Gleichzeitig auch erste Wiederholung der Tour!
Mit seinem spektakulären Alleingang beweist der 1976 geborene und für den „Piolet d’Or 2005“ nominierte Ueli Steck, dass er zu den komplettesten Alpinisten der Gegenwart zählt. „The Young Spider“ verläuft über 1800 Höhenmeter mit extremen Schwierigkeiten bis zu 7a/A2 im Fels, WI 6 im Eis und M7 im kombinierten Gelände; Ueli Steck definiert die Route als eine „typische moderne, schwierige und sehr komplette Route in steilem Fels und Eis“. Während der Erstbegehung im Jahr 2001 konnten Ueli und Stephan Siegrist Route nicht in einem Zug durchklettern. Sie hatten Fixseile angebracht und seilten immer wieder ab, bevor sie ein weiteres Stück der rund 30 Seillängen langen Route eröffneten. Viele Alpinisten, erzählt Ueli, hätten ihm gesagt, eine Durchsteigung in einem Zug sei kaum möglich; das Gegenteil zu beweisen, sei ihm richtig auf dem Magen gelegen. Zudem verzeichnete „The Young Spider“ in den vier Jahren bis zum Alleingang keine einzige Wiederholung, obwohl Ueli das Topo vielen gegeben habe; „aber niemand hatte schliesslich die Courage, einzusteigen und es zu versuchen“. Mit seinem Alleingang habe er „für sich einen Schlusspunkt unter ein offenes Kapitel am Eiger gesetzt“.
Perfekte "Junge Spinne"
Die Verhältnisse für den Alleingang in der „jungen Spinne“ waren fast perfekt: Es lag zwar laut Ueli Steck etwas zu viel Schnee, aber der Fels war ziemlich trocken, es war extrem kalt (um die -25 Grad), und damit waren die Eispassagen gut und die objektiven Gefahren gering. Nur die letzten Seillängen nach den grossen Schwierigkeiten waren ihm zu gefährlich, da auf dem plattigen Fels Schnee lag; so stieg er über die Ausstiegsrisse der klassischen Heckmair-Route aus. „In dieser Route musst du immer Kompromisse eingehen – wenn das Eis gut ist, ist es vielleicht anderseits brutal kalt, und damit wird das Klettern im Fels extrem schwierig.“ Ueli hatte zwar gefütterte Kletterschuhe dabei, brauchte sie aber nicht: „Ich konnte damit auf den feinen Tritten nicht stehen, die Sohle war so hart gefroren; in den Bergschuhen ging es besser …“ Überhaupt habe er „improvisieren müssen“; es brauche Kreativität für eine solche Tour, und das sei auch das Interessante daran.
Sich von Gewohntem trennen
Die Schwierigkeit bei dieser Solobegehung sei gewesen, sein langsames Vorwärtskommen zu akzeptieren: „Eigentlich war das Ganze eine reine Willenssache!“ Am Anfang, so Ueli, sei er ins Zweifeln gekommen, ob seine Taktik stimme; er sei sich gewohnt – z. B. von der Heckmair-Route – schnell voranzukommen; bei diesem Alleingang habe er umdenken müssen und sich Meter für Meter hocharbeiten müssen. Wegen der Schwierigkeit der Route musste Ueli sich praktisch immer sichern und konnte natürlich nicht mit Rucksack klettern. So musste er einen 50 kg schweren Haulbag mit 15 kg Kletter- und Sicherungsmaterial, zwei Seilen, dem Essen, dem Schlafsack und dem Portaledge nachziehen. Ein Vergleich: Während Ueli für die Begehung bei winterlichen Verhältnissen der Heckmair-Route elf Stunden benötigte, brauchte er für „The Young Spider“ fünf Tage.
Konzentration nur noch auf den nächsten Meter
In den schwierigen Abschnitten der Wand schaffte er pro Tag drei bis vier Seillängen: „Am ersten Tag war ich extrem motiviert. Aber gerade da musste ich aufpassen, mich nicht zu sehr zu pushen. Wenn du an das Ganze denkst, drehst du durch, weil du kein Ende absehen kannst. Schliesslich konzentrierte ich mich nur noch auf den nächsten Meter, die nächste Bewegung. Wenn du das nicht tust, verzweifelst du: Schliesslich musst du mit dem Sichern immer wieder rauf und runter, vielleicht ein, zwei Male den Haulbag lösen, der blockiert ist. Du darfst dir keinen Fehler erlauben. Das gilt auch für das Biwak: Du musst einerseits einen guten Platz vorbereiten, andererseits aufpassen, dass du nicht auskühlst und so schnell wie möglich in den Schlafsack kommst; dann musst du auf dein Material aufpassen. Meine Horrorvorstellung war, meine Schuhe zu verlieren, gerade am Morgen, wenn sie steif gefroren waren und ich sie kaum anziehen konnte!“ Ueli kletterte übrigens die ganze Route mit dem Phantom 6000 von Scarpa und sagt, er habe trotz der extremen Temperaturen und des recht engen Schuhs nie kalte Füsse gehabt. Für das Essen behalf er sich mit Powerbars und gefriergetrockneten Menüs, die er sich sorgfältig einteilte. Pro Tag trank er rund drei Liter. Trotz der Disziplin, die er sich in allem auferlegt hatte, war er am Schluss – auch von der Kälte – völlig ausgelaugt; nach dem Alleingang hatte er fünf Kilos abgenommen und war „zwei Wochen lang körperlich völlig schlapp!“
Ein cooler Lerntrip
Wie Ueli sagt, hat er bei diesem Alleingang viel gelernt. Nachdem er letztes Jahr bei seinem Khumbu-Express in Nepal u. a. in zwei Tagen allein die Cholatse-Nordwand durchstiegen hatte, war er am Eiger fünf Tage allein und in viel grösseren Schwierigkeiten unterwegs. Die Steigerung ist offensichtlich, auch wenn er bei seiner Eiger-Tour einen psychologischen Vorteil hatte: Er hätte in einem Tag aus der Wand in die Sicherheit abseilen oder im Notfall sogar Hilfe verlangen können – etwas, was im Himalaya absolut unmöglich gewesen wäre. Das ist auch der Grund, warum Ueli das Solo am Eiger als mental viel weniger belastend bezeichnet als jenes am Cholatse. Und doch habe ihn dieser Alleingang von „The Young Spider“ weitergebracht: Er wisse nun, dass er nun auch in schwierigen Seillängen, in denen er sich sichern muss, auf niemanden angewiesen sei. „Ein cooler Trip“ sei es gewesen, und der Moment, als er auf den Gipfel und damit in die Sonne gekommen sei, sei unvergesslich: „Du spürst die Sonnenstrahlen im Gesicht, etwas Wärme, während du davor fünf Tage immer im Schatten und in der Kälte warst und sehnsüchtig auf die von der Sonne beschienenen Hänge geschaut hast!“
Sturz in der Crux
Und noch was: Die grössten Schwierigkeiten in „The Young Spider“ befinden sich im ersten Aufschwung bei den Fenstern des Bahnstollens sowie im Aufbau der Spinne, der aus 5 Seillängen besteht. Eine davon ist eine 45 Meter hohe, schwierige und ausgesetzte Eiskerze. Als Ueli sie überwinden wollte, brach das Eis ab und er machte einen Sturz von zehn Metern … Dabei verletzte er sich an einer Vene unter dem Knie. Mit der extremen Kälte verheilte die Vene mehr oder weniger von selbst. Kaum daheim, zurück in der Wärme, verspürte Ueli aber grosse Schmerzen und ging deshalb sofort zum Arzt. Dessen Diagnose lautete: „Du solltest dich viel bewegen!“ Ein gutes Alibi für Ueli, bereits intensiv für seine nächsten Unternehmungen zu trainieren …
Text: Christine Kopp
Webtipp:
www.uelisteck.ch - die Page von Ueli Steck mit weiteren Berichten u. seinem Buch "Solo – Der Alleingänger Ueli Steck“
Kommentare