Arnold beim Anmarsch Arnold beim Anmarsch
13 Februar 2007

Bellavista

Den beiden Südtirolern Martin Moser und Arnold Senfter gelingt eine Winterbegehung von Alex Hubers Bellavista (9-/A4) in der Nordwand der Westlichen Zinne.

Martin Moser vom SALEWA alpineXtrem Team und Arnold Senfter bezwingen am 7. und 8. Januar 2007 die im Winter 2000 von Alexander Huber im Alleingang eröffnete Toptour an der Westlichen Zinne. Die Route wurden 2001 von Alex Huber auch rotpunkt geklettert. (Schwierigkeit 11). Anbei ihre Geschichte:

Irgendwann beim vierten Bier

August 2006: Irgendwann, während Dauerregen und zwischen dem dritten und vierten Bier beraten wir, welche Ziele wir uns für den kommenden Winter stecken. Als Martin, mit seinem breiten Grinsen von einem Ohr zum anderen mit der Idee kommt, die Bellavista an der Westlichen Zinne anzugehen, halte ich ihn für verrückt oder zumindest für betrunken. Als aber die Idee auch ein paar Tage später noch bei ihm herumspukt, befasse auch ich mich langsam mit diesem Gedanken. Naja, versuchen könnte man es ja mal, denke ich mir. Und notfalls jümare ich halt hinterher und lasse Martin die Arbeit machen…

Anfang November, es fällt gerade der erste Schnee, marschieren wir Richtung Drei Zinnen, um die Route genauer zu betrachten und bereits Material am Wandfuß zu deponieren. Denn dass die ganze Sache unter anderem eine Materialschlacht wird, das war vorauszusehen. Leider habe ich an diesem Tag einen meiner wenigen guten Tage, ich fühle mich echt fit. Und da passiert es: Voll Inbrunst erkläre ich, die erste Seillänge der Tour vorsteigen zu wollen – auch mit dem Wissen, dass laut Alexander Huber diese erste Seillänge die gefährlichste von allen ist. Am Wandfuß angelangt, schaut alles halb so schlimm aus, der erste Haken zwar 7 Meter hoch, aber machbar.

Szenenwechsel: 6. Januar 2007

Irgendwie schaffen wir es, mit den zwei vollbepackten Rucksäcken gegen Abend auf der Auronzohütte anzukommen. Der Plan sieht vor, im dortigen Winterraum unser Lager aufzuschlagen und in den nächsten zwei Tagen die Tour anzugehen. Der Wecker klingelt schon zeitig in der Früh, und mit einem wunderschönen Sonnenaufgang im Rücken stapfen wir eine gute Stunde lang Richtung Wandfuß. Unwissend, was uns genau erwartet, belade ich mich mit allem möglichen Material, zwänge mich mit Wollsocken in die engen Kletterpatschen und atme noch einmal tief durch. Eigentlich wollten wir ja vor allem technisch klettern, aber angesichts der wenigen Haken komme ich nicht drum herum, die meisten Meter frei zu klettern. Und die wenigen Haken, die stecken, schauen alles andere als vertrauenswürdig aus! Irgendwann in 20 Meter Höhe schaffe ich es, in einem Loch einen bombensicheren Camalot unterzubringen, und ich fühle mich fürs erste sicher. Keine Ahnung, welcher der bis dort steckenden Haken einen Sturz gehalten hätte – ich glaube keiner…

Spüre weder Finger noch Zehen

Mittlerweile spüre ich wegen der Kälte weder Finger noch Zehen, und es wird Zeit, bald zum Stand zu gelangen. 15 Meter höher, einige echt schwere obligatorische Freikletterzüge wechseln sich mit Technopassagen ab, sichte ich die rettenden Bohrhaken am Stand. Noch ein paar Bewegungen, und ich kann mich in die gebohrten Haken einhängen. Ich kann es kaum fassen, habe ich doch soeben eine der schwersten Seillängen meines Lebens geklettert. Während Martin raufjümart, ziehe ich den Rucksack mit dem Material nach. Ich bin glücklich und ruhig, zumal ich nun Pause habe und Martin mit Vorsteigen an der Reihe ist – nur deshalb lässt es mich kalt, dass er beim Jümaren nur mit bloßer Handkraft zwei der Haken rauszieht, denen ich mein Leben anvertrauen hatte müssen!

Der zinnentypische Bruch tut das seine dazu

Die nächsten Seillängen gestalten sich zwar nicht leichter, aber irgendwie fühlen wir uns der Sache gewachsen. Mit allen Mitteln der Technokiste gelangen wir höher, auch wenn nach wie vor nicht so viele Haken stecken, wie wir uns vorgestellt hatten. So dominiert immer noch Freiklettern – die Griffe fühlen sich irgendwie feucht an, auch der Griff in den Magnesiabeutel hilft nicht viel, da wir versäumt haben, diesen zu Hause aufzufüllen.

Zudem tut der zinnentypische Bruch das seine dazu, dass die Bewegungen langsam sind und ruckartige Züge tunlichst vermieden werden. So verwundert es nicht¸ dass Martin in der vierten Seillänge ein Tritt weg bricht und mich mit voller Wucht an der Hand trifft. Blut spritzt aus der Wunde, mir wird augenblicklich schwarz vor Augen, Hitze steigt mir in den Kopf und ich habe Angst, ohnmächtig zu werden. Nach einer Schreckminute taste ich behutsam über die immer noch betäubte Hand, aber es scheint nichts gebrochen zu sein. Glück gehabt!

Überhaupt wäre morgen ja noch genug Zeit

Nach Stunden haben wir die ersten 4 Seillängen hinter uns und es trennt uns noch eine letzte Seillänge vom Beginn des Großen Daches. Ich wäre nun wieder mit Vorsteigen an der Reihe, aber ich bin müde und habe keine Lust mehr. Zudem haben wir seit Beginn der Kletterei keinen Schluck getrunken, weil irgendwann der Rucksack an den Fels geknallt ist und dadurch die Thermoskanne mit dem Tee zersprungen ist. Ich schlage diplomatisch vor, abzuseilen und am nächsten Tag weiterzumachen – es sei bald dunkel und überhaupt wäre morgen ja noch genug Zeit… Martin grinst nur und meint trocken, bis zur Dunkelheit bliebe uns noch eine gute Stunde. Ich nehme mein Los in die Hand und starte los. Krämpfe begleiten mich die ganze Seillänge, aber ich schaffe es, einige gute Friends im überhängenden Querriss unterzubringen, und ich fühle mich einigermaßen sicher. Zugleich mit der Finsternis gelange ich an den Stand. Unglaublich - das Dach zieht genau oberhalb vor mir schnurgerade in die Nacht hinaus. Wir sortieren und fixieren das Material, essen ein paar Bissen und seilen mit den Stirnlampen die 5 Seillängen ab.

Nicht lange nachdenken und schlafen gehen

Müde, aber zufrieden, marschieren wir zurück zur Auronzohütte, und wir hoffen, dass dort schon jemand für uns Schnee geschmolzen und Nudeln gekocht hat. Natürlich werden wir nicht erhört, und müssen uns überwinden, nicht sofort in die warmen Schlafsäcke zu kriechen.

Während dem Essen lassen wir den Tag Revue passieren. Was wäre geschehen, wenn ich in der ersten Seillänge gestürzt wäre? Und was wäre gewesen, wenn der Cliff nicht gehalten hätte, in den Martin einen halben Meter tief hineingefallen ist, nachdem ihm beide Füße weggerutscht waren? Besser nicht lange nachdenken und schlafen gehen. Eine Minute später dösen wir bereits.

Welchen Teufel hat seinerzeit Alexander Huber geritten

Der nächste Tag begrüßt uns mit wolkenbehangenem Himmel. Rasch gelangen wir zur Tour, und wir beginnen mit dem Jümaren. Am Vortag haben wir den Abschnitt bis zum Dach mit Fixseilen versehen. Ich passiere die Passagen, die wir am Vortag bewältigt haben. Erst jetzt realisiere ich richtig, welche Leistung wir gestern vollbracht haben – welchen Teufel seinerzeit Alexander Huber geritten haben muss, um in dieses Gelände als Erstbegeher alleine im Winter einzusteigen, kann ich nicht einmal erahnen.

Ein feiner Riss zieht vom Stand weg links ins Dach hinaus. Beruhigt stellen wir fest, dass nun die Hakendichte größer wird. Martin startet, mit Unmengen an Karabinern, Haken, Friends, Keilen, Cliffs und Steigleitern bewaffnet. Ich meinerseits mache es mir auf dem hölzernen Sitz, den wir mitgebracht haben, gemütlich und lehne mich in den Brustgurt zurück. Ein altes Fixseil ist von hier weg bis zum nächsten Stand fixiert, aber wir verwenden es nicht und Martin arbeitet sich teils technisch, teils freikletternd, höher. Nach langen 20 Metern gelangt er an einen Zwischenstand, der sich zwar als ungemütlich, aber dafür als fast übersichert entpuppt. Wir sind zwar froh über einen bombensicheren Stand, aber vier Bohrhaken sind in unseren Augen doch etwas zu viel. Ich komme nach, teils jümare ich, teils ziehe ich mich an den Haken hoch. Einige davon biegen sich bei Belastung wie Blech nach unten. Ein Wunder, dass sie nicht schon alleine durch die Schwerkraft ausgebrochen sind.

Ich blicke zurück zum letzten Stand und besinne mich wieder auf Alexander: Erstbegehung, allein, kalt, Winter. Und wieder kann ich nur den Kopf schütteln.

Genug Luft zum Fallen

Am Stand angelangt, holt mich die Realität zurück. Ich schaue nach links und erblicke die Linie, die ich nun vorsteigen sollte. Die ersten Meter tue ich mich total schwer, die Bewegungen sind ungelenk, ich habe eine tiefe Angst, die mich total blockiert. Nüchtern betrachtet weiß ich, dass ein Sturz zwar tief unten enden könnte, aber ich mich nicht verletzten würde, zumal ja mehr als genug Luft zum Fallen da ist! Aber trotzdem – die Angst bleibt real. Nach einigen Metern schaffe ich es, mich einigermaßen zu beruhigen. Die Ausgesetztheit macht zwar immer noch zu schaffen, aber ich versuche abzuschalten und den wackeligen Haken einfach zu vertrauen. Hier einen Haken abbinden, dort einen Minikeil dazu, und ich schleiche langsam weiter. Ich ziehe an einer sehr interessanten Hakenformation - ein U-Haken, in ein Loch hineingesteckt, und dazwischen ein Spitzhaken – und hoffe irgendwie, dass das ganze Ding rausbricht, damit ich endlich mal runterfalle und die ganze hemmende Spannung weg ist. Aber nichts passiert, der Haken hält.

Wir haben es geschafft

Ewig weit kommen mir die 35 Meter der Seillänge vor. Zuletzt gehen mir noch die Karabiner aus und ich produziere einen Seilzug wie im Bilderbuch der schlechten Scherze, aber ich komme an. Martin kommt schnell nach und steigt in die letzte Seillänge ein. Zwei Dächer und ein Quergang, in Summe 20 Meter, liegen vor ihm. Es ist bereits am späten Nachmittag, und Martin beeilt sich. Ein paar Meter unterhalb des Standes stockt er und flucht. Aber auch diese Passage löst er und jodelnd fixiert er den Stand. Ich steige nach, muss wegen des Querganges immer wieder in meine Steigklemme hineinspringen, aber ich will nur mehr nach oben. Sofort beginnen wir mit Abseilen, zumal unsere Stirnlampen im Rucksack am Beginn des Daches sind. Teils abseilend, teils am Fixseil hangelnd, gelangen wir wieder zurück. Die letzten Meter des Daches, die ich zurückhangeln muss, liegen bereits im Dunkeln und Martin muss mit der Lampe ausleuchten. Kurz einen Tee trinken, und ab geht’s nach unten, über nur mehr leicht überhängendes Gelände. Zum Schluss verhängt sich noch ein Seil beim Abziehen und wir müssen es hängen lassen. In stockdunkler Nacht gelangen wir an den Wandfuß, wo bereits Martin K. auf uns wartet, um uns beim Transport des ganzen Materials zu helfen.

Wir sind müde, aber überglücklich. Wir haben es geschafft.

Text u. Fotos: Martin Moser und Arnold Senfter

Sponsoren von Martin Moser

Salewa

Scarpa

Webtipps

Clean isch tot - Eine extreme Wintererstbegehung ohne Hakenverwendung

www.mahrapower.com - die Website von Martin Moser

Alexander Huber - mehr über den jüngeren der Huberbuam



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