Johannes Egger eröffnet eine Mixedvariante von Sari Gelin Johannes Egger eröffnet eine Mixedvariante von Sari Gelin
27 März 2023

Eisklettern in der Türkei

Eisklettern im fernen Orient - vier Burschen aus Südtirol wagten dieses frostige Abenteuer

Eisklettern im Orient

Leise hören wir den Muezzin vom fernen Minarett. Während bei uns die Marcos und Gianluigis “molla tutto” durch die Gegend jodeln, klingt das Gebet schön entspannend. Unser Guide Mustafa hat uns am ersten Tag in der Türkei ins kleine Dorf Uzunkavak geführt. Mit unserer Eiskletterausrüstung sind wir im Zentrum des Dorfgesprächs. Obwohl die Eisklettercommunity langsam wächst, ist es doch kein alltäglicher Anblick, den die Einheimischen zu Gesicht bekommen.

Mustafa hat auch eine Bohrmaschine und Haken vom örtlichen Alpinclub aufgetrieben und mit einer freundlichen Aufforderung drückt er sie uns in die Hand. Nach der Anreise, die doch einen ganzen Tag in Anspruch genommen hat, sind wir hoch motiviert, loszulegen. Nach 2 Bohrhaken streikt die Maschine, während ich den dritten mit der Hand bohre, bringt Manuel alles wieder zum Laufen und so können wir eine schöne Mixedlänge zum klassischen Sari Gelin Eisfall einrichten. In der Zwischenzeit sind noch zwei Jungs aus Uzundere zu unserem Guide und dem Fotografen Kufi dazugestoßen. Obwohl sie selber nicht klettern, freuen sie sich unglaublich über unseren Einsatz. Ohne sich von der Kälte beeinflussen zu lassen, warten sie geduldig am Fuß des Eisfalles und machen mit einer kleinen Box und einem Lagerfeuer eine kleine Party. Nach einem langen Tag werden wir in ein kleines, feines Lokal entführt. Nachdem der Hunger groß ist, essen wir dem Koch die Herdplatte komplett leer.

Am Stadtrand kommen wir in einer sehr einfachen Pension unter. Aber die Gastfamilie gehört mit zu den herzlichsten Menschen, die ich je getroffen habe. Mit Händen und Füßen erklärt uns Gökhan, Duscha pronta. Besagte Dusche haut mich erstmal um, Klo und Dusche ist ein Raum, ein kleiner Pinker Kübel dient dazu, das Tagesgeschäft hinunterzuspülen. Aber unsere Zimmer sind richtig kuschelig, Kindheitserinnerungen an meine Sommer auf dem Bauernhof von meinem Opa lassen mich schnell einschlafen.

Am Montag fahren wir nach Cevizli. In unmittelbarer Nähe des Dorfes sind entlang eines Kessels 7 Eisfälle; von der Atmosphäre kommt es der Gorz sehr nahe, nur gibt es dort keinen Muezzin. Leider gab es einen Wärmeeinbruch, und so konnten wir nur eine der leichteren Routen klettern. Dies stellte sich als gute Entscheidung dar, da im Tagesverlauf einer der verbliebenen steilen Fälle zusammenbrach.

Allein dieser Ort bietet genug Material für 3 Tage schönstes Eisklettern. Ein obligatorischer Tee im Zentrum des Dorfes war Pflicht; und wie schon einige Male zuvor war ich von der herrlichen Unkompliziertheit der Türken verzaubert. Im Nu war ein großer Tisch und ein paar, zugegebenermaßen nicht zwingend Stabilität ausstrahlende, Stühle organisiert.

Am Dienstag fahren wir nach Kirazli und von dort über einen wahnsinnig lehmigen und exponierten Weg zu den Füsen des Güllü Tepe. Dort sind die Routen zwischen 250 und 500 Meter lang, allerdings auch sehr exponiert, wie wir im Tagesverlauf feststellen. Während wir Nakavt Rotasi klettern, kommen immer wieder Spindrifts herunter, die sich während dem Abseilen zu kleineren Lawinen entwickeln, welche uns immer wieder erwischen. Am Wandfuß hauen wir so schnell wie möglich aus unserer unglücklichen Position ab. 17 Lawinen haben Mustafa und Kufi in der Zwischenzeit gezählt. Aber der gefährlichste Teil lag noch vor uns. Während der Rückfahrt fand ich mich auf dem Schoß von Manuel wieder. So steil ging es neben uns runter und durch den lehmigen Untergrund war es eine solche Schlitterpartie, dass ich von meinem Fensterplatz in Richtung Schiebetür flüchten wollte. Da war aber eben schon Manuel, der den Weg versperrte. Der stoische Kommentar von Lukas “lossn la, des mochta schu” beruhigte mich genau gar nicht. Und so kam es mir sehr gelegen, dass wir am Abend bei Görkhan ein paar Bier auftreiben konnten.

Nächsten Tags ging es nach Demirciler, dort steht ein sehr formschöner Fall, ähnlich wie das berühmte Schwert von König Arthur und so passt der Name Excalibur wunderbar. Leider war auch dieser der Warmfront zum Opfer gefallen, aber eine mögliche Mixedlinie an der linken Seite überzeugte uns und da wir sowieso keinen besseren Plan für diesen Tag hatten, ging es an die schmutzige Arbeit. Sandstein, Wasser und Temperaturen über dem Gefrierpunkt ließen uns innerhalb weniger Minuten wie Höhlenforscher aussehen. Aber einmal das unglaublich steile Dach überwunden, kam ich schnell weiter und konnte nach 30 Metern einen guten Stand machen. Danach ging es darum, die Route zu befreien, was sich als ein ziemlich kniffliges Unterfangen herausstellte, da immer wieder Hooks brachen. Das Gute daran war, dass wir so eigentlich jeden Bolt richtig testeten. Nach einer längeren Pause gelang es mir endlich, die entscheidenden Züge zusammenzuhängen und ins leichtere Eis zu kommen. So konnte ich doch zufrieden zusammenpacken, es hätte mich unglaublich geärgert, ein offenes Projekt zurückzulassen. In Anlehnung zum Fall gefällt mir der Name des Zauberers Merlin sehr gut für diese M8+. Mustafa meinte, dass das die schwerste Mixedlänge in der Türkei sei, was aber nicht verwunderlich ist, da einfach noch sehr wenig von dem riesigen Potenzial erschlossen ist, welches in diesem wunderschönen Land noch schlummert.

Am Donnerstag war das Wetter definitiv beschissen, wir kämpften uns halbherzig mit den Skiern im Palandöken Skipark durch die Gegend, aber die Lust schwand mit jeder Minute und so fanden wir uns recht schnell in einem Dessert Lokal wieder. Es gab wahnsinnig leckere Schnitten, die alle auf Pistaziengrundlage sind, und in Kombi mit Weichkäse und Eis einfach ein Genuss waren. Nach einem türkischen Kaffee, welcher gut, aber gewöhnungsbedürftig ist, zeigte uns Mustafa seinen Klettershop. Mit seiner Firma Alpin Outdoor hat er in der Türkei eine Nische gefunden und ist auch verantwortlich, für den ersten künstlichen Eiskletterpark in der Türkei. Stolz erzählte er uns, dass es fast einen exponentiellen Zuwachs an Besuchern gibt. Während er sich um einige geschäftliche Details kümmerte, tobten wir uns ein bisschen in der kleinen Boulderhalle aus, welche er im Keller seines Shops gebaut hat.

Für den Freitag hatte Mustafa einen Traktor aufgetrieben, und so ging es unter den erstaunten Blicken der Dorfbewohner wieder zum Güllü Tepe. Dieses Mal war die Fahrt zwar luftig, aber ungleich entspannt. Während sich Manuel und Willi den Sugar Pillar unter den Nagel rissen, richtete ich mit Lukas etwas links davon unsere dritte Erstbegehung ein. Aus der Ferne hatte es wie ein Zapfen ausgesehen, aber es entpuppte sich leider als Säule. Die erste Länge über den Fels forderte mich gleich stark, der erste Eindruck war extrem trügerisch und statt guter Hooks fand ich nur geschlossen Plattenfluchten. Nach einer Belastungsprobe für die Waden konnte ich endlich unter dem Eis Stand machen.

Lukas erging es gleich wie mir und erstaunt ob der relativ schwierigen Kletterei war er umso motivierter sich die Eislänge unter den Nagel zu reißen. Zwischen Fels und Eis kletterte er souverän ans Ende des Falles. Zweimal abseilen und wir waren wieder bei den Rucksäcken, Manuel und Lukas kamen auch fast zeitgleich zu unserem ferrariroten Traktor zurück und schnell waren wir wieder im Tal und futterten wieder mal ein ganzes Schaf zusammen. Obwohl das Essen wirklich gut ist, freuten wir uns doch langsam wieder auf ein wenig Abwechslung zu Hause. Die Vorhersage für Samstag war super und so ging es schnell wieder zum Güllü. Freedom for Nations war der Name unserer letzten Route. Schon beim Einstieg löste ich ein kleines Brett aus und auf halb Weg noch eines, welches Willi und Lukas etwas Schnee unter die Hardshelljacke blies. Im Vergleich zum Krieg, welcher in der Ukraine vor sich geht, schienen es mir doch lösbare Probleme und einige Male fragte ich mich, was mir das Privileg verschaffte, ungetrübt einem doch sehr unbedeutenden Zeitvertreib zu frönen, während auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres unschuldige Menschen wegen eines verrückten Usurpator um ihr Leben fürchten müssen.

Am Abend waren wir wieder in Erzurum und in einem Teeladen gab es klassische türkische Musik. An unserem Tisch war auch der türkische “Bear Grills”, eine Portion Mann, wo sogar Manuel meinte, er würde sich mit ihm lieber nicht anlegen. Nach einem Dialog mit dem Musiker, übersetzte er mir kurz, dass wir herzlich willkommen sind; und dass der Musiker meinte, dass wir zwar unterschiedliche Sprachen haben und in verschiedenen Nationen leben, aber unsere Väter und Mütter die gleichen sind. Diese doch simple  Aussage fand ich sehr schön und mit dieser klaren Einschätzung fing der alte Musiker die Meinung von den meisten friedlichen Menschen recht gut ein.

Als Abschluss ging es noch in einen Suppenladen. Wer mich etwas kennt, weiß, dass ich nicht der experimentierfreudigste Esser bin, aber da wir die ganze Woche eigentlich immer gute Suppen als Vorspeise hatten, freute ich mich. Die Kuttelsuppe, welche wir diesmal bekamen, stellte mich dann doch sehr auf die Probe und irgendwann kapitulierte ich zusammen mit Lukas. Am nächsten Tag mussten wir uns leider von Mustafa, Kufi und diesem tollen Land verabschieden (traurigerweise sind beide bei Unfällen verstorben. Die Firma wird von Mustafas Partner weiter geführt und bietet Bergsteigern ähnliche Unterstützung an).

Text: Johannes Egger; Fotos: Lukas Daverda, Johannes Egger, Lukas Haller und Manuel Luterotti.



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