14 Januar 2016

Ortler Trilogie

Rieglerbrothers schließen mit "Trinitas" Ortler Nord-West-Wand ihre Trilogie an Königspitze, Zebrù und Ortler ab.

Rieglerbrothers Trilogie – „Eine Lausbubengeschichte in drei Streichen“ von Florian Riegler

Es begann alles im Februar 2007, als ich mit „Illuminati“ den damals schwierigsten Mixed-Eisfall der Welt als Erster wiederholen durfte. Eine antemberaubende Linie, genial!

Nur eine kleine Sache störte mich: Die Tour ist nur ca. 150 Meter lang und erreicht keinen Gipfel. So fragte ich mich, ob eine derart steile und schwierige Route auf einen „richtigen“ Berg übertragbar wäre.

Als wir im Winter 2010 die König Nordwand kletterten sah ich zufällig einen sehr überhängenden Wandabschnitt. Volltreffer, genau was ich gesucht hatte!

Es begann ein Abenteuer, das mich beinahe mehrere Finger kostete. Aber der Reihe nach:

Erster Streich

„Schach matt“!

König Nordwand, Jänner 2010

5.00 Uhr

Der Wecker wirft uns aus dem gemütlichen Matratzenlager der Schaubachhütte auf 2.573m. Wir schauen aus dem Fenster. Es schneit leicht. Verdammt! Eigentlich war schönes Wetter gemeldet. Wir sind unschlüssig ob wir es dennoch wagen sollten in unsere neue König Nordwand-Tour einzusteigen. Nach einem kurzen Frühstück gehen wir im Dunkeln und bei regem Schneefall mit den Skiern zum Einstieg. Wir stehen nun im Schneesturm unter der steilen Einstiegswand. Die ersten überhängenden 85 Meter schützen uns gut vor Lawinen und wir sortieren unser Material. Kurz bevor wir einsteigen reißen die Wolken plötzlich auf und wir erleben einen wunderbaren Sonnenaufgang. Wolkenloser Horizont. Ich schaue meinen Bruder an und weiß dass er genau dasselbe denkt wie ich: Rock&Roll Baby - heute fällt der König! Wir sind guter Dinge und überzeugt es zu schaffen. 1.200 Meter Fels, Eis, Schnee und wohl einer der schwierigsten Anstiege der Ostalpen liegen vor uns.

Wir klettern die ersten Meter in technischer Kletterei an unseren fixierten Seilen hoch. Wir sind schnell und Seillänge für Seillänge eilen wir nach oben.

11.00 Uhr

Nach der fünften Seillänge stehen wir auf einer Art Balkon und beraten ob wir weiter klettern sollen, oder doch besser umdrehen? Hier könnte man noch abseilen, doch wenn wir uns entschließen weiterzugehen, ist ein Rückzug nur mehr sehr schlecht möglich und wir haben keine Biwak Ausrüstung dabei. Martin meint, dass sich zu viel Neuschnee in der Wand befindet und die Spurarbeit hart werden würde. Besonders weil wir uns in unbekanntem Gelände bewegen, nicht wissend was uns erwartet und das bei beinahe minus 20° Grad.

Wir gehen weiter. Ich steige die nächste Eisseillänge vor. Das Gelände wir flacher und ich finde einen geeigneten Platz für einen Stand, schlage 2 Haken und sichere Martin nach. Auch in der nächsten Seillänge läuft es gut. Danach folgt ein steiles Schneefeld, das wir seilfrei gehen. Es liegt wirklich viel Schnee und das Weiterkommen ist extremst mühsam. Nach ca. 100 Metern klettern wir in einer steilen Rinne weiter. Am Ende der Rinne versperrt uns eine 10 Meter hohe senkrechte Wand den Weg. Wir hatten sie von unten zwar gesehen aber nicht erwartet dass sie so schwer kletterbar ist. Ich lasse meinen Rucksack bei Martin, binde mich ins Seil ein, nehme ein paar Haken mit und klettere los. Ich suche den Weg des geringsten Wiederstandes und quere die Wand leicht nach rechts. Ich schlage einen Haken. Dann klettere ich weiter und schlage einen Zweiten. Ich habe Angst zu stürzen und hoffe und bete, dass ich heil über die Kante komme. Der Fels ist hier immer noch glatt, aber es wird flacher. Ich steige noch 40 Meter hinauf und versuche einen einigermaßen sicheren Standplatz einzurichten. Martin muss es jetzt irgendwie schaffen mit zwei Rucksäcken nachzukommen. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor und wegen des aufkommenden Windes kann ich seine Stimme nicht hören. Doch schließlich erreicht er den Standplatz.

13.00 Uhr

Wir sind jetzt mitten in der Wand. In einem Stück Erde das eigentlich nicht für den Menschen gemacht ist. Abweisend, steil, kalt, gefährlich, grausig! Wir fühlen uns ausgesetzt und alleine - weit weg - irgendwo im nirgends. Die anhaltende Kälte macht mich fertig. Martin will etwas trinken, schlüpft aus seinen Fäustlingen und legt sie vor sich in den Schnee. Genau in diesem Moment kommt ein Windstoß und der rechte Handschuh verschwindet in der Tiefe. Gut, dass wir ein Reservepaar dabei haben.

Die obere Hälfte der Wand dürfte nicht mehr so steil sein und wir klettern wieder seilfrei weiter, um schneller zu sein. Der Neuschnee macht uns zu schaffen und bremst uns enorm. Ich wühle mich nach oben. Alle 10 Schritte muss ich stehenbleiben und nach Atem ringen. Das Wetter wird schlechter und der Ortler ist bereits in Wolken gehüllt. Gas! Ich versuche Martin anzutreiben und blicke immer wieder auf meine Uhr: 13.45 Uhr 3.150 Höhenmeter. Es weht nun starker Wind und

es beginnt erneut zu schneien. Wir sehen keine 100 Meter mehr und ich hoffe, dass oben keine schweren Felspassagen auf uns warten und wir in keine Sackgasse klettern. Immer wieder schweift mein Blick zu meinem Bruder hinunter. Hoffentlich macht er keinen Fehler. Eine kurze Unaufmerksamkeit würde genügen um in den Abgrund zu stürzen. Ich weiß, dass er fit ist, sicher klettert und Verlass auf ihn ist. Trotzdem hat er weniger Erfahrung in solchem gemischten, felsdurchsetzten Gelände als ich. Wird schon gut gehen!

15.00Uhr

Wir erreichen den Gipfelgrat auf ca. 3.650 Meter. Es fällt Eisregen vom Himmel und der Wind wirft mich beinahe um. Wir wollen irgendwie nach links queren um dort einen sicheren Abstieg zu suchen. Der Gipfel steht nicht zur Diskussion. Schnee und Eis klebt in unseren Gesichtern und das Seil ist steif wie ein Stahldraht. Wir haben die ganze Zeit nichts gegessen und die Anspannung macht sich zunehmend bemerkbar. Wegen des Sturmes müssen wir uns anschreien um zu kommunizieren. Die Zeit drängt wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit aus der Wand verschwinden möchten! Ein Notbiwak bei diesen Bedingungen, ohne nötigen Schutz wäre eine lebensgefährliche Falle. Meine Hände sind beinahe taub vor Kälte. Ich versuche immer wieder die Arme zu kreisen und die Finger zu bewegen. Die Handschuhe sind hartgefroren und an einigen Stellen aufgerieben vom Klettern. Ich spüre wie die Kälte über meine Stirn in meinen Kopf eindringt und ihn versucht lahmzulegen. Jetzt nicht aufgeben! Wir schaffen das! Wir binden uns ins Seil und ich stapfe vorsichtig Richtung Osten - Richtung Hoffnung. Eine präzise Orientierung ist unmöglich. Ich navigiere mittels siebtem Sinn. Fünf mal gehe ich soweit bis das Seil zu Ende ist. Dann gehen mein Bruder und ich synchron. Es wird immer finsterer und aussichtsloser und die Kälte ist fast nicht mehr auszuhalten. Wir zittern am ganzen Leibe. Die Füße fühlen sich an wie zwei Fremdkörper und jegliches Gefühl in den Zehenspitzen ist schon längst Vergangenheit. Das reinste Inferno. Wir müssen hier weg!

Allmählich glauben wir im Schatten eine Scharte zu erkennen. Das muss die Ostrinne sein. Diese Rinne sind wir beide ein Jahr vorher mit den Skiern abgefahren. Es sind zwar nur Umrisse von Felsen und Schneeflanken zu sehen, aber trotzdem sollte das der Ausweg aus unserer Misere sein. Instinktiv setzen wir einen Fuß vor den anderen. Boden und Himmel verschwimmen und dass es lawinengefährlich sein könnte in den Kanal abzusteigen blenden wir in diesem Moment aus.

16.30 Uhr

Wir beginnen jetzt mit dem Abstieg. Es ist schon fast dunkel und der Sturm peitscht unbarmherzig in unser Gesicht. Wir bleiben mit dem Seil verbunden damit wir uns nicht verlieren. Im Schein unserer Stirnlampen stolpern wir durch Rinnen, Schneehänge und kurze Felspassagen. Immer wieder stellen wir uns die Frage ob das wohl der richtige Weg ist? Je weiter wir absteigen, desto weniger bläst der Wind und auch das Gelände wird ein wenig flacher. Als wir den Ferner erreichen bleiben wir kurz stehen. Wir fühlen uns in Sicherheit obwohl wir wissen, dass hier irgendwo der Gletscherabbruch und einige Spalten sein müssen. Der letzte Gegenanstieg um zu unseren Skiern am Einstieg der Route zu kommen beginnt. Wir sind beide am Ende unserer Kräfte. Jeder spurt 20 Schritte - dann macht der andere weiter.

19.00 Uhr

Wir erreichen unsere Skier. Wir können aufatmen und brauchen sofort etwas zum Essen. Leider sind die Brote zu Eisbrocken geworden und somit ungenießbar. Es schneit noch immer sehr stark und man kann jetzt gar nichts mehr sehen, doch irgendwie müssen wir heil die fast tausend Höhenmeter zurück nach Sulden. Wir fahren den steilen Hang hinunter - ins Nichts. Die Steigfelle lassen wir aufgeschnallt da noch einige Gegenanstiege folgen. Mit Mühe schaffen wir es

die Orientierung nicht total zu verlieren. Immer wieder bleiben wir stehen, um mit unseren Stirnlampen die Gegend abzuleuchten und den richtigen Hang abzufahren. Zum Glück kennen wir die Gegend zwischen Ortler und König inzwischen sehr gut.

20.00 Uhr

Wir erreichen das Auto. Ich ziehe meine Handschuhen aus und erschrecke. Meine Finger sind hartgefroren, schneeweiß und brennen furchtbar. Martin fährt nun mit meinem Auto und ich sitze daneben. Die Schmerzen werden immer stärker. Ich stöhne laut vor mich hin und muss mich auf die Rückbank legen. Ich wälze mich hin und her und jeder weiterer Autokilometer ist eine Qual. Ich kann es kaum ertragen und stecke beide Hände in meine Hose um mich an meiner eigenen Körperwärme zu wärmen. Nachdem auch zwei Aspirin Tabletten nichts nützen beschließen wir sofort ins nächste Krankenhaus zu fahren. In der Ersten Hilfe in Schlanders werde ich erstversorgt.

Die Diagnose der Ärzte lautet Erfrierungen am linken großen Zeh, an beiden kleinen Fingern und am rechten Mittelfinger, 2.-3. Grades! Die folgende Woche verbringe ich im Krankenhaus. Unserer Wintererstbegehung an der Nordwand der Königspitze geben wir den Namen „Schach matt“. Gewonnen haben wir das Spiel nicht. Aber überlebt!

Zwei Monate später kehren die Brüder in ihre Route zurück und klettern alle ausstehenden Seillängen Rotpunkt. Martin springt aus der 85m hohen Einstiegswand und realisiert somit den ersten Basejump an der Königspitze.

Dieses war der erste Streich und der zweite folgt sogleich

„SERAC“

Zebrù Nordwand, April 2015

Als wir in Sulden in die Bahn steigen um auf die Schaubachhütte zu fahren, sagt man uns, die Hütte
sei geschlossen. Normalerweise nicht, nur heute eben. Und nun? Nach Hause fahren kommt nicht in
Frage und wir beschließen im Auto einige Stunden zu schlafen und in der Nacht direkt von Sulden
aus zu starten.

Gegen 2.30 Uhr montieren wir die Ski auf unsere Rucksäcke und queren über den Suldenferner
zum Monte Zebrù. Als wir den Wandfuß erreichen beginnt es langsam hell zu werden. Unser Ziel
sind die Eisseillängen direkt neben den Sèracs. Je schneller wir den unteren Teil klettern, desto
sicherer. Das Eis ist extrem hart. Gut dass wir unsere Eispickel aufs Maximum gefeilt haben. Ich
bin noch nie so nahe an Eisbrüchen geklettert, es sieht faszinierend aus, und gefährlich zugleich.
Wir kommen zügig voran und klettern gegen 6.00 Uhr, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen die
Sèracs in ihrer Ruhe stören, aus der Gefahrenzone heraus. Was würde ich jetzt für einen Kaffee
bezahlen! Stattdessen stehen uns hunderte Meter Eiswand bevor.

Wir verstauen unsere Seile im Rucksack und klettern frei weiter. Im selben Moment sehe ich unsere
Videokamera in der Tiefe verschwinden. „S...“! Wir müssen weiter. Es liegt noch viel vor uns und
die Kamera finden wir sowieso nicht mehr.

Um Gewicht zu sparen hatten wir entschlossen, so wenig Material als möglich mitzunehmen. Das
hat natürlich auch Nachteile. Der halbe Liter Tee ist schnell aufgebraucht und der Durst ist quälend.
Zum Glück finden wir eine logische Linie und erreichen den Gipfel problemlos. Ein kurzer
Händedruck und wir beginnen wieder mit dem Abstieg. Hinunter wollen wir über die Nordwand. Es
wird immer wärmer und der Durst immer größer. Die Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht
nimmt von Minute zu Minute zu. „Konzentriert bleiben“, denke ich mir während wir seilfrei ab
klettern. Um 14.00 Uhr sind wir wieder beim Ausgangspunkt. Bar wir kommen!

Dieses war der zweite Streich, doch der letzte folgt sogleich.

Dritter Streich „Trinitas“

Ortler Nord-West-Wand, Dezember 2015

Sonntag 2.00 Uhr morgens. Ein wenig verschlafen versuche ich zu Frühstücken, dann starten wir los. Auf dem Weg nach Sulden treffen wir noch auf die letzten Partygäste vor der Diskothek. Während die einen noch feiern, haben wir unser Abenteuer erst vor uns.

Gegen 4.00 Uhr erreichen wir Dreibrunnen auf zirka 1600 Meter Meereshöhe. Bei Mondschein passieren wir die Kapelle und steigen den Weg Richtung Berglhütte auf. Da fast kein Schnee liegt reichen uns die Turnschuhe. Wir steigen höher und kommen langsam in die Nähe dieser etwas furchteinflösenden vereisten Wand. Motiviert steigen wir zu immer steiler werdendem Gelände. Unser Ziel ist die filigrane Eisspur rechts unterhalb der Seràcs. Kopfzerbrechen bereitet uns allerdings, was nach dem Eis kommen würde, da wir diesen Teil der Wand von unten nicht einsehen können. Vermutlich ein Labyrinth aus Spalten?

Etwas angespannt klettern wir die ersten Meter. Bereits jetzt lässt eine heikle Stelle meinen Puls hochfahren. Als wir uns anseilen wollen fällt mein gesamter Proviant in eine steilen Rinne. Wegen der Anspannung ist mir sowieso der Appettit vergangen – also weiter geht`s denn die Tage im Dezember sind kurz. Trotz unübersichtlichem Gelände kommen wir besser voran als erwartet und mit jedem Meter Höhe steigt unser Optimismus. Die Bedingungen sind gut: wenig Schnee also kaum Lawinengefahr und kein Steinschlag.

Das Gelände wechselt zwischen Fels, Eis und Schnee. Wir können alles mit mobilen Sicherungsmitteln und Eisschrauben absichern und brauchen kein Material in der Wand zu lassen. Die Spannung steigt denn wir wissen noch nicht wie es hinter dem letzten Eisvorhang aussieht. Mit müden Unterarmen zerhacke ich die letzten Meter des spröden Gletschereises und spähe über die Kante. Flacheres Gelände in Sicht und eine gute Chance heil aus der Wand auszusteigen. Vorsichtig queren wir das Gletscher(„minen“)feld. Als wir uns bereits in sicherm Gelände fühlen passiert es. Ich verschwinde bis zur Hüfte in einer Spalte. Doch Martin hät das Seil straff und außer einem kleinen Schrecken passiert mir nichts. Wir sind froh die Spalten hinter uns zu lassen. Wir queren nun Richtung Gipfelgrat und sehen endlich die langersehnte Sonne.

Nach 12 Stunden Aufstieg beschließen wir den Meraner Weg abzusteigen. An der ersten Eisenleiter angelangt nehmen wir diese als Abseiler und steigen über die steile Pleisrinne ab. Bei Anbruch der Dunkelheit erreichen wir den Steig zur Berglhütte. Erst um 19.00 Uhr erreichen wir ausgelaugt das Tal.

Unser großes Abenteuer am Südtiroler Dreigestirn ist beendet. Drei schwierige Erstbegehungen an diesen prominenten und schönen Bergen geschafft zu haben erfüllt uns mit Freude und Zufriedenheit.

„Gott sei Dank! Nun ist's vorbei. Mit der Klettertäterei!“

Text: Florian Riegler

Daten und Fakten Trilogie:

„Schachmatt“ Königspitze 07.01.2010 Nordwand

Erstbegehung im Januar 2010 durch Florian und Martin Riegler

1000m M10+ WI5 55°

„Serac“ Monte Zebrù 21.04.2015 Nordwand

Erstbegehung im April 2015 durch Martin und Florian Riegler

WI4, 800m

„Trinitas“ Ortler 27.12.2015 Nordwestwand

Erstbegehung im Dezember 2015 durch Martin und Florian Riegler

WI4, M5, 1000m

Webtipp: Rieglerbrothers 

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