Bei einem der Eisdächer Bei einem der Eisdächer
17 Januar 2010

Supervisor – Solobegehung

Einer der gewaltigsten Eisfälle in Österreich wurde von Rudi Hauser im Solo bezwungen.

Gasteinertal, im Jänner 2010

Wie so oft bleibe ich auf der Seite 240 des Salzburger Eiskletterführers mit der Beschreibung des Supervisor Eisfalles hängen und gehe mit schweißnassen Händen ins Bett. Die Saison ist durchwachsen. Nach einem massiven Föneinbruch, der in den Eisfällen einen mehr oder weniger starken Schaden verursacht hat, wurde es rapide kälter und zwang das Wasser erneut zum Eisaufbau.

Binnen einer Woche überdurchschnittlicher Kälte konnte sich das Gasteinertal wieder als das Eisdorado Mitteleuropas etablieren und klingende Namen wie Mordor, Supervisor und Rodeo machen wieder im Eiszirkus die Runde.

Um diese Zeit im Jahr haben Freunde und ich schon einige tausend Eismeter in Armen und Beinen. Wiederholungen, Erstbegehungen und immer auf der Suche nach einer neuen genialen Linie, die die Willkür des Wassers entstehen lässt. Doch ein Wasserfall wird jede Saison immer wieder in den Mund genommen.

SUPERVISOR WI6 270m

Eine der ernsthaftesten Routen im Tal, daher nur für echte Könner! Anhaltend schwieriger Wasserfall, der zu den Top-Eisfällen Österreichs gehört. Die schwierigsten Seillängen bestehen meist aus Röhreneis und es bilden sich zumeist auch riesige Eisdächer, die zwar zum Grossteil umgangen werden können, kürzere überhängende Stellen müssen jedoch meist in großer Ausgesetztheit überwunden werden.

Erstbegehung: Josef Steinbacher jun. und Hans Zlöbl am 18.Jänner 1991 in 8 Stunden

Melancholische Stimmung und der Wunsch nach Veränderung

Am Vortag zum 12. Jänner packte ich in gewohnter Manier die Ausrüstung zusammen und checkte noch einmal den Schliff der Eisen und Hauen. Morgen geht’s schon wieder ins Eis, dachte ich bei mir und schnappte mir den Führer um noch etwas durchzublättern.

Das Wetter war viel versprechend und es scheint, als würde es wieder ein glänzender Tag werden. Der Morgen des 12. Jänners verlief in alltäglicher Routine, aber irgendetwas fühlte sich anders an. Eine melancholische Stimmung kam in mir auf und der Wunsch nach Veränderung. Ich konnte das Gefühl aber nicht richtig zuordnen, denn alles war in bester Ordnung und mein Lebensumfeld gab mir Kraft. Dennoch griff ich zum Handy und funkte meinen Freund den Zussner Geri an, der wie erwartet schon im Auto auf dem Weg zu mir war.

Hey, alter Freund, kannst du bitte noch die Spiegelreflexkamera und ein Jümarset (Steigklemmen) mitnehmen. Zu dieser Zeit konnte ich ihm noch keinen guten Grund für diese Spontanität geben. Er war erst kurz unterwegs und macht also kehrt und holte das besprochene Equipment.

Einen Pickelschlag später wuchtete ich meinen Rucksack in den Kofferraum meines Freundes und wir nahmen Kurs auf die Eisarena, eine der wildesten Ecken in der Menschen Eisklettern.

Es war kalt. Temperaturen um 10 Grad minus

Nach der klassischen Begrüßung verlief die Autofahrt ziemlich ruhig. Auf halben Weg überkam mich das Gefühl. „Was hältst du davon, wenn ich den Supervisor heute seilfrei mache?“ In voller Erwartung auf eine einschlägige Diskussion ertönte aber nur ein klares „OK“ von meinem Freund.

Die ersten Schritte beim Aufstieg fühlten sich gut an, und wärmten ein wenig. Als wir auf die Lichtung kamen, von wo man eine schöne Übersicht über die Eisarena hat, schaute der Supervisor Eisfall direkt auf uns herab - mahnend und doch so schön.

Eingebettet in den Hohen Tauern

Der Geri lies mich ein wenig vorausgehen, um mich mit meinen Gedanken etwas alleine zu lassen. Ich war ruhig und fühlte einen guten Rhythmus. Mit ökonomischen Schritten ging es hinauf zum Einstieg.

Oben angekommen, bereitete sich mein Partner darauf vor, über ein Fixseil aufzusteigen, das von einem Sommerprojekt stammte. Während meiner Vorbereitung, schweiften immer wieder meine Blicke rüber in das gewaltige Eisschild.

Nach einer halben Stunde Vorsprung mit dem Jümar, hatte Geri eine gute Höhe erreicht um das Vorhaben zu dokumentieren. Langsam stapfte ich die letzten Meter rauf bis zum Eis, als hätte ich einen Bußgang zu absolvieren.

Die ersten Pickelschläge fühlten sich gut an und die Bewegungen waren rhythmisch. Nach den ersten 80 Metern konnte ich taktisch gesehen das letzte Mal ganz gut stehen. Ich nutzte diese Erkenntnis um meine Finger wieder zum Leben zu erwecken, um für die nächsten 200 Meter einen guten Grip zu haben. Jeder der einmal Eisklettern war, kennt dieses himmlische Hochgefühl wenn die Finger das erste Mal am Tag auftauen.

Riesige Eispilze und Schlüsselstelle in 180 Meter Höhe

Also auf geht’s! Riesige Eispilze ließen mich sehr umsichtig in die Höhe steigen. Die Eisqualität war gut und meine messerscharfen Beile drangen beruhigend tief in das Gefrorene ein. Endlich konnte ich die unangenehm zu kletternden Eisgebilde hinter mir lassen und erreichte in ca. 180 Metern Höhe die Schlüsselstelle des Wasserfalls.

Bevor ich mich auf die fast überhängende Wandzone vorbereiten konnte, bekam ich noch eine richtig feine Eisdusche, die mich für einen Augenblick erstarren lies. Klick, Klick, Klick, der Geri schießt eine Fotoserie ab.

OK, alles klar, jetzt nichts wie raus hier. Über mir ragt ein drei Meter Eisdach aus dem Wasserfall, das ich aber rechts umklettern kann. Es ist steil, verdammt steil. Der Blick in die Tiefe fühlt sich nach Freiheit an. Nach Leben, so echt und ehrlich.

Meine Steigeisen bohren sich in das kristallklare Eis. Schlag für Schlag arbeite ich mich empor, bis das gefrorene Nass etwas an Steilheit verliert. Die letzten 50 Meter verlangen dann nur noch den fünften Eisgrad. Am Ausstieg ergattere ich noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Es fühlt sich gut an, daß jetzt wieder mehrere Zacken meiner Steigeisen in das Eis greifen.

Total durchnässt stehe ich nun am Ausstieg, die Eisbeile ins Gras gehookt, nehme ich die Glückwünsche meines Freundes wahr. Die Freude währt kurz im hochalpinen Gelände, als ein eiskalter Wind aufkam.

Über den Höhkarsteig gelangten wir zum Einstieg zurück.

Meine Bilanz: 19 Jahre nach der Erstbegehung durch Josef Steinbacher Jun. und Hans Zlöbl in 8 Stunden, gelang am 12. Jänner die erste Solobegehung des Extremklassikers "SUPERVISOR", handschlaufenlos und ohne Zuhilfenahme technischer Mittel in 1 Stunde und 40 min.

Vielen Dank an meine Familie und meine Freunde.

Danke an meinen Freund Zussner Gerald, der einmalige Fotos gemacht hat.

Besonderen Dank an meine Sponsoren LOWA und HAGLÖFS für eine erstklassige Ausrüstung.

LEBEN HEISST; KEINE ANGST MEHR HABEN ZU MÜSSEN!

Rudolf Hauser

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