Expedition Mythic Cirque (c) Martin Feistl/Felix Bub Expedition Mythic Cirque (c) Martin Feistl/Felix Bub
16 Oktober 2023

Expedition Mythic Cirque

Martin Feistl und Felix Bub gelingen 3000 Meter Erstbegehungen bis 7b+ im Alpinstil, 8 Gipfel und Gendarme und eine Wiederholung der 840 Meter langen "Forum" (7c)

Im Zeitraum vom 31.07. bis zum 18.08.2023 waren Martin Feistl und Felix Bub im Rahmen einer Kleinexpedition im sogenannten Mythic Cirque im Kangertittivatsiaq Fjord an der Ostküste Grönlands unterwegs. Das Duo stellte das "Wie" in allen Bereichen kompromisslos über das "Was" und war darüber hinaus auch rein sportlich definiert äußerst erfolgreich:

Es wurden über den gesamten Mythic Cirque verteilt mehr als 3000 Meter Erstbegehungen bis 7b+ im Alpinstil geklettert, 8 Gipfel und Gendarme erstbestiegen und eine Wiederholung der 840 Meter langen "Forum" (7c) am Siren Tower realisiert. Alle Routen wurden ohne die Verwendung von Bohrhaken und grundsätzlich frei geklettert. Die Anreise erfolgte von Innsbruck per Zug und Segelboot "Zula". Dabei wurden direkte Mobilitätskosten (ohne einen einmonatigen Aufenthalt in Island) von ca. 280 kg CO2 pro Person verursacht, was grob einer Autofahrt einer Einzelperson von München nach Chamonix und zurück entspricht. Eine transparente Aufschlüsselung inklusive der noch ausstehenden Heimreise mit der Fähre ab Island erfolgt im Endbericht.

Ferner wurden in Island dank der unglaublich herzlichen Community dort 800 Meter Erstbegehungen auf 18 Routen verteilt geklettert mit den jetzt 2 schwierigsten Trad-Routen des Landes"Usain Boltless" (25m, 7c; E6 6c) und "No bolts in paradise" (30m, 7c; E6 6c).

01.08. - 03.08.:

Erste Gesamtüberschreitung des kompletten Mythic Cirques von links nach rechts inklusive allen Gendarmen. "Circus Maximus" (39h Kletterzeit auf 3 Tage verteilt, maximal 6c).

Im Anspruch vergleichbar mit dem Peuterey Integral, aber brüchiger, ohne Bohrhaken, Helikopter, Biwakschachteln, Höhenluft und zu großen Teilen erstbegangen. Gesichert wurden 22 Seillängen auf 2130 m verteilt mit Schwierigkeiten meist bis 6a mit einzelnen schwierigeren Passagen bis 6c. 14 Mal wurde abgeseilt, zusätzlich einige Male mit Seilsicherung abgeklettert. Insgesamt wurden die unten stehenden 16 Gipfel und Gendarme überschritten, davon dürften 8 Erstbesteigungen gewesen sein.

1. No Tower I East: Erstbesteigung über Nordflanke und Ostgrat, 1-2

2. No Tower I West: Erstbesteigung über Ostgrat, Gehgelände

3. No Tower II: Erstbesteigung über Ostgrat, 4a

4. Ganja Tower aka The Squid, Erstbesteigung über "Hanfparade", 270m, 4 Seillängen, 6a

5. Gendarme de Papi: Erstbesteigung über "Time to say I'm sorry", 190m, 3 Seillängen, 6a/b bis zum Gendarme

6. Father Tower aka Ataatap Tower: Erstbegehung zweiter Teil "Time to say I'm sorry" insgesamt 400m, 5 Seillängen, 6a/b, bis zum Zusammentreffen mit den letzten 250m, 2 Seillängen der "Coronis" (Bunn, Royer 2012)

7. Hidden Gendarme I: Erstbesteigung über "Wind of Change", 80m, 1 Seillänge, 6a

8. Hidden Tower: Größtenteils wahrscheinlich über den oberen Teil von "Assembling the Tupilak" (Bunn, Royer 2012), 190m, 2 Seillängen, 6a

9. Hidden Gendarme II: Erstbesteigung über "Hidden Sand Box" 130m, 2 Seillängen 6a

10. Siren Tower: Erstbegehung "Sirens of Change", 160m, 3 Seillängen, 6c

11. Zula Peak: Erstbesteigung über "Vertreibung der letzten Egoisten", 400m, 2 Seillängen, 6a

12. Aurora Tower: Über oberen Teil des "Südwest Grat" (Mc Sorley, Irving, Kenchenten, Marazzi, Percival, Weldon 2016), 250m, 2 Seillängen, 4a

Die letzten 4 Gipfel

13. Prometheus

14. Tantalus

15. Sysiphus

16. Damocles. folgen der "Tortures Traverse" (Bunn, Royer 2012).

06.08. - 09.08.:

1. Wiederholung "Forum" (840m, 7c, Bordella, Schüpbach, Welfringer 2021), nach 4 Tagen in der Wand. Alle Seillängen wurden in Wechselführung von beiden jeweils rotpunkt bzw. sturzfrei im Nachstieg geklettert, die Schlüsselseillänge wurde von beiden rotpunkt geklettert.

An Tag 1 wurde der Zustieg über das von uns so getaufte Coloir of Love, ein Kanonenrohr aus Fels und Eis und die ersten 6 Seillängen bis zu einem Bohrhakenstand überlebt und geklettert um hier das Portaledge aufzubauen. Die ersten 4 Seillängen im Vorbau wurde nicht die originale Linie verfolgt, sondern der Weg des geringsten Widerstands mit 2 Haulbags und einem Portaledge irgendwo zwischen "Forum" und "The Wall of Plank" (Favresse, Villanueva O’Driscoll, Jaruta, Wertz 2021). An Tag 2 wurde die garstige und schwierig zu findende 7. Seillänge (6c/7a) durch einen Offwidth bis zur ersten Schlüssellänge regelrecht niedergerungen. Im Vorstieg über unglaublich brüchige Schuppen, im Nachstieg von Felix direkter und deutlich härter. Seillänge 8 (7b) kletterte Felix im 2. Versuch, ich im flash im Nachstieg. Seillänge 9 (7b) umgeht den 2. Bohrhaken der Route über eine harte Traverse nach rechts und sehr unklarer Linienführung, danach über hohle Schuppen zurück nach links. Ich konnte diese Länge im 4. Versuch punkten, Felix nach intensivem Ausbouldern im Nachstieg im 2. Versuch. Diese Seillänge hat uns beide die meiste Zeit gekostet. Trotz mentaler Ermüdung wegen der hohlen Schuppen und teils schwierigen Linienführung pushte ich noch Seillänge 10 (7a) zum nächsten Portaledge-Standplatz, weil klar war, dass wir für einen erfolgreichen Durchstieg so nahe wie möglich an die Schlüssellänge gelangen müssen. An Tag 3 startetet Felix mit einer kurzen Seillänge bis unter die Schlüsselpassage: ein 10 Meter langer idealer Fingerriss, den wir beide auf Anschlag im 2. Versuch auf vollkommen unterschiedliche Weise punkten konnten. Am selben Tag wurden noch 3 weitere Seillängen bis zum großen Band geklettert, das die Headwall einläutet. Eingeschüchtert vom Anblick der brüchigen Headwall und den Erzählungen anderer Kletterer wählte ich an Tag 4 über 3 höchst anspruchsvolle Längen den vermeintlich leichtesten Weg Richtung Gipfel. Kennt ihr die Szene aus „The Dodos!“ (Reel Rock), in der die Brüchigkeit der Wand so hervorgehoben wird? Ja, da waren wir. "Forum" wurde wohl auch zuerst hier versucht, dann haben die Erstbegeher aber eine weniger brüchige und direktere Linie rechts davon gefunden. Wahrscheinlich bin ich in Teilen "Wall of Plank" gefolgt und dann über die moralisch anspruchsvollste Seillänge weiter nach links in ein großes Verschneidungssystem gequert. Hier mussten 2 Pecker geschlagen werden (die sich durch Seilzug selbst wieder entfernt haben). Am selben Tag wurde mit nur einem Seilverhänger auf der nahezu vollständig eingerichteten Abseilpiste abgeseilt und zum Basislager abgestiegen, wo wir nach Mitternacht eingetroffen sind.

Am nächsten Tag stand die alte Bekannte Fay Manners mit Michelle Dvorak unerwartet vor der Zelttüre, mit denen wir spontan die nächsten Routen angegangen sind.

13.08. - 14.08.:

Versuch einer Erstbegehung am Siren Tower mit Fay Manners und Michelle Dvorak. Umgedreht nach 2 Tagen in der Wand, 7 Seillängen und 245 m mit Schwierigkeiten bis 7b onsight, 7c obligatorisch in der Schlüssellänge. Rotpunkt in mindestens 2 Seillängen im französischen 8. Grad. Es wurde ein Schlaghaken in der 5. Seillänge belassen, der Rückzug wurde an 2 Keilen und 2 Schlaghaken mit 4 mal 60 Meter Abseilen in schwäbischem Spar-Stil umgesetzt.

Hier wäre es ein Leichtes gewesen am Umkehrpunkt einen Bohrhaken zu setzen um damit höchstwahrscheinlich die ganze Linie klettern zu können.

Die aktuelle Entwicklung im Mythic Cirque und darüber hinaus in Grönland allgemein bezüglich der Verwendung von Bohrhaken - meist im Spitzensport - kritisieren wir aufs Schärfste. Ich war nach einem fordernden ersten Tag in der Wand im direkten Anschluss an "Forum" schlichtweg mental zu schwach um in freier Kletterei die noch fehlenden 5 Meter über einem Mikro-Cam entschlüsseln zu können. Eine Rechtfertigung von Bohrhaken aus Sicherheitsgründen ist in dieser Umgebung nicht tragbar, falls im Vorfeld in eine entsprechende Ausbildung im Trad-Klettern investiert wurde. Um dem Abenteuer-Charakter in Grönland genügend Tribute zu zollen und auch zukünftigen Expeditionen Raum zur Entfaltung zu lassen muss hier ein Umdenken zu weniger Egoismus der eigenen Erstbegehungen gegenüber erfolgen und Scheitern - wie es hier passiert ist - wieder mehr Akzeptanz bei den Kletterern selbst erfahren. Auch wenn sich "850m 7c a.f. A0 mit nur einem Bohrhaken" besser verkaufen lässt als ein "abgebrochener Versuch".

16.08. - 18.08.:

Erstbegehung von "The Mental Breakdown" (580 / 765m, 7b+, R), Martin Feistl, Fay Manners und Michelle Dvorak

Nach einem Materialtransport am 16.08. über den Vorbau zum Einstieg der geplanten Route starteten wir am 17.08. an meinem Geburtstag um 2:30 zur Wand des Father Towers. Felix hat sich an der Schulter verletzt und ist mit Hans von unserer Boots-Crew am 17.08. über den Südgrat (Libecki 2012) auf den Father Tower. Im von uns seilfrei gekletterten Vorbau wurde der dritte Bohrhaken ("a Petzl 10mm bolt of shame") im Cirque gesichtet. Auf die ersten 3 Seillängen unglaublich herzkreislaufbeanspruchender Offwidth-Kletterei ("Oh, it's a perfect handjam, we won't need the Number 6 Cam?!") folgt die Schlüsslseillänge: 65 Meter bis in den unteren 9. Grad ohne Hammer oder Haken als Backup mit 9 Sicherungspunkten und der Ungewissheit ob es denn möglich ist. Die klettertechnischen und mentalen Schwierigkeiten nehmen nach oben hin konstant zu, wobei ein Fehler im Seilmanagement fatale Folgen haben kann. Nach einer weiteren gefährlichen und sehr schwierig kontrollierbaren Länge im oberen 8. Grad an einer hohlen Schuppe, bei der man am Ende sowohl durchschauen als auch -laufen könnte, legte sich die Wand zurück und wir erreichten unter dem Dröhnen besagter Schuppe und der Bohrmaschine der spanischen Expedition unter uns unser Biwak. Weil das Gelände zu flach zum Haulen eines Portaledges war entschiedenen wir uns die Nacht sitzend zu dritt auf einem aufblasbaren G7 Pod zu verbringen. Diese Strategie hat sich voll ausgezahlt, so konnten wir am nächsten Tag unter den ersten Vorboten des schlechten Wetters das Gepäck auf 2 Rucksäcke verteilt die restlichen 150 Meter bis zur "Coronis" im 7. Grad und weitere 245 Meter über diese zum Gipfel klettern. Dort trafen wir zufällig fast zeitgleich auf Tajo und Tim von Zula, die über den "Südgrat" (Libecki 2012) - unseren Abstieg - hochgekommen sind. Dieser äußerst ernste Abstieg durch brüchiges Gratgelände nahm 7 Stunden in Anspruch. Weitere 2 sehr schlechte Bohrhaken an einer Abseilstelle wurden soweit möglich abgebaut und daneben an sichereren natürlichen Strukturen abgeseilt. Es bleibt sehr zu hoffen, dass die spanische Expedition ihre Ankündigung nicht wahr macht und eine gebohrte Abseilpiste in der Nordwand einrichten wird, die das Gesamterlebnis und die Möglichkeit eines gratis mental Breakdowns dieses fürchterlichen Abstiegs für alle zukünftigen Expeditionen zerstören würde. Zusätzlich würde das den Father Tower, der bis dato wegen seiner flachen aber enorm langen Wand strategisch sehr schwierig zu erreichen war, zu einer Eintagesunternehmung degradieren.

Die Expedition wurde unterstützt von Mountain Equipment, dem Deutschen Alpenverein, Lowa, Katadyn, Stubai, Totem und Pecker Shop. Die Anreise möglich gemacht hat unsere Crew von Zula Expeditions.

Text: Martin Feistl



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