14. Mai 2010. Flug über Moskau in die russische Kleinstadt Mineralnye Vody. Das bedeutet Mineralwasser. Beim Auschecken am Flughafen Hektik, eine Traube von Taxifahrern buhlt um die Gunst der Reisenden, die Europäer in der Minderheit. Schwer bepackt entern wir einen Kleinbus.
Murat hatte die besten Kontakte zu den "Vermittlern", und somit nun die Aufgabe uns in das Baksan Tal am Elbrus zu bringen. Etwa 200km einfach. Doch zuerst müssen wir noch Geld wechseln. In zwei verschiedenen Banken passiert nicht viel. Lange Schlagen, keiner wird bedient. Dann eben zu den Händlern am Markt. Der Kurs nicht schlecht, auch nicht gut. "Problems with Greece in Europe..." sagt der Wechsler. Wir verstehen, und brauchen Bares.
Baksan Tal
Am Abend im Baksan Tal, nach 40 Stunden ohne Schlaf. Die Herberge scheint noch nicht ganz fertig gestellt. Auf die Frage, wann sie denn fertig sei, die Antwort: seit drei Jahren wird schon gebaut. Wohl immer nach der Saison wenn wieder Geld da ist, denn jetzt ist es ruhig.
Trotzdem, die Unterkunft ist gemütlich, quasi ein alpiner Gasthof im fernen Russland. Mit einfachem Komfort, den man nach langen Touren gerne hat. Dusche, Bett, Abendessen.
In den nächsten Tagen unternehmen wir Touren vom Tal aus. Von Klassikern wie dem Gipfel des Cheget bis hin zu eher sportlichen Zielen im Adyl Su Tal. Dort verabschiedet sich dann auch die Bindung von Franks Leichtgewichtsski. Mit Hilfe von Andrej -- unserem "local Manager" -- hat Frank am nächsten Tag ein nagelneues Paar Ski. Die sind zwar nicht mehr "lightweight" aber werden wohl nicht am Berg auseinanderfallen. So quälen wir uns auch an einem Tag bis auf 4400m an den Hängen des Elbrus hinauf. Nicht zu schnell, immer locker. Akklimatisieren ist angesagt.
Die Luft wird hier schon langsam dünn - und noch wissen wir nichts von dem einsamen Russen, der am Gipfeltag seine durch Pausen unterbrochene Intervalle in Richtung höchstem Punkt noch auf 5300m durch eine kurzweilige Raucherpause unterbrechen wird. Der Kopf spielt eben doch eine große Rolle, auch wenn die Lunge durch Teer geschwärzt ist.
Der Weg zum Gipfel
Drei Tage haben wir eingeplant für den Weg zum Gipfel auf 5642 Metern. Wir sind nicht gut akklimatisiert und wollen eine Nacht auf den Barrels (die "Tonnen", mehrere lange Tonnen für bis zu sechs Personen) auf 3700 Metern und eine Nacht auf der Dieselhütte (4100 Meter) verbringen.
Am morgen im Tal, der Blick aus dem Fenster. Sturm, die Schneefallgrenze gegen 2000 Meter sinkend. Doch das Wetter bessert sich. Auch die Meteorologen in Innsbruck haben Wetterbesserung vorausgesagt. Und sie haben natürlich recht. Wir erreichen die Tonnen noch bei Schneefall, schon am Nachmittag ist der Gipfel aber wieder zu sehen. Die Nacht erholsam. Unterbrochen für eine Stunde zwischen drei und vier Uhr morgens, als sich ein norwegisches Paar mitsamt Führer fertig macht für den Gang zum Gipfel (Zitat des einheimischen Guides am Vortag: "Ich glaube zwar nicht, dass wir hochkommen, aber wir versuchen es!").
Unterstützen lassen sich nahezu alle Gipfelaspiranten von einer Pistenraupe. Diese wird um vier Uhr morgens bestiegen und bringt die seelenlosen bis zu den "Pastukhova Felsen" auf 4600 Metern. Die letzten Tausend Höhenmeter warten.
Dort herrscht Timur
Wir schlafen aus. Und gehen Mittags weiter zur Dieselhütte. Dort herrscht Timur. Er ist der Hüttenwart, spricht auf alle -- seiner Sprache mächtig oder nicht -- auf russisch ein und heizt nur sein eigenes Zimmer mit der wohligen Wärme eines Holzofens. Im Laufe des Nachmittages stolpern eine ganze Reihe Italiener zur Hütte herein. Sie alles Fußgänger, und deshalb auch gezwungen noch eine Nacht im Abstieg vom Gipfel auf der Hütte einzulegen. Italiener, doch schon gegen acht Uhr löst sich die Runde am großen Tisch auf. Der höchste europäische Gipfel hat auch ihnen die Kraft fürs laute Feiern geraubt.
Alpine Gefahren am Elbrus
Die Nacht ist kurz, der Tag beginnt um drei Uhr früh. Schnee schmelzen, frühstücken, viel trinken, Gesicht eincremen, Sturmhaube aufsetzen, Neoprengamschen anziehen, und vor allem: nichts vergessen. Und dann in die Skibindung und mäßig geneigte Hänge aufsteigen in Richtung Sattel zwischen den beiden Gipfeln. Von oben lautes Gebrumme, die Pistenraupe. Und es ist noch dunkel. Mit der Stirnlampe gleich Warnzeichen in Richtung der Raupe abgeben und aus der eingefahrenen Spur treten. Alpine Gefahren am Elbrus.
Der Wind weht heftig, doch es ist nicht sonderlich kalt. Minus 10 Grad. Bald schon sind wir bei den Pastukhova Felsen, eine lange Querung leitet in den Sattel zwischen West- und Ostgipfel. Eine ganze Reihe von Bergsteigern geht zum niedrigeren Ostgipfel. Vor uns am Sattel nur noch der einsame Russe. Rauchend auf über 5000m. Die Gipfelflanke zum Westgipfel ist abgeblasen, mit Steigeisen an den Füßen und den Skiern am Rucksack steigen wir in Richtung höchstem Punkt. Eine lange, fast ebene Querung führt die letzten Meter hinüber zum Gipfel. Dort sitzt schon der Raucher und bittet sogleich darum ein Photo von ihm zu machen.
Talabfahrt
Hinab ist es hier oben auch mit Ski beschwerlich. Die Hänge verblasen und hartgefroren ziehen bei der Abfahrt sämtlichen Sauerstoff aus den Beinen. Auch der Kopf schmerzt jetzt. Nach jeweils dreißig Höhenmetern folgt eine Pause. Doch irgendwann sind wir wieder bei Timur auf der Hütte. Wir packen unsere Schlafsäcke ein und fahren weiter ab. Vom Gipfel bis ins Tal sind es insgesamt 3200 Höhenmeter. Doch auch die sind irgendwann geschafft. Wir sind kaputt, und glücklich. Und haben immerhin nicht nur die letzten tausend Höhenmeter aus eigener Kraft bestiegen.
Text: Michael Robert www.muztaghata2009.de
Unsere Agentur vor Ort im Kaukasus:
Berginfo Elbrus
Der Elbrus ist mit 5.642 m Höhe der höchste Berg im Kaukasus und der höchste Berg Russlands. Ob er oder der Mont Blanc der höchste Berg Europas ist, hängt von der Definition der innereurasischen Grenze ab.
Der Doppelgipfel (Westgipfel 5.642 m; Ostgipfel 5.621 m) ist ein momentan nicht aktiver, stark vergletscherter Vulkan. Die Entfernung zwischen beiden Gipfeln beträgt 1500 Meter, der höchste Punkt liegt auf dem südlichen Kraterrand. Mehr als 70 Gletscher fließen von den Elbrus-Hängen ins Tal und bedecken 145 km² mit Eis. (Quelle & mehr: Wikipdia)
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