.
Zögerlich belaste ich die beiden Punkte und hebe meinen angespannten Körper an. Beim trainieren, riss mir einst so ein Eisgebilde durch und ich stürzte 10m bis auf den Boden eines zugefrorenen Bachbettes. Mit diesen Gedanken im Kopf, wich mein Blick keinen Millimeter von den gesagten Punkten ab. Ich versuchte so viel Gewicht wie möglich auf die Füße zu verlagern und es gelang mir anschließend beide Eisgeräte, in den darrüberliegenden Eispilz einzuhängen. Tief durchatmen! Immer noch keine Möglichkeit eine Sicherung anzubringen.
Wieder versperrte mir eine kompakte Felsplatte ein Weiterkommen und schön langsam zehrt es mir die Nerven aus. Ein feiner Spalt wurde sichtbar als ich meinen Körper etwas höher schob. Ich platzierte die ersten 2cm meiner Haue als Untergriff mit seitlicher Belastung in den Schlitz und presste mich nach Außen um Spannung aufzubauen. Vorsichtig bringe ich meine Füße nach, bis ich auf der Glasur stehe, auf der ich Minuten zuvor gehookt hatte. Keine Ahnung wo ich noch sichern kann. Die Letzte ist 15m weiter unten.
Heikle Situation
Auch am Kamerapodest liegen die Nerven blank. Mein Tunnelblick lässt mich nur nach oben schauen und ich habe alles um mich ausgeblendet. Es sind noch weitere 5 Meter, bis mehr Eis diese heikle Situation entschärfen würde. „Schau, ob du dort was unterbringen kannst“ ruft mir der Kameramann aus Berchtesgaden zu.
Wie wachgerüttelt, nehme ich das 3cm breite und 1cm hohe Loch im Felsen war. Ein Blick zum Gurt, an dem meine gesamte Ausrüstung baumelt, lassen mich einen Mikrocamelot hervorholen, der hier, wie ein Geschenk Gottes, Verwendung findet. Ich klinke einen Strang in die Verankerung ein. Meine Äxte sind jetzt im Eis darüber gut platziert.
Mein Focus scheint zurück, als sich plötzlich das Gefrorene unter meinen Füßen verabschiedet. Ein 30 kg schwerer Brocken, löst sich vom glatten Gestein und stürzt in die Tiefe. Als er dann noch ins Seil fällt, riss er mich fast aus der Wand. Das Adrenalin schoss mir durch die Adern und ließ mich die letzten Reserven meines angeschlagenen Körpers mobilisieren. Der herzförmige Muskel in meiner Brust, erhöhte kurzzeitig die Frequenz auf 250 Schläge pro Minute.
Jetzt stehe ich nur mehr auf glattem Fels und hänge voll in den Geräten. Ich stellte mich auf einen Abgang ein. Hält der Camelot, oder stürze ich 40m in die Tiefe? Die Folgen wären fatal. Die Angst vor dem Tod wächst mit dem Gefühl, nicht richtig lebendig gewesen zu sein.“
Unsicherheit ohne Panik
Die psychische Aufgabe, der man sich stellen kann und muss, ist nicht, sich sicher zu fühlen, sondern zu lernen, die Unsicherheit ohne Panik und unangebrachte Angst zu ertragen“. Der Klemmkeil mit seinen drei Segmenten gibt mir Zuversicht. Es ist wenigstens etwas, was das Seil an der Wand hält.
Eine überhängende Stufe noch, dann hätte ich die Möglichkeit eine kurze Schraube zu setzen. Gefühlvolle Schläge bringen mich meinem Ziel näher. Endlich erreiche ich das röhrige Eis und die nächsten zehn Meter sind nur noch senkrecht. Die feinen Zapfen verbinden sich allmählich zu einer kompakteren Eismasse. Das ist die Chance, die Extreme unter Kontrolle zu bringen. Die krallenförmigen Spitzen der 10cm langen Eisschraube gepaart mit einem Steilgewinde bohren sich schnell in das gefrorene Wasser. Geschafft! Ein gutes Körpergefühl, erlaubt es mir die überschüssige Spannung abzubauen.
Die 60m gehen dem Ende zu und auch diese Wandpassage verliert an Steilheit. Zwei 16er Schrauben im kompakten Eis, als Reihe miteinander verbunden ergeben den ultimativen Sicherungspunkt. Der Druck fällt ab. Ich setze mich ins Seil und als würden sie noch zu mir gehören, melden sich auch meine Finger wieder zu Wort die unten in der Verschneidung schon jegliches Gefühl verloren haben. Für diese eine Seillänge habe ich fast so lange gebraucht wie für den gesamten Supervisor.
Die Jungs sind sicher schon halb erfroren und müssen sich jetzt durch diese Barriere raufkämpfen. Noch ist mir warm, doch das wird sich schnell ändern bei dieser Lufttemperatur. Alex steigt als erster nach.
Extrem
Ich habe keinen Sichtkontakt zu den beiden, somit kann ich nur am Seilstrang ihrem Tun beiwohnen. Die ersten Meter von Alex scheinen reibungslos abzulaufen und ich ziehe flott das Seil ein an dem er eingebunden ist. Die Mittelpassage stockt etwas. Ich versuche nicht zu fest zu spannen, um ihn nicht aus dem Überhang zu ziehen. Er macht gute Meter. Die Bewegungen am Seil lassen einen verbitterten Kampf erahnen. Jetzt müsste er langsam auftauchen. Abgekämpft kommt er in mein Sichtfeld.
“Extrem“ -das war das erste was er rausbrachte, als er sich mittels Mastwurf zu mir in den Stand einklinkte. Als der 20 Jährige die letzten 15 m bewältigte, stieg Geri unten in die Schlüssellänge der Route ein. Eine feine Technik lässt den Hofgasteiner schnell höher kommen. Am Seil kann man seinen Einsatz regelrecht spüren. Auch er, erreicht den Stand ohne größere Komplikationen. Mit einem breiten Grinsen, überreichte er mir den verformten Drehmomenthaken, den er im Nachstieg rausgezogen hatte. Gruselig, mahnend baumelt das Souvenir am Karabiner.
Kurzes Aufatmen. Noch ist es nicht vorbei. Eine Seilänge führt mich im 4ten Grad hinauf, bevor sich die Tour zum Finale noch mal richtig steil aufbäumt. Die beiden Kämpfer stürmen nach.
Wieder starte ich los
Der Routine hängt mich in das Sicherungsgerät ein und wieder starte ich los. Ein würdiger Abschluss erwartet mich auf den letzten sechzig Metern. Das Wasser des Höhkars bildete eine super Säule die nur darauf wartete bestiegen zu werden. Eine schnelle Bewegungsabfolge und konzentrierte Hiebe bringen mich on Top dieser Erstbegehung. Nichts wie raus hier.
Franz, der in zwischen über Fixseile, mit seinen Klemmgeräten, aufgestiegen ist, holt mich mit der Kamera oben ab und fängt einige Glücksgefühle ein, während die Seile durch das Sicherungsgerät gleiten. Als die Helme und Kleidung meiner Freunde am Ausstieg, den neutralen Schnee mit Farbe ergänzten, wurde mir klar, das diese von der Natur geformte Linie, das härteste war, was ich bis Dato klettern durfte.
Die Freude währt kurz im hochalpinen Gelände. Die Kälte nistet sich langsam in unseren Knochen ein, und es steht noch ein gefrorener Wasserfall bevor. Die zu einem Strang geflochtene Faser wird mit System aufbereitet und sicher am Rücken festgebunden. Anschließend beginnen wir über den ausgetretenen Steig zu unserer Abseilpiste abzusteigen.
Manöver der Superlative
Ein 250m freihängendes Manöver der Superlative am exponiertesten Punkt des Pfeilers, der diesen Kessel weltweit einzigartig erscheinen lässt. Da werden sogar Basejumper neidig bei diesem Tiefblick. Ich hänge mein Abseilgerät in das lange Fixseil ein und lehne mich weit über die Kante raus. Und schon geht es abwärts.
Die ersten Meter noch Felskontakt, bricht die Wand in einen 15m Überhang ab. Ab nun, bin ich frei bis runter zum Einstieg. Das irre Gefühl entlockte mir einen Freudenschrei. Unten angekommen erwarteten uns schon Freunde und Filmleute. Rupert, der die Sache mit Spannung verfolgt hatte und fachlich kommentierte, schaute mich sichtlich erleichtert an, dass diese Geschichte einen guten Ausgang genommen hatte.
Mordor
Noch ist es nicht gelaufen erwiderte ich. Die letzte Route ist ein Eispanzer mit dem nahmen „Mordor“ der noch Schwierigkeiten bis zum 5ten eisgrad aufweißt. Schnell organisierten wir das Material neu und tranken noch an Tee was in den Mägen platz fand. Meine Geheimwaffe war eine warme Rindssuppe mit Reis, die mich noch gut durch die Abend und Nachtstunden bringen sollte. Animalisch aßen und tranken wir noch was das zeug hielt.
Der letzte Akku für die Helmkamera wurde getauscht. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Die Stirnlampen waren montiert und sogar die Hauen unserer Präzisionswaffen wurden noch rasch nachgefeilt. Franz war noch immer oben und sollte uns, wenn alles glatt läuft, beim Ausstieg aus der entscheidenden Vertikalen abholen.
Max stieg nach kurzer Diskussion noch mal am Fixseil auf um die ersten Schläge in der Dämmerung einzufangen. Wir switchten unsere Stirnlampen an und stiegen zum letzten Einstieg hoch. Das Klettern im Schein der Lampe wurde oft trainiert und wir waren gut auf diese Situation eingestellt. Vorbereitet steigen wir in die finale Route ein.
Wie in Trance
Die Lichtkegel meiner Freunde wurden immer kleiner als ich mich nach oben arbeitete. Es war ein sonderbares Gefühl. Eine unglaubliche Ruhe überkam mich. Die zyklische Bewegungsabfolge ließ mich in eine Art Trance verfallen. Als Zwischensicherungen hängte ich nur noch die alten Abseilschlingen ein, die von anderen Seilschaften nach ihrer Tagestour zurückgelassen wurden. Noch nie hatte ich solch ein empfinden beim Eisklettern.
Das Eis war saftig und ein regelrechter Genuss zu klettern. Dieses Gefühl, des Alleinseins, war befriedigender als bei so mancher Solobegehung die ich gemacht habe. Die ersten 100m wurden wieder am laufenden Seil bewältigt. Stand machen, einhängen, nachholen. Dieser Ablauf, hat sich im laufe der Jahre, wie ein Brandmark im Langzeitgedächtnis eines Bergsteigers verankert.
Geri und Alex steigen nach als ob es kein Morgen gibt und als ob ihre Reserven keine Erschöpfung kennen. Das motiviert mich, auch noch mal alles aus mir rauszuholen. Ich weiß zu gut, dass Reserven, bei solch alpinen Unternehmungen überlebenswichtig werden können.
Die Lampen meiner Freunde blenden mich und ich versuche so schnell wie möglich wieder in Bewegung zu kommen. Es werden noch einige erlebte Gefühle ausgetauscht und anschließend steige ich im Schein meiner Led in die Einsamkeit empor. Das Schwingen meiner Eisbeile ist nun zur Meisterschaft perfektioniert und das ökonomische Bewegungsmuster bringt mich immer näher an unser Ziel.
Die steilen Längen liegen hinter uns. Zwischensicherungen werden immer rarer, doch das Klettern obwohl es dem Ende zugeht, macht immer mehr Spaß. Endlich ist es soweit, die allerletzte Seilänge wird in Angriff genommen. Wir drehen die Leistung unserer Stirnlampen zurück, denn der Mond ist aufgegangen und setzt jetzt die Wasserfälle in ein unwirkliches Licht, das uns in die mythische Welt der Naturgeister eintauchen lässt.
Eine unbeschreibliche Lebendigkeit, aktiviert den seelischen Anteil meines Wesens und führt mich die letzten Meter hinauf zum Ausstieg. Erst ein grelles Licht holt mich aus meiner tief gläubigen Stimmung. Der kleine Scheinwerfer, den Franz auf seiner Kamera mitführt, zeigt mir den Weg. Eine Schraube reingedreht und schon ist die Notwendigkeit für die Nachsteiger eingerichtet. Die zwei Sprinter die am anderen Ende eingebunden sind bewältigen die letzten 60 m in einem beachtlichen Tempo.
Freudenschreie durchdringen die nächtliche Stille. Das rituelle Händereichen, fühlt sich an wie die Wahrheit selbst. Unbewusst wissen wir alles, und doch wissen wir es nicht, weil dieses Wissen zu schmerzvoll wäre. Sichtlich erleichtert stehen wir uns gegenüber, dass alles einen guten Ausgang genommen hat. Seile aufnehmen und Abmarsch. Wir queren, an dem von uns aufgebauten Seilgeländer raus in absturzsicheres Gelände.
Wir bekommen noch die Möglichkeit diesen wahnsinnigen Abseiler noch in dieser nächtlichen Idylle zu erfahren. Vollgepumpt mit Endorphinen reiten die Musketier im Lager ein. Es wird höchste Zeit, die Zelte abzubrechen und diesem Abenteuer einen Namen zu geben. Die gesamte Crew hat eine Weltklasseleistung vollbracht. „All for one and one for all“
Daten des Tages 27. Jänner 2010
Hauser Rudolf in 10 Stunden Kletterzeit im Vorstieg am 27. Jän 2010 mit Gerald Zussner und Alexander Holleis
SUPERVISOR 270m, V, WI6, E4 am 27. Jän. 2010 in 2 Stunden
BABYLON 270m V, WI 7-/M9, E6, Onsight in 5 Stunden
MORDOR 320m V, WI 5, E3 in 3 Stunden
Tipp:
Servus TV - der Film wird am 11. März um 19:45 Uhr in Servus Tv ausgestrahlt
Vielen Dank für den kompromisslosen Einsatz
Gerald Zussner
Alexander Holleis
Putz Heli
Rob Hakenberg und Team von Outdoor Leadership
Hinterbrandtner Franz
Reichelt Max
Eduardo Gellner
Thomas Kretschmer mit Team
Beat Kammerlander
Björn Thönike
Guido Gruetschnigg
Christopher Reindl
Robert Sperl
Den Familien und Freunden aller Beteiligten und ganz besonders dem Begründer von RED BULL der uns diesen Bergfilm ermöglichte.
Dank, an die Ausrüster, die mit erstklassiger Ausrüstung einen Grundstein für einen erfolgreichen Tag im hochalpinen Terrain setzten.
Ausrüster:
Spezial thanks to
Öllinger Werner, Hauser Gracher Helga, Gracher Kurt, Hauser Maria und Josef sowie Huber Rupert und den vielen freiwilligen Helfern des Alpinsportvereins 5c+ die mit ihrem Einsatz diese Leistung ermöglicht haben.
An meine Frau Stani und meine Tochter Elena, die mir durch ihre Liebe die nötige Kraft geben, um in diesem Leben zu bestehen.
Das Ziel des Lebens besteht darin, intensiv zu leben, voll geboren zu werden und ganz wach zu sein.
Hauser Rudolf, am 20. Feb. 2010
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