1. Tag bei extremer Kälte 1. Tag bei extremer Kälte
18 April 2006

Clean isch tot

Martin Moser berichtet von einer extremen Wintererstbegehung ohne Hakenverwendung

Prolog

Eigentlich sollte es als Vorbereitung für eine Patagonien-Reise dienen, unser Winterprojekt unterhalb der Hohen Gaisl. Nachdem aber verschiedene Gründe Patagonien platzen ließen, blieb uns der Spaß ganz allein. Der Reiz, diesen Riss gerade im Winter zu begehen, lockte sehr – und ganz nebenbei sollte es als Zeitvertreib gerade gut sein.

Der Plan sah eine rein technische Begehung vor, wir wollten nur wenige Meter „richtig" klettern – das soll dann im kommenden Sommer erfolgen. Dafür wollten wir die gesamte Tour clean begehen – natürlich ohne Bohrhaken, aber auch ohne Normalhaken…

1. Tag bei - 13°

Am ersten Tag ist es bitter kalt, es hat laut Wetterbericht 13 Grad minus und zudem weht orkanartiger Wind. Adrenalingeschwängert und voll Motivation sehen wir es positiv und denken, dass zu einer richtigen Winterbegehung auch widrige Umstände gehören! Wie auch immer, Arnold schafft eine ganze Länge, widersteht dem Lockruf der am Gurt sicherheitshalber baumelnden und klimpernden Normalhaken und hinterlässt einen perfekten Stand an zwei Keilen und einem Camalot. Dass sich einige Tage später die ganze Haut von Arnolds halb erfrorenen Fingern schält, weil er mit den Händen den Riss vom Triebschnee befreien musste, sei auch noch erwähnt…

Für die zweite Länge komme ich zum Zug. Der Riss wird hier enger und unübersichtlicher, kurz vor einer Standmöglichkeit verliert er sich in einem Überhang – dort scheint die Schlüsselstelle der ganzen Tour zu liegen. Ich lege einige Keile hinter eine hohle Schuppe, klettere diese hoch und oberhalb angekommen, muss ich mit Entsetzen feststellen, die falschen Friends am Klettergurt zu haben! Einzig der Gedanke, dass ein Sturz wohl auch die ganze Schuppe ausreißen würde, lässt mich die letzten Kraftreserven mobilisieren. Ich schwitze aus allen Poren vor lauter Angst und ahne schon das Schlimmste– da entdecke ich ein Loch, in das wie durch ein Wunder mein ältester Friend, den ich irgendwann mal gefunden hatte, doch noch hineinpasst. Ich lege noch einige sehr zweifelhafte Klemmkeile dazu und Arnold, der inzwischen aus seinem schläfrigen Zustand beim Sichern aufgewacht ist, lässt mich so sanft es geht ab.Schluss für heute, auch wenn mich nur lächerliche drei Meter von leichterem Gelände trennen!

Unser nächster Anlauf endet vorerst mit zwei Fehlversuchen, die Schlüsselstelle zu überwinden. Links komme ich nicht hoch, und rechts muss ich wieder den Weg über die hohle Schuppe wählen. Diesmal bin ich aber bis an die Zähne bewaffnet und mit dem passenden Material kann gut sichern. Ich stecke einen unserer geliebten Lotten (Camalots) in ein Loch und will ihn belasten. Mittlerweile tragen auch die Ohren ihren Teil dazu bei, um zu beurteilen, ob ein Friend gut sitzt oder nicht. Die Geräusche, die mein grüner Camalot gerade von sich gibt, sind gar nicht gut. Immer wieder stopfe ich ihn erneut in das seichte Loch, in der Hoffnung, dass er irgendwann gut hält. Andere Sicherungen sind nicht möglich. Bald wird mir klar, entweder ich traue diesem Ding vollkommen oder wir müssen umdrehen. Dazu habe ich aber überhaupt keine Lust. Jetzt oder nie: Ich lege eine Trittschlinge und belaste den Friend mit meinen 80 Kilogramm total. Mit halb geschlossenen Augen höre ich kleine Noppen wegbrechen, aber er hält. Leider kann ich so aber immer noch nicht genügend höher greifen. So fixiere ich mit links einen Griff, steige noch höher in die Schlinge und es gelingt mir, sozusagen im toten Winkel einen Friend in ein Loch zu stecken. Ohne zu wissen, ob das Teil gut genug liegt, ziehe ich mich mit aller Gewalt daran hoch. Nun stehe ich auf dem Band und baue einen Stand. Oder so was ähnliches zumindest. Ich glaube, keine der Sicherungen würde für sich alleine wirklich viel halten.

2. Tag – Nervenkitzel in den Überhängen

Am nächsten Tag in der Wand ist Arnold dran. An meinem letzten Stand angekommen, versucht er diesen etwas zu verbessern. Eine dünne Sanduhr hier, ein Mikroklemmkeil dort, und schon schaut die Sache etwas besser aus. Unser Ziel ist es zwar, die gesamte Tour ohne Haken zu klettern und auch die Stände clean abzusichern, aber oberste Priorität hat immer noch, abends wieder heil ins Tal zu kommen. Ein breiter Riss zwingt uns, einige große violette Lotten mitzuschleppen, die wir uns ausliehen. Arnold spreizt geschickt hoch, die Wand erreicht hier ihre größte Steilheit. Unglaublich, wie das überhängt! Von unten betrachtet schaut es schon sehr steil und beeindruckend aus, von hier oben erkennt man aber erst das wahre Ausmaß. Hinunterstürzende Steine treffen am Boden weit vom Wandfuß entfernt auf. Der Fels ist zwar hier durch die Steilheit gänzlich schneefrei, aber irgendwie ist der Riss mit einer unsichtbaren, dünnen Eisschicht überzogen. Friends lassen sich hier zwar gut setzen, bei Belastung aber hört man ein kurzes dumpfes Geräusch und das Klemmgerät rutscht einige Millimeter nach unten, bevor es das Gewicht von Arnold trägt. Nach dem dritten Friend ist man das Geräusch aber schon so gewohnt, dass man es schon fast gar nicht mehr als Bedrohung wahrnimmt - unterbewusst zehrt es aber doch etwas an den Nerven. Kurz vor Dunkelheit kann Arnold noch einen guten Standplatz bauen und wir seilen ab. Laut Arnold sollen uns jetzt nur noch genüssliche Klettermeter bevorstehen und dann soll´s fertig sein. Doch schon von der Plätzwiese aus kann ich erkennen, dass die Wand noch viel steiler und höher ist, als Arnold meint.

3. Tag – Kein Rückzug möglich

Wir starten zeitig in der Früh. Lawinenstufe 4 ließ uns lange Zeit warten, doch heute ist es ziemlich sicher, heil ins Kar zu gelangen. Wir jümaren die ersten drei Seillängen hoch und nehmen dabei das gesamte Material raus. Die vierte Seillänge bin ich wieder dran und muss dabei ständig frei klettern. Die Wand ist hier leicht geneigt und der Schnee in allen Rissen und Ritzen macht mir zu schaffen. Auf den Tritten bildet sich durch die Druckbelastung sofort Eis, und überhaupt ist alles sehr unübersichtlich. Kurz bevor das Seil zu Ende ist, kann ich einen Stand bauen. Arnold kommt über das Statikseil nach und ich versuche dabei, mit einer Hand am gespannten Fixseil zu ziehen, um den Stand nicht zu sehr zu belasten. Ich habe echte Angst, dass der gesamte Plunder rausreißt und mit uns in die Tiefe fliegt. Die herannahende Nacht zwingt uns aber, schnell zu sein. Unter uns haben wir ja alles Material herausgenommen und ein Rückzug über die überhängende Wand kommt nicht mehr in Frage.

Arnold schaut nicht auf den Stand, ich erkläre ihm nur ganz kurz, dass dieser seinen Namen eigentlich nicht verdient. Das genügt ihm und er wagt es nicht, einen Blick darauf zu werfen. In der Dämmerung steigt er den Ausstiegsschrund hoch, ein zusammengefrorener Bruchhaufen. Nichts hält mehr richtig und am Ausstieg muss Arnold an einem fetten Schneebrett vorbei. Die Angst, mit diesem über die Wand ausgespült zu werden, kostet Arnold den letzten Nerv. Er findet aber sofort den Stand einer benachbarten Tour, sogar mit Bolts. Bald ist es Nacht und wir finden die Standplätze der Abseilroute nur kaum. Beladen mit drei Seilen, Unmengen an Keilen, Friends, Karabinern und sonstigem Material fahren wir bei stockdunkler Nacht mit den Schiern das Kar hinaus. Während mein Haulbag so schwer ist, dass es die kurzen Schier richtig durchbiegt, ist Arnold nahe dran, an Müdigkeit bald umzufallen. Die große Feier bleibt an diesem Abend aus, wir sind beide zu fertig.

Fakten und Motive

Die Tour hat fünf bis sechs Seillängen, wobei die zweite und dritte Seillänge sehr stark überhängend sind. Verwendet wurden ausschließlich Klemmkeile und Friends. Bis auf einige Keile befindet sich kein Material in der Tour. Die markante Rissspur zeigt eindeutig die Linie (10 mt rechts vom „Nordwandriß").

Motivation war für uns hauptsächlich, eine Tour erstzubegehen, die am Besten ohne einen einzigen Haken auskommt. Auch wenn eine Rissspur zweifellos mehr Sicherungsmöglichkeiten bietet als eine plattige Wandkletterei, sind wir der Meinung, dass die sich in letzter Zeit abzeichnende Tendenz zu bohrhakengesicherten Touren zumindest im Ansatz überdacht werden sollte. Der Komfort eines Bohrhakens ist für viele Erstbegeher einfach zu verlockend – und doch meinen wir, dass dessen Einsatz überlegter zu handhaben ist.

Eindeutig müssen wir feststellen, dass eine Route mit geringerem Schwierigkeitsgrad, dafür aber mit eigenverantwortlicher Absicherung weit anspruchsvoller, aber auch um Welten befriedigender sein kann.

„Clean Isch Tot VII/A3 (e8A)",  Arnold Senfter und Martin Moser, Winter 05/06

Text: Martin Moser

Fotos: Arnold Senfter und Martin Moser

Webtipps:

Mahrapower.com - die Website von Marin Moser mit mehr Fotos und einem Video!

Salewa - ein Sponsor von Martin

Scarpa - ein weiterer Sponsor von Martin

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