Cerro Torre - "wir saßen einfach nur da und waren still"
Alles was ich weiß, weiß ich von dir - alles was ich habe, habe ich von dir- alles was ich liebe, hat mit dir zu tun und so lange ich lebe, wird mein Herz nicht ruhen. Und so wird es immer bleiben, du kannst gar nichts dagegen tun.
Alles was ich tue, gestern, heute und hier. Soll auch nur ein Umweg sein, auf meinem Weg zu dir - alles was ich tue, hat nur einen Sinn, dass ich am Ende meines Lebens endlich bei dir bin.
Dieses Lied kommt immer wieder aus meinem i-pod, als ich mit meinem Freund, dem Steiner Markus, gerade ins Basislager des Cerro Torre gehe. Da ich meinen Blick nicht von diesem gewaltigen Berg lassen kann, stolpere ich immer wieder über den einen oder anderen Stein - immer wieder, die ganze sechs Stunden, die wir von El Chalten (das ist der letzte Ort vor den Bergen)zum Wandfuß brauchten.
Es ist Samstag, der 12.Jänner 2013, das Wetter ist herrlich und die Vorhersage für die nächsten vier Tage ist auch sehr gut. Der Markus und ich gehen mit dem Ziel, eine neue Route auf der Westseite des Cerro Torre zu machen, mit unseren 25 Kilo schweren Rucksäcken in Richtung unseres Traumberges.
Einen Namen für diese Route hatten wir noch nicht überlegt, aber es sollte alles anders kommen.
Im Basislager - auch Niponino genannt - angekommen, machen wir es uns gemütlich und auch unser erstes Biwak. Wir haben natürlich alles dabei, was man so braucht, oder auch nicht braucht.
Um drei Uhr nachts läutet der Wecker, ohne den wir niemals aufgewacht wären- es war so schön warm in den Schlafsäcken... Doch es nützt nix: auf- zusammenpacken und los geht's !
Wir stolpern den Lichtkegeln unserer Stirnlampen hinterher und nach kurzer Zeit stehen wir auf dem Gletscher, der zum Standhart-Col führt - hell wird es auch allmählich.
Heute ist Sonntag, ein wundervoller Sonntag! Die Sonne geht auf und vor uns steht der Cerro Torre, feuerrot und raubt uns den Atem!
Das Gelände zum Standhart-Col ist recht steil und mit vielen Gletscherspalten recht unwegsam, aber um auf die Westseite zu gelangen, muss man dort 1100 Meter rauf und auf der anderen Seite wieder 700 Meter runter. Dort stehen wir also dann, auf der Westseite, im Niemandsland!
Ein Blick nach oben: 1000 Meter steiler Gletscher zum Col de la Esperanza, dem Sattel der guten Hoffnung.
Wie aus dem Nichts meint Markus (Steiner) plötzlich : " Ich glaub, ich kann nicht weitergehen, ich fühle mich krank, irgendwie geht's mir nicht gut".
Ich täusche vor, nichts gehört zu haben und blicke hinauf zum Gipfel, dessen großer Eispilz in der Sonne funkelt.
Ein seltsames Gefühl ,eine Mischung aus Enttäuschung, Zorn, Angst, aber auch Verständnis durchströmt mich, als ich Markus ins Gesicht schaue. Er ist mein bester Freund, wir brauchen nicht viele Worte. Wir saßen einfach nur da- wir saßen einfach da und waren still.
Nach etwa einer halben Stunde ist uns klar: Ich werde alleine auf den Cerro Torre gehen und Markus würde warten, bis ich zurückkomme.
Schnell packe ich das meiner Meinung nach Nötigste und mache mich auf den Weg zum Col de la Esperanza ,1000 Meter nach oben, in weichem Schnee unter glühender Sonne.
Nach ca. 100 Metern schaue ich zurück zu Markus und rufe ihm zu: "He Steiner, morgen um die selbe Zeit bin ich wieder zurück! Scheiß dir nicht in die Hosen und such derweil ein paar Steine". (Markus ist ein leidenschaftlicher Kristallsucher). Der grinste nur, schüttelte den Kopf und schrie zurück: "Scheiß du dir nicht in die Hosen, du Irrer!"
Auf dem Weg zum Col holte ich zwei kanadische Bergsteiger ein, die wir schon von Chalten her kannten - David und Carl - sehr nette Kerle, vor allem Carl ist ein Typ, mit dem man sich den ganzen Tag nur niederbrüllen könnte, unglaublich.
Ca. um 16 Uhr war ich dann am nächsten Biwakplatz,150 Meter unter dem Col. Die Sonne brannte unbarmherzig auf mich herab - ich hatte natürlich meine Sonnencreme vergessen ,aber Carl war so nett und half aus- dafür musste ich mir halt wieder ein paar Scherze über mich anhören, aber egal.
Nach einiger Zeit stiegen vom Col ein paar Bergsteiger ab, die schon einen Tag vor uns gestartet waren, darunter auch zwei Freunde von mir - Isidor und Vito aus Osttirol.
Sie hatten es zum Gipfel geschafft und waren sehr glücklich. Ich erzählte ihnen noch, warum ich alleine unterwegs war und erkundigte mich nach den Verhältnissen in der Route. Sie wünschten mir noch viel Glück und wir machten uns aus, gemeinsam ein Bier zu trinken, wenn ich wieder zurück in Chalten wäre.
Die Route, die ich am nächsten Tag klettern wollte ist die Ferrari-Ragni Route, 600 Meter vom Col de la Esperanza zum Gipfel - Eis bis 95 Grad und Mixedgelände bis M5.
Ich saß also im Biwak, ganz alleine- ich war zwar nicht alleine, da ja noch Carl, David und zwei weitere Seilschaften dort oben waren, aber trotzdem war ich alleine.
Es war schon eine ganz eigenartige Stimmung: Die einen fragten die anderen, wann sie denn vor hätten, zu starten, die anderen fragten wiederum die nächsten und so ging das eine Zeit lange ziemlich nervig hin und her.
Mich fragte gar keiner - wahrscheinlich hatten sie gesehen, was ich so an meinem Klettergurt hängen hatte! Schließlich einigten sie sich auf 2 Uhr nachts, das hätte ich mir auch gedacht, gute Zeit. Schnell noch eine Suppe gegessen, was getrunken, Klo und rein in den Schlafsack, i-pod rein und Augen zu.....
" ...alles was ich tue, gestern, morgen und hier, soll auch nur ein Umweg sein, auf meinem Weg zu dir..... "
Verdammt, habe ich verschlafen? Überall Lichter, voll der Lärm und Stress ,ein Blick auf die Uhr, Gott sei Dank, erst 1 Uhr. Die anderen wollten sich wohl gegenseitig austricksen und eine Stunde früher losgehen. Mir egal, ich stand gemütlich auf und aß mein Müsli, ja, ich hatte echt Müsli dabei, welches ich seelenruhig verspeiste und dabei zusah, wie die Lichter langsam in der Dunkelheit verschwanden.
Ruhig bleiben, ganz ruhig, ich fühlte mich stark an diesem 14. Jänner, sehr stark......!
Das Spiel hatte begonnen: Stirnlampe montieren, Helm aufsetzen, Jacke und Klettergurt anziehen, Material checken. 1 Eisschraube, 3 Reepschnüre, 3 Karabiner und mein Abseilgerät. Steigeisen anziehen und kontrollieren, ob sie richtig sitzen, 60 Meter Halbseil auf den Rücken, Trinkflasche an den Gurt, Eisgeräte in die Hand und los ging's!
Ich fühlte mich fast schwerelos, spürte meine Freiheit....
Schon nach kurzer Zeit holte ich die erste Seilschaft ein, dann die zweite und schließlich noch die dritte. Nach ungefähr 80 Metern über dem Col war ich wieder alleine - alleine mit dem Cerro Torre und der Nacht. Es war ganz still, nur der Wind flüsterte mir noch ins Ohr, es war wunderschön!
Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben dort oben und wusste, hier gehöre ich hin. Es ging schnell voran und nach einer Stunde war ich in den Mixedlängen über dem Helmo.
Ich kletterte etwas zu weit rechts und so wurde aus M5 gleich mal M6 oder schwerer, aber zurück und woanders suchen wollte ich nicht. Augen auf und durch, dachte ich, sehr steiles, mit Eisglasuren durchsetztes Gelände führte mich direkt in die Headwall.
Die Headwall ist eine senkrechte Mauer aus Eis, die nach oben hin immer noch steiler wird. Ich zögerte nicht und kletterte gleich drauflos. Dieser Teil der Route ist extrem ausgesetzt und ich spürte erstmals, dass es auch so etwas wie Schwerkraft gibt.
OK, dachte ich, konzentrieren, ruhig weiteratmen, die Hände einmal schütteln, schön steigen und ja kein Eisgerät fallen lassen ,ich hab ja keine Handschlaufen, also cool bleiben und weiter.
Natürlich macht man sich so seine Gedanken, aber ich dachte mir, du kannst das, ja du kannst das, also tue es jetzt! Später im leichteren Gelände, ein Stück nach der Headwall, wusste ich, wenn ich es bis hier hin geschafft hatte, dann würde ich auch den Rest schaffen!
Doch dieser Rest hatte es in sich, das Schwierigste kam zum Schluss: Die Gipfelseillänge, eine gut 50 Meter senkrechte, eilweise leicht überhängende Eiswand. Zu Beginn musste man jedoch zuerst 15 Meter nach rechts queren, und das war echt ungut, denn unter dieser Querung befanden sich 1000 Meter Luft und das Eis war brüchig und schlecht.
Ich nahm alles von meinem Gurt, was ich nicht brauchte- also befestigte ich meine Trinkflasche an einer Sanduhr, die eine Seilschaft vor mir gemacht hatte und kletterte los.
Es fing langsam an zu dämmern und der Abgrund unter mir wurde immer größer und tiefer. Das Eis am Cerro Torre ist nicht so, wie man es vom Eisklettern her kennt, nein es ist ein seltsames Eis aus Schnee und Luft, was das Ganze natürlich sehr instabil macht.
Jeder für sich kann sich wahrscheinlich sehr gut vorstellen, wie es ist ,dort oben ungesichert, mit eiskalt gefrorenen Fingern, Meter für Meter dem Gipfel entgegenzuklettern.
Und - ja, ich weiß, warum ICH das mache. Es ist für mich ein absolutes Gefühl der Freiheit und Lebendigkeit, dass ich in diesem Augenblick spüren und erleben darf.
Es ist Montag, der 14. Jänner 2013 ,5.15 Uhr in der Früh, ich stehe am Gipfel des Cerro Torre, die Sonne geht langsam auf, der Wind peitscht mir ins Gesicht und ich bin glücklich.
Ich hatte es geschafft, ich konnte free solo auf diesen gewaltigen , meinen Traumberg klettern! Unglaublich, aber es war tatsächlich so und definitiv kein Traum.
Ich stand ein paar Minuten ganz still da und bedankte mich beim Cerro Torre, dann ging es wieder nach unten, so schnell wie möglich zurück zu Markus, der sicher die ganze Zeit in Gedanken bei mir war und schon wartete.
Auf dem Weg nach unten traf ich natürlich wieder Carl und David, sie waren gerade in dem Mixedgelände über dem Helmo (der Helmo ist übrigens ein riesiger Eispilz in der Route, über den man klettert) als David fragte: "Markus ,could you please borrow me one of your iceaxes ?"
Er hatte 10 Minuten zuvor tatsächlich ein Eisgerät verloren.. Ich überlegte kurz, ob ich meines für den Abstieg noch brauchen würde, aber dachte, mit einem wird's schon gehen. Ich sagte noch dem strahlenden David, er solle doch mein "Baby " wieder gut Heim nach Chalten bringen. Er lachte und umarmte mich.
Um 7.30 Uhr war ich wieder zurück auf meinem Biwak unter dem Col de la Esperanza, das war echt schnell, viel schneller als erwartet. Ich war insgesamt 5 Stunden und 40 Minuten unterwegs gewesen.
Schon von Weitem sah ich Markus auf seinem Platz sitzen, wo er die Nacht verbracht hatte. Er meinte gleich "Was machst du schon da? Ist doch erst 10 Uhr, warst doch nicht oben, hast du's dir anders überlegt?"
Ich grinste und meinte:" Einen schönen Gruß vom Torre und er wartet auf dich, bis du ihn auch einmal besuchen kommst!"
Er konnte es fast nicht glauben.." Du warst echt oben?.....unfassbar.."
Als ich kurze Zeit später so hinter Markus und seinen Spuren im Schnee nachtrottete, schaute ich zuerst vor zu Markus, drehte mich dann noch einmal um zum Cerro Torre, blieb stehen und schloss meine Augen. Nun wusste ich den Namen unserer neuen Route, falls wir diese jemals klettern würden "Freunde in Freiheit" - so soll sie heißen!
Text: Markus Pucher; Bilder: Markus Steiner u. Markus Pucher
Infobox:
Ferrari-Ragni Route: Die Route wurde 1974 von Daniele Chiappa, Mario Conti, Casimiro Ferrari, und Pino Negri (gehören allen der "Ragni di Lecco" Klettergruppe an), erstbegangen. Die Tour war die erste „ By Fair Means“ Linie auf den Cerro Torre. Derzeit wurde die Route von ca. 25 Kletterern geklettert. Schwierigkeitsgrad: M4, 90 °
Free Solo von Markus Pucher: "Ich bin die Ferrari-Ragni Route free solo geklettert, das heißt ohne Seilsicherung oder Selbstsicherung auf der gesamten Route. Ich bin alles frei geklettert, also ohne technischen Hifsmittel. Ohne Handschlaufen und ohne Halteschlingen von den Eisgeräten zum Gurt. Es waren keine Stellen im Fels die man technisch klettern musste. Wie ich schon in meiner Geschichte geschrieben habe ,waren die Schwierigkeiten meiner Linie, da ich etwas zu weit rechts geklettert bin :) bis M6.
Soweit ich weiß, ist das die erste free solo Besteigung vom Cerro Torre!
Meine Ausrüstung waren nur eine Eisschraube, um Eissanduhren zu machen (zum Abseilen), mein Abseilgerät, ein 60 Meter Halbseil zum Abseilen, Steigeisen und zwei Eisgeräte. Und natürlich eine Stirnlampe!"
Pataclimb.com berichtete schon über die Free
Solo-Begehung und nannte diese „eine beeindruckende Leistung, die uns sprachlos macht“.
Webtipps:
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