(Foto: Gerhard Mössmer - www.freiraumberg.at) (Foto: Gerhard Mössmer - www.freiraumberg.at)
08 Juni 2017

40 Jahre Pumprisse

Eine Tour von Helmut Kiene und Reinhard Karl am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser, welche die Kletterwelt in den Alpen veränderte. Ein Rückblick des Zweitbegehers Andreas Kubin.

Eine Tour von Helmut Kiene und Reinhard Karl am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser, welche die Kletterwelt in den Alpen veränderte. Ein Rückblick des Zweitbegehers Andreas Kubin.

Der 7te Grad war ein Mythos, den vor 40 Jahren Helmut Kiene und Reinhard Karl am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser erstmals Realität werden ließen. Die sog. Pumprisse gelten als erste offizielle Siebener-Klettertour in den Alpen! Reinhard Karl zum Zweitbegeher Andreas Kubin kurz nach der Erstbegehung: „Am Fleischbankpfeiler, Erstbegehung gemacht mit Kiene, absolut VII. Grad, knallharte Rißkletterei, alles frei, keine Haken, nur Klemmkeile, Rebitschrisse sind ein Kindergarten dagegen!“

Ja, Jubiläen haben die Eigenschaften eines Januskopfs – sie lassen Dich gleichzeitig nach vorne und nach hinten schauen! Und wenn es heißt „40 Jahre Pumprisse“, so wird einem alten Sack wie mir, der damals an der ersten Wiederholung beteiligt war, wieder einmal bewusst, wie lang diese 40 Jahre eigentlich waren und was in dieser Zeit alles passiert ist: persönlich seitdem (nur gefühlt!) einmal die Strecke Erde-Mond kletternd bewältigt, dabei die Güllichs, Glowaczs, LeMenestrels, Hubers, Sharmas und Ondras dieser Welt berufsbedingt beobachtet, wie sie den Klettersport gigantisch beflügelt haben…

Allerdings wird der alte Sack auch täglich mit der Realität konfrontiert! Wenn er schmerzensreich (Rücken, Schulter, Knie...) ins Bad schleicht, „prostata-bedingt“ etwas länger zum Wasserlassen braucht und sich anschließend in die Augen und in die restlichen Gesichtsfalten schaut…

Meine Schwester schickte mir kürzlich zu meinem letzten (66.) Geburtstag eine Karte mit der Aufschrift „Die Haare werden immer weißer und das Leben immer scheißer…“. Ersteres mag stimmen, aber letzteres ist falsch!! Das Leben ist nie „sch...“, sondern immer geil! Wie der Wurzlreggä-Musiker Christoph Martin aus dem Unterinntal singt:

Clean Climbing

Ja, „As Lem is Geil...“, und deshalb schaut mein Januskopf zwar gern nach hinten, aber vor allem nach vorn. Kürzlich telefonierte ich mit Thomas Nöltner, meinem Seilpartner damals vor 40 Jahren (und einer der genialsten Kletterer in jenen Jahren), und wir stellten fest, dass die „Pumprisse“ sowohl ganz nah wie auch ganz fern zu sein scheinen: nah, weil ein großes Erlebnis – und fern, weil so viele Jahre dazwischen liegen...

Und so schaut der Januskopf zurück und versucht sich an Details zu erinnern – aber er schaut vor allem nach vorne, weil es kaum mehr etwas zu erinnern gibt! Denn im Heute ist die Realität – und nicht in den Träumen eines alten Mannes : - ). Dass die „Pumprisse“ längst nicht mehr zum „Muss“ der aktuellen Klettergeneration zählt, versteht sich von selbst: Die Kletterei ist „unschön“, für den Grad „richtig“ schwer, und – wenn man nicht für mindestens 700 Euro Cams mitschleppt, sondern nur mit zwei Sätzen Hexentrics absichert – auch relativ anspruchsvoll. Und das sollte damals eigentlich die „message“ von Helmut Kiene und Reinhard Karl sein: CLEAN CLIMBING!

Aber der Zeitenverlauf hat sich anders entschieden, das Klettern ist (im Verzicht auf das Verdikt „Clean“) in einstmals nicht zu ahnende Sphären gestiegen (siehe Ondra, siehe Honnold) – 40 Jahre „Pumprisse“ beschreiben einen Anachronismus!

Trotzdem war’s schön, damals dabei sein zu dürfen...

Routeninfo Pumprisse mit Topo und Übersicht: Pumprisse 

Bildergalerie: Pumprisse

Die folgende Reportage von Andreas Kubin über die Zweitbegehung dieser Route erschien so im September 1977 in ALPINISMUS, dem Vorläufermagazin von Alpin; dies war das "Erstlingswerk" des Alpinjournalisten A. Kubin, der später 25 Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift "Bergsteiger" sein sollte...

Sonntags, abends ...

Auf der Terrasse des Bärenbrunner Hofes schauen wir in die untergehende Sonne, die die Sandsteinfelsen über dem Talkessel rot färbt. Das Kletterwochenende hinterläßt seine Spuren auf unseren Handrücken, die Hitze die ihren in unseren Kehlen. Wir reden vom Klettern, Pläne, Gebirge. Da taucht Reinhard auf - wir wähnten ihn noch im Kaiser und er sprudelt heraus: "Am Fleischbankpfeiler, Erstbegehung gemacht mit Kiene, absolut VII. Grad, knallharte Rißkletterei, alles frei, keine Haken, nur Klemmkeile, Rebitschrisse sind ein Kindergarten dagegen!" Wir hören zu, staunen ...

Irgendwann in der Woche darauf ...

Ich sitze am Schreibtisch, während mich die Sonnenstrahlen, die sich durch den halbgeschlossenen Rolladen schleichen, unangenehm an die wartende Arbeit erinnern; immer wieder laufen die Gedanken davon, zu Reinhards Bericht, der ominöse VII. Grad läßt mich nicht los - so schwer wie ein Elbsandstein- Meisterberg, das Ganze im Gebirge - das Klingeln des Telefons reißt mich in die Laborwirklichkeit zurück: "Kubin, Anorganische Chemie ..." "Nöltner ..." Es ist Tom, auch er, an seinem Schreibtisch, wird von Klettergedanken abgelenkt. Gestern abend war er bei Reinhard, die Detailberichte gibt er an mich weiter. Ich staune wieder, höre zu. "Komm, wir fahren runter und versuchen die Zweitbegehung." Wir werden uns schnell einig. "Servus, bis Freitag früh." Der Rest der Arbeitswoche wird erträglich durch den Gedanken an das Klettern.

Freitags, abends ...

Nachdem wir uns am Vormittag in den endlosen Lindwurm der Autobahn eingefädelt hatten, entläßt uns der tödliche Asphalt erst, als die Griesneralm bereits im Schatten liegt. Richard und Heiner sind schon vor uns angekommen und haben mit dem Fernglas den Pfeiler studiert. Wie eine kalte Dusche: Herabsteigende Kletterer hatten berichtet, daß heute zwei Franken den ganzen Tag in der neuen Route "tätig" gewesen seien, man habe Hakenschlagen gehört. Wir schauen durchs Glas, in der zweiten Rißseillänge können wir sie erblicken; die werden wohl biwakieren. Entweder sind die nicht in Form oder die Kletterei ist wirklich sauschwer. Wir setzen uns in die Alm, um ein Bier zu trinken, sind enttäuscht, sehen wir doch die Zweitbegehung sich in Rauch auflösen. "Nun, es ist im Grunde ja gleich, ob Zweit- oder Drittbegehung ...", meint Tom lakonisch nach dem dritten Bier.

Samstags ...

Acht Uhr ist es bereits und die Sonne treibt den Frühstückskaffee aus den Poren, als wir endlich unsere Ausrüstung sortiert und gepackt haben, gemäß Reinhards Angaben - er hatte uns ein "Topo" gezeichnet, nicht besonders exakt, doch was wir wissen wollen, wissen wir. Die steilen Wegkehren wollen Kopf und Blick ständig nach unten auf den Boden zwingen, aber immer wieder müssen wir hinaufschauen zu der Rißreihe, die unvermittelt überhängend in der Mitte der prallen Pfeilerwand ansetzt und die, von unten gesehen, nur aus Wülsten und Überhängen zu bestehen scheint. Den Brandler-Einstieg zum Pfeiler - wir kennen ihn bereits - haben wir schnell hinter uns, Hakenrasselei zum Grasfleck, wo sich die Rebitschrisse von unserem Weg trennen. Viel lieber würde ich gerade empor weitersteigen, die Risse liegen im Schatten, während die Vormittagssonne schon die Hitzeschlacht ahnen läßt, die auf uns wartet. Mit Seilzug nach rechts um eine Kante, Quergang an einigen schlechten Haken, hier irgendwo muß Helmut während der Erstbegehung herausgeflogen sein; ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend, als ich vorsichtig die Haken belaste, dann der Riß, Schlingenstand an Klemmkeilen. Tom, der Rißexperte, schnauft wie eine Dampflok, als er den Faustrißüberhang klettert; im darauffolgenden Körperriß murmelt er etwas von "Hundebahnhof" (im Elbsandsteinjargon ein glatter, sich nach oben hin schließender Körperriß) und von VIId. Ab und zu ein Haken und verschiedentliche Blutspuren am Fels zeugen von den Aktivitäten unserer Vorgänger. Leider haben wir keinen Hammer mitgenommen und müssen das Eisen steckenlassen. Zwei leichtere Seillängen (seltsam, im Rebitschriß wären es die Schlüsselseillängen, hier sind es die leichtesten) bringen uns zum Grasband unter dem Gipfelaufschwung. Abschreckend und deprimierend sieht der Weiterweg aus, weitüberhängende, faustbreite Verschneidungsrisse. Wüßte man nicht, daß hier schon jemand geklettert ist ..., Hut ab vor Helmuts Moral.

Die nächste Seillänge ist die schwerste der ganzen Tour, und wir wissen nun, warum die Erstbegeher ihren Weg "Pumprisse" genannt haben, wir pumpen nämlich wie Maikäfer beim Hochzeitsflug, nur sind Maikäfer in der Kehle nicht so ausgetrocknet. Die Seilkommandos schmerzen im Hals. Noch ein Rißdach, ähnlich dem in den Rebitschrissen, nur etwa doppelt ausladend und entsprechend schwerer, ein leichter werdender Kamin, der Ausstieg, Erschöpfung. Die Mittagshitze liegt wie ein schweres Tuch über den Latschen, so daß wir bald den Nordgrat absteigen; die heißen Füße schmerzen in den EB´s, jetzt verfluchen wir sie, vor kurzem noch waren wir überzeugt, ohne sie niemals diese Schwierigkeiten klettern zu können; die Hexentrics klingen wie Glocken, Kuhglocken, wenn sie aneinanderstoßen - Kühe fressen Gras, die Fata Morgana von Radlermaß und Käsekuchen verschwimmt im Bild der Pfeilerwand, die wir durchstiegen haben, der schwersten Freikletterei, die wir in den Alpen kennen; irgend etwas wie Befriedigung kommt auf. Doch schauen wir uns gegenseitig an, müssen wir nicht darüber lachen? Was sind wir denn für großartige Kletterer, schmutzig, zerrissene Hosen, durstig, ausgelaugt, mit Klemmkeilen und Karabinern behängt wie Weihnachtsbäume, zufrieden, glücklich - warum? Weil wir uns gequält haben, geschwitzt, geflucht, gefightet? Vielleicht ... (Quelle: Alpinismus, September 1977)

Am Samstag den 10. Juni wird das Jubiläum standesgemäß bei Wochenbrunner Alm (Ellmau) gefeiert. Mit etwas Glück läuft man dort auch dem ein oder anderen Kletterpionier über den Weg, der sich schon mal im Wandbuch der Pumprisse verewigt hat.

Infos zum Koasa Kletterfest'l: www.wilderkaiser.info/pumprisse



Kommentare

Neuer Kommentar
Zum Verfassen von Kommentaren bitte anmelden oder registrieren.
Nach oben