02 November 2016

Odyssee

Die erste bohrhakenfreie 9er Tour der Alpen bekam zweiunddreißig Jahre nach der Erstbegehung ihre 3. Rotpunktbegehung. Erstbegeher Darshano L. Rieser und Wiederholer Fabi Hagenauer sprechen über das Meisterwerk.

Die erste bohrhakenfreie 9er Tour der Alpen bekam zweiunddreißig Jahre nach der Erstbegehung ihre 3. Rotpunktbegehung. Erstbegeher Darshano L. Rieser und Wiederholer Fabi Hagenauer sprechen über das Meisterwerk.

Am 21.10. 1984 kletterten Darshano L. Rieser und Wolfgang Müller in sechs extrem schwierigen Seillängen rechts der Rebitsch-Spiegl durch die Fleischbank Ostwand. Sie schlugen auf den 300 Metern lediglich 11 Normalhaken zur Standsicherung und weitere 20 zur Zwischensicherung und eröffneten damit die damals wahrscheinlich anspruchsvollste und schwierigste bohrhakenfreie Alpintour im gesamten Alpenraum. Die Route zieht auf sechs Seillängen durch die zentrale Fleischbank Ostwand und erreicht Schwierigkeiten bis 9-. Während in der 1., 4. und insbesondere 6. Seillänge das Problem des Absicherns dominiert, wartet in der 2. Seillänge eine 35 Meter lange überhängende Verschneidung mit schwierigen Zügen auf Wiederholer.


Zur Absicherung steht in Wolfgang Müllers Kaiserführer aus dem Jahr 1985: „Die meisten SL sind äußerst schwer abzusichern, im oberen Wandteil ist ein Standplatz etwas unsicher. Insgesamt extrem ernst!“

Wiederholer

2002 gelang Erich Weißensteiner und Chris Gröber die erste Wiederholung, 2015 dann Guido Unterwurzacher und Simon Berger die erste Rotpunkt-Wiederholung an einem Tag. Guido spricht von einer auf keinen Fall zu unterschätzenden Route, in der weite Stürze mit unkalkulierbaren Folgen möglich sind und zollt den Erstbegehern Respekt: „In Sachen Moral, Ethik und Eigenverantwortung war diese Tour sicher ihrer Zeit weit voraus. Ein echtes Abenteuer!“

Knapp 32 Jahre nach der Erstbegehung klettern am 28. August 2016 auch Fabi Hagenauer und Marinus Gottwald rotpunkt durch die Route.

„In der zweiten Seillänge scheiterte Marinus am Onsight, auch ich ließ mich einmal von der 35 Meter langen, splittrigen Verschneidung abwerfen. Im zweiten Versuch gelang mir dann der Durchstieg und Marinus stieg souverän nach. In der letzten 8- wurde es nochmal spannend. Ein breiter, schlecht abzusichernder und rutschiger Riss verlangte uns nochmal alles ab, schließlich gelang uns auch diese Seillänge und wir hatten es geschafft.“ kommentiert Fabi die Begehung.

BILDERGALERIE Odyssee einst und jetzt

Wir haben mit Darshano und Fabi über die Tour gesprochen:

Was war eure Motivation gerade diese Linie erstzubegehen / zu wiederholen:

Fabi: Die Odyssee reizte mich sehr, da es nicht viele Routen in diesem Schwierigkeitsgrad ohne Bohrhaken gibt. Das macht eine solche Tour zu einem Abenteuer, das ich gerne in den Routen suche, die ich begehe. Außerdem wollte ich unbedingt sehen, wieviel alter Schrott in der markanten Verschneidung wohl drin steckt.

Darshano: Nachdem ich sportklettermäßig fit war und mir mit Heinz Mariacher, Reinhard Schiestl, Wolfgang Müller usw. in den Dolomiten bereits große bohrhakenfreie Erstbegehungen gelungen waren, war die Fleischbank damals das optimale Versuchslabor, um all die gewonnene Erfahrung und all das angeeignete Können in einer Route umzusetzen, die eigentlich ohne Bohrhaken absolut tabu war. Es galt, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen betreffend Wandpartien, die bisher ohne gebohrte Sportkletter-Absicherung als nicht möglich galten, schon gar nicht bei Erschließung im Vorstieg, wie wir es taten. Kraft und Ausdauer, aber vor allem der mächtige Drang zur Innovation waren die Motivation für die Odyssee. Das sensibilisierte Auge für die richtige Linienführung und das entsprechende Nervenkostüm zur Umsetzung waren dann schließlich die Zutaten zur Realisierung.

In welchem Stil habt ihr die Tour erstbegangen / wiederholt?

Fabi: Wir sind die Route in Wechselführung geklettert. Also erst Vorstieg, dann Nachstieg etc.

Darshano: Bis auf die beiden ersten SL sind Wolfi und ich alles on sight geklettert. Bei der Rotkreis-Begehung der Schlüssel-SL hab‘ ich - nachdem ich den letzten Verschneidungs-Haken geschlagen habe, der entscheidend war, weil danach ein Run-Out bis zum Stand auf mich wartete – vor lauter Ungestüm darauf vergessen, diesen einzuhängen und bin ohne diese wichtige Sicherung bis zum nächst möglichen Stand rausgestiegen : - ) … Die Seillängen danach hatten wir damals im Neuland voll drauf.

Die Rotpunkt-Begehung der 2. SL habe ich später mit Peter Schäffler gemacht, Wolfgang wurde bei seiner Rotpunkt-Begehung von Irmi gesichert.

Was war für euch der psychisch anspruchsvollste Teil der Route?

Fabi: In der Schlüsselseillänge selbst sind relativ viele Haken, so dass sich die Schwierigkeit eher aufs Klettertechnische begrenzt. Es sind die anderen Seillängen, in denen Vorsicht geboten ist. Aber die letzte Seillänge hatte es wirklich in sich. Ein offener, überhängender Riss, ohne wirklich gute Absicherungsmöglichkeiten und der, glaube ich zumindest, immer rutschig ist. 

Darshano: Das hat sich also inzwischen ins Gegenteil verkehrt. 1984 war das Einsteigen in die – damals ohne Bolts als undenkbar geltende – Schlüssel-Verschneidung der „psychisch anspruchsvollste“ Moment. Der Tabu-Bruch sozusagen. Man muss sich vorstellen, dass wir unter einer ziemlich geschlossenen, überhängenden, splittrigen Verschneidung standen, die absolut nicht nach vernünftiger Absicherung aussah und von der wir ahnten, dass sie den 9. Grad erfordern wird. Und tatsächlich waren die Haken, die wir dann letztlich untergebracht hatten, ziemlich „wackelig“ und die verlangte Kletterei knapp am damaligen Sportkletter-Limit. Inzwischen ist aber durch die verschiedenen gescheiterten Wiederholungsversuche einiges an besseren Haken und fixierten Keilen dazugekommen, sodass die 2. SL „nur mehr“ die physisch schwerste SL darstellt und der psychische Faktor von damals nicht mehr so zu spüren ist.

Was meint ihr, warum die Tour bis dato erst zwei Wiederholungen hat?

Fabi: Die Route genießt einen wilden und anspruchsvollen Ruf, die ein hohes Kletterkönnen im alpinen Gelände verlangt. Die Anzahl der Leute, die ein solches Niveau im alpinen Gelände besitzen, sind nun mal beschränkt und daher wird die Route wohl nie so richtig überlaufen werden.

Darshano: Die meisten Sportkletterer brauchen für eine alpine, bohrhakenfreie Route wie die Odyssee fast 2 Schwierigkeitsgrade Sicherheitsreserve, das bedeutet, dass sie den 11. Grad beherrschen müssen. Und in diesem Bereich setzen die wenigen Athleten, die in Frage kommen, letztendlich doch lieber auf Bolts, sodass dann noch schwierigere, aber mit Bohrhaken abgesicherte Routen wie „Silbergeier“, des „Kaisers neue Kleider“ oder Ähnliche bevorzugt werden. Obwohl, - meine schwierigste Erstbegehung („Steps across the borders/Senkrecht ins Tao“ mit Ingo Knapp in der Marmolada-Südwand) ist auch im 10. Grad angesiedelt, genießt den Ruf extrem schön zu sein (aber halt bohrhakenfrei  : - ) )  und auch die hat erst zwei, drei Wiederholungen (seit der Erstbegehung 1995, also auch schon vor 21 Jahren!).

1984  wurde im Klettergarten erstmals der 10 Grad geklettert, heute haben wir bereits Routen im 12ten Grad. Wie sehr wart ihr selbst schwierigkeitsmäßig und psychisch in der Odyssee am Limit?

Fabi: Rein vom Schwierigkeitsgrad her klettert man beim Sportklettern natürlich viel schwieriger, trotzdem war in der „Odyssee“ die Schlüsselseillänge sehr anspruchsvoll zum Durchsteigen, da die 30 Meter lange Verschneidung teils brüchig, teils rutschig und immer pumpig ist. Psychisch habe ich mich der Route gewachsen gefühlt, deshalb sind wir auch eingestiegen. Ich denke, ich bin noch nicht am Limit angelangt.

Darshano: Die Odyssee habe ich in meiner absoluten Sturm- und Drangzeit erstbegangen, nachdem mir bereits schöne Erstbegehungen überall in den Ostalpen gelungen waren, - die Odyssee war sozusagen der alpine Kulminationspunkt der damaligen Zeit. Ich war schon immer in der Lage auch alpin und bei spärlicher Absicherung relativ nahe an meine physische Leistungsgrenze heranzuklettern. Das ist sicher eine meiner Stärken gewesen. Insofern war die Crux der Odyssee damals mehr mein klettertechnisches Limit, als mein psychisches, - und Fabi kann ich als nächsten Schritt nur eine Rotpunkt-Wiederholung von „Steps across the borders/Senkrecht ins Tao“ empfehlen : - )oder, wenn er eine psychische Steigerung sucht, die „Lärmstange“ in den Zillertaler Alpen.

Ihr habt ja beide ganz offensichtlich eine sehr gute Psyche (bzw. Moral). Habt ihr die einfach oder habt ihr euch die Nerven aus Stahl irgendwie antrainiert?

Fabi: Ich glaube, ich hatte schon immer eine gute Psyche. Man kann einen guten Kopf schon durch Erfahrungen verbessern oder aufbauen, aber das wichtigste ist, dass man Bock drauf hat. Man muss beim Klettern voll bei der Sache sein, richtig stabil klettern und immer ein Auge auf die nächsten möglichen Absicherungen haben. Wenn man sich dann sicher fühlt und es Spaß macht, dann ist es gar nicht mehr so schlimm oder gefährlich, sondern nur ein Abenteuer.

Darshano: Mein Nervenkostüm war von Haus aus gut, aber ich habe im Laufe der Jahre auch einige Tricks herausgefunden, auf die ich dann zurückgreifen konnte, wenn sich der Flow einmal nicht eingestellt hat, aus dem heraus ich normalerweise agierte und jenseits von Angst und Dogma kletterte.

Worauf sollten andere Wiederholungsaspiranten in Odyssee achten?

Fabi: Darauf, dass man die Route wirklich unbedingt klettern möchte, man einen guten Kletterpartner hat, mit dem man auch mal einen Spaß zwischendurch machen kann und dass man die Friends nicht zuhause lässt.

Darshano: Er oder sie sollte darauf achten das Seil nicht zu vergessen, weil für eine Free-Solo-Begehung die Zeit womöglich noch nicht reif ist! : - )

Routeninfo mit Topo findet ihr hier

Zu den Erstbegehungen von Darshano L. Rieser geht's hier lang



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