Bei der Begehung der Colton-MacIntyre treffen sie tlw. auf verdächtig dünnes Eis... Bei der Begehung der Colton-MacIntyre treffen sie tlw. auf verdächtig dünnes Eis...
05 Februar 2008

Colton-MacIntyre am Pointe Walker

Florian Schranz und Egon Netzer kletterten im September 2007 die berühmt-berüchtigte Colton-MacIntyre Route auf den Pointe Walker....

Polternde Franzosen und ein halber Liter Cola

Florian Schranz, Mitglied im AustriAlpin-Team und erfahrener Alpinist und Bergführer, kletterte mit Egon Netzer im September 2007 die berühmt-berüchtigte Colton-MacIntyre Route auf den Pointe Walker im Montblanc-Gebirge. Die Route führt über die Nordseite des Berges zum Gipfel: Eine fast senkrechte, 1200 Meter lange Wand aus festem Wassereis, die sich über dem Mer de Glace (größter Gletscher Frankreichs) erhebt.

Dank ihrer Länge und herausfordernder Mixed-Passagen zählt sie zu den großen mythischen Routen der Alpen und galt lange als eines der letzten Probleme der Alpen.

Im Folgenden der Reisebericht von Florian:

„Irgendwann im März 2007:

Einer der beeindruckendsten Monolithen der Alpen, die "Grandes Jorasses", inszeniert nur wenige Kilometer von uns entfernt, eingerahmt zwischen glitzerndem Firn und azurblauem Himmel, ein fantastisches Farbenschauspiel von Licht und Schatten. Messerscharfe, senkrechte Linien, die in Kühnheit und Wildheit wohl kaum zu überbieten sind, durchschneiden und trennen Pfeiler und Rinnen.

Ich kletterte heute mit Rosanna, einer lieben Kundin, durch das Courturier Couloir an der Nordwand der Aiguille Verte und liege nun schon seit geraumer Zeit auf einem von der Märzsonne angenehm erwärmten Granitblock vor dem Couvercle Biwak.

Mein Blick bleibt immer wieder an einer ganz bestimmten Linie hängen: Einer Linie, die mit ihrer Höhe von 1200 Metern in den Alpen ihresgleichen sucht. Obwohl ich mich diesem hochalpinen Amphitheater zutiefst verbunden fühle, begrabe ich heute endgültig diesen Traum. Zu oft bin ich umsonst nach Chamonix gefahren, zu oft auf die Leschaux Hütte gelatscht, nein, da gibt es ganz einfach kein Eis mehr, aus, vorbei und abgehakt...

Irgendwann im September 2007

Eigentlich wollten wir um 1:00 Uhr morgens starten. Eine andere, französische Seilschaft polterte schon kurz nach zwölf aus der Hütte, sie versuchen die "Bonatti". Ich hatte bis 1:00 Uhr kein Auge zugemacht – die lange Autofahrt, der Anstieg zur Hütte und vor allem die ungemeine Anspannung vor dieser Tour.

Keine Chance, denke ich mir, wieder alles umsonst!

Jetzt ist es 6:00 Uhr, wolkenloser Himmel, eiskalt und immerhin fünf Stunden Tiefschlaf.

Irgendwie wurstle ich die Decken zusammen, trinke eine Tasse lauwarmen Milchpulverkakao. Essen kann ich jetzt nicht – egal.

Um halb sieben balancieren wir über ein paar rostige, von Lawinen verbogene Torstahleisen die aalglatten Gletscherschliffplatten hinunter auf die zähfließende Masse des Glacier de Leschaux.

Seit wir von der Hütte aufgebrochen sind, rattert es pausenlos in meinem Kopf. Ich rechne: halb sieben - zweieinhalb Stunden zum Einstieg - in zehn Stunden kommt man normalerweise weit rauf - das wäre dann 7:00 Uhr abends - um acht ist's dunkel...

Vorbereitet sind wir nicht wirklich, Egon war den ganzen Sommer über beim Klettern und jammert über seine lausige Kondition und für mich ist's heuer die erste Tour ohne Gast. Obwohl der Schnee pickelhart gefroren ist, seilen wir kurz oberhalb der Firngrenze an. Die dunklen, endlos tiefen Löcher sind selbst in der Morgensonne gruselig. Die ersten zwei der drei Randspalten finden wir kaum, nur die dritte steilt bergseitig senkrecht auf und leitet ins Einstiegseisfeld.

Wir klettern am "laufenden Seil", Egon sechzig Meter voraus. Die Technik ist simpel: Immer wenn der Nachsteiger bei einer Eisschraube angelangt ist und diese heraus schraubt, dreht der Führende wieder eine ins Eis. Vielleicht entspricht dies nicht unbedingt der gängigen Lehrmeinung, ist aber eine perfekte Methode, um eiskalten Biwaks vorzubeugen.

Zwei steile Seillängen, die wir so gut es geht sichern, bringen uns über den ersten Steilaufschwung zum zweiten Eisfeld und bestätigen auch gleich unsere Vorahnung.

Im senkrechten Teil der Rinne ist der Schnee nur sehr schlecht verdichtet, von Eis keine Spur.

Das Ambiente ist überwältigend, ich genieße jeden Augenblick und sauge die Eindrücke tief in meine Seele. Ich liebe diese steilen Gullys, die Wildheit und Abgeschiedenheit solcher Wände, die wortlose Harmonie unserer Seilschaft.

Hier im zweiten Schild wird das Eis verdächtig dünn. Immer wieder singen die Eisgeräte und springen uns entgegen. Sicherungen sind unmöglich. Wieder am "laufenden Seil" kletternd, nur jetzt ohne jegliche Sicherung, finde ich kurz vor der zweiten Crux einen Fixkeil und benutze ihn als Stand.

Egons 40 Meter "runout" im losen, leicht überhängenden Schnee lässt mich beim Nachklettern erschaudern.

Das dritte Eisfeld bringt nichts Neues, "bing" und "sing", auf ca. hundertfünfzig Metern keine Sicherung.

Am obersten Ende vom Eisschild entscheide ich mich für die Rechte von zwei möglichen Felsrinnen und finde endlich einen Felshaken; beim Einhängen der Expressschlinge kommen mir jedoch gleich beide, der Haken und die „Ex", entgegen.

Ich schaue zu Egon, er steht eine Seillänge unter mir auf den Frontalzacken, die Pickel nur wenige Zentimeter im Eis verankert, ungesichert und hilflos im Schild. Das Gelände über mir wirkt nicht wirklich einladend. Fieberhaft versuche ich, eine Sicherung anzubringen, aber keine Chance.

Der ausgeaperte Fels, der hier wahrscheinlich Jahrhunderte vom Eis überzogen war, ist morsch und brüchig geworden.

Also, wie gehabt ohne. Erst nach ca. dreißig grausigen Metern singt ein Haken vertrauenserweckend in den Granit. Zwei weitere Seillängen und wir sitzen auf einem sonnenbeschienenen Absatz und machen eine halbe Stunde Pause, erst jetzt merke ich die Anstrengung. Ein halber Liter Cola, mehr hab ich nicht dabei, wirkt Wunder.

Nach drei weiteren Seillängen rolle ich mich um 16.15 Uhr mit einem herzhaften Freudenschrei über die Gipfelwechte des Pointe Walker. Als ich Egon die Hand drücke, empfinde ich grenzenlose Freude!

Vor nicht ganz drei Jahren prophezeite mir ein Professor der Trauma-Intensivstation an der Innsbrucker Klinik wörtlich: Herr Schranz, vergessen sie alles, was in ihrem Leben war, sie haben einen Totalschaden! Ich ignorierte seine Botschaft, konzentrierte und fokussierte all meine Kraft auf meine Gesundheit, auf das was ich wollte, und ich habe recht behalten.

Um 8:00 Uhr abends surrt unser Kocher auf der Terrasse der Boccolatte Hütte“.

Webtipps:

Eisalpin - die Page von Florian Schranz

AustriAlpin



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