31 März 2014

Interview mit Ueli Steck zu Annapurna Ungereimtheiten

Im Gespräch mit Andreas Kubin nimmt Ueli Steck zu den Ungereimtheiten seiner Annapurna Solo Begehung Stellung.

Im Gespräch mit Andreas Kubin nimmt Ueli Steck zu den Ungereimtheiten seiner Annaporna Solo Begehung Stellung:

Nach Deiner Solobegehung der Annapurna-Südwand – die in der „scene“ als ein „Quantensprung“ in der Entwicklung des Höhenbergsteigens gesehen wird – wurden Zweifel an Deiner Begehung laut, weil Du keine Beweise dafür vorlegen kannst, da Du Deine Kamera bereits im unteren Wandteil verloren hast; wie gehst Du mit solchen Vorwürfen um?

Natürlich wäre ich froh, ich hätte einen Beweis. Aber in der Wand hatte das keine Priorität.  Während des Kletterns hatte ich nie daran gedacht, was danach ist. Ich wollte die Wand durchsteigen und ich wollte Überleben. Und ich hatte ja meine Kamera dabei. Die mir dann aber runtergefallen ist.

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich kein Gipfelfoto habe. Ich habe erzählt, was ich erlebt habe, mehr kann ich nicht.

In einem Interview mit der „Bernerzeitung“ sagtest Du auf die gleiche Frage: „Aber es waren ja vier Leute im Basislager, die haben mit Fernrohren jeden meiner Schritte verfolgt. Am Tag danach konnte man die Spuren zum Gipfel sehen.“ Viele Wochen später stellte sich heraus, dass beide Aussagen nicht zutreffen – die Spuren waren in Wirklichkeit eine Lawinenabrisskante, und die Leute im ABC haben in der Nacht kein einziges Mal das Licht Deiner Stirnlampe gesehen; wie ist das zu erklären?

Das mit den Spuren war ein Missverständnis zwischen mir und Dan. Zur Frage, was man vom Basislager aus gesehen hat, können sich nur Dan, Don oder die anderen Kollegen äussern. Ich bin dafür der falsche Ansprechpartner, da ich ja zu dieser Zeit in der Wand war.

Dan sagt, dass er und die anderen in der Nacht nichts gesehen haben, obwohl sie oft in die Wand geschaut hätten „we couldn’t sleep and stayed up searching the wall..“

Wie gesagt: Dazu kann einzig Dan Stellung nehmen.

Du bist in der Nacht mit einer Hochleistungs-Stirnlampe geklettert; wie weit ungefähr reicht deren Lichtkegel?

Die Lampe ( Tikka RXP) habe ich auf  Max Autonomy eingestellt. Also normal 7 Llumen (ca 2m) und beim  weiter schauen grosse Sichtweiten 80 Llumen ( ca 70m). Die Lampe hat einen Sensor.  Nur wenn du in die Weite schaust, schaltet das Licht auf 80 Llumen. Die theoretische Laufzeit der Batterie liegt bei 10 Stunden. Batterieleistung sind ca 10 Std.

Heißt also, dass die Batterie Deiner Lampe locker die ganze Nacht gehalten hätte...

Wie gesagt: Die Lampe schaltet je nach Bedarf auf hohe oder niedrige Leistung. Für meine Expedition war sie Dank dieser Technologie ausreichend. Ob sie mit voller Leistung eine Nacht lang leuchten könnte, müsste der Hersteller sagen.

Warum haben Deine Kollegen im ABC kein einziges Mal ein Licht von Dir gesehen? Sie schrieben in Facebook, dass sie nicht schlafen konnten und immer wieder in die Wand geschaut haben...

Wieviel sie in die Wand geschaut haben, weiss ich nicht. Da musst du sie fragen. Die Wand ist 2500 m. Es gibt Bänder und Rinnen. Zum Beispiel die Querung nach dem schwarzen Band sieht man nicht vom ABC. Wie gesagt: Ich habe immer wieder die Lampe ausgeschaltet, um Strom zu sparen. Man sieht die Umrisse und Konturen der Wand besser, wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt Dazu muss man eben die Lampe ausschalten.

Am Gipfel hast Du auf Deinen Handgelenks-Computer geschaut, der offensichtlich auf barometrische Höhenmessung eingestellt war, und dieser hat 100 Meter zuviel angezeigt; warum hast Du nicht den GPS-Mode eingeschaltet? Dann wäre die Höhe exakt angegeben und Du hättest gleichzeitig Deinen Weg als Track aufzeichnen können...

Ich hatte die Uhr auf Höhenmeter Modus blockiert. Ja, da habe ich rückblickend zu wenig an die „Beweisführung“ gedacht! Ich war im Stress. Wirklich beschäftigt hat mich die Frage, wie komme ich wieder runter. Ehrlich gesagt, ich war mir nicht sicher, ob das gut geht mit dem Absteigen. Ich hatte viel trainiert. Bin viel abgeklettert. Eisfälle auf und ab, das geht recht gut, trotzdem aufwärts ist angenehmer. Nach meinem Vorfall mit der Kamera habe ich schlicht nicht daran gedacht, wie ich meinen Aufstieg weiter dokumentieren kann. Ich war komplett aufs Klettern fokussiert.

Bisher gibt es keine genaue Routenbeschreibung Deiner Erstbegehung; kannst Du uns auf einem hochaufgelösten Wandbild die Route mit möglichst feiner Linie exakt einzeichnen, dazu die Schwierigkeiten und Schlüsselstellen sowie die Abseilstellen markieren? Und dazu eintragen, zu welcher Zeit Du am Bivi gestartet, wann Du wo warst und wann Du am Gipfel warst? Und kannst Du uns einen tabellarischen Time-Table Deiner Begehung aufschreiben?

Ich kann dir die Route ziemlich genau aufzeichnen. Dies, obschon ich in der Nacht kletterte und vieles anders aussieht als am Tag. In der Nacht fehlt zudem der totale Überblick. Doch nachzeichnen ist durchaus möglich.

Ein „tabellarische Time-Table“ ist nicht möglich - habe ja nicht dauernd auf die Uhr geschaut.

Timetable:

Oct.8 Ca. 5.30 ABC

Oct. 8 Ca 15.00 Felsband, suche nach geschütztem Platz, Spindrift verlust der Kamera und des Handschuh. Auf ca 7050m Pause auf 6850-6900. Beim Eindämmern bin ich wieder weiter ohne Rucksack

Oct 9. Ca 1.00 Gipfel

Oct.9 9.40 ABC

Wann warst Du zurück an Deinem Biwakplatz?

Dies muss wohl zwischen 04.00 und 05.30 Uhr gewesen sein.

Wie erklärst Du Dir, dass die Franzosen, die die Route eine Woche später in insgesamt 17 Tagen wiederholt haben, in einigen Interviews sagten, dass sie Dein Bivi auf 6800 Meter gefunden haben, Du aber sagst, dass sie das gar nicht gefunden haben können, weil sie eine andere Route geklettert sind; welche Spuren haben sie denn dann auf dieser Höhe gefunden?

Sie waren 10 Tage in der Wand, sie hatten auf 6700m 3 Tage schlechtes Wetter ausgesessen.  Yanick hat mir vor ungefähr 3 Monaten gesagt, er habe meine Pickelspuren gesehen im Felsriegel. Das kann man auch im Text von Yanick nachlesen (siehe Link)  Letztlich kann ich aber nicht für meine Kollegen sprechen, das können nur sie selbst tun.

https://www.thebmc.co.uk/benoist-and-graziani-repeat-ueli-stecks-route-on-annapurna

On the next day, having overcome more hard pitches (80-90°), they almost reached the top of the barrier, bivouacking at around 7,400m. In the middle section of the barrier, they noticed, over to the right, an old rigid stem Friend, and Karabiner, presumably remnants of the Béghin-Lafaille attempt. They also noted traces of Steck's passage at around 7,300m.

Das hat nicht Yannick geschrieben, sondern ein englischer Journalist, der seine Infos wiederum von einem Bekannten aus Kathmandu hatte – schrieb er mir auf Nachfrage; da kann also etwas nicht stimmen?

Ich kann mich nur wiederholen: Zu Beobachtungen Dritter kann ich mich nicht äussern. Ich kann einzig meine eigenen Beobachtungen kommentieren.

Auf Anfrage schrieb mir Yannick, dass er nur auf 6700 m Spuren von Dir (»a kind of ledge in the ice...«) gesehen hätte; und Stephane schrieb mir, dass er sich nur an Spuren auf 6100 (C1) erinnern kann; wie erklärst Du Dir das?

Auch hier: Zu Beobachtungen Dritter kann ich mich nicht äußern. Ich kann einzig meine eigenen Beobachtungen kommentieren.

In einem Mail hast Du mir geschrieben, dass Du an den schwierigsten Stellen mit einer 60-Meter-Reepschnur drei- oder viermal an Abalakovs abgeseilt hast, durch die Du das Seil direkt hindurch gezogen hast. 30 Meter Seil durch eine Sanduhr ziehen, ist sehr zeitaufwendig; wie erklärst Du das in Verbindung mit Deiner extrem schnellen Begehungszeit?

Das braucht nicht mehr Zeit als eine Reepschnur durchzufädeln und dann das Seil durch diese zu ziehen. Ich hatte nur ein paar Schlingen, die habe ich mir aufgespart für den Fall, dass ich irgendwo im Fels abseilen muss. Meine Reepschnur war nur 6 Millimeter dick. Das funktioniert bestens. Du musst die Sanduhren vertikal machen, dann kannst du am unteren Ende abziehen. Eine Sanduhr zu machen mit etwas Übung dauert 2 - 3 Minuten. Abziehen brauchst Du nicht. Du kletterst dann einfach weiter bis sich das Seil von selbst ausfädelt.

Du hast 8 Abseilstellen ins Bild eingezeichnet; dem Stef S. hast Du von vier oder fünf Abseilstellen berichtet. Was ist richtig?

Es war so, wie ich es im Bild skizziert habe. Mündliche Aussagen von Drittpersonen nehme ich zur Kenntnis, möchte sie aber - wie ich nun bereits mehrfach dargelegt habe - nicht kommentieren.

Du hattest einen professionellen Fotografen und einen professionellen Kameramann im ABC, beide haben keine Bilder von Deiner Begehung mitbringen können – warum waren die beiden denn dabei, wenn nicht zum Dokumentieren Deiner Begehung?

Der Kameramann war mit Don unterwegs. Das war auch klar getrennt, dass er für Don arbeitet. Don wollte ja einen Film machen. Dan hat auch fotografiert, aber eben nicht während meinem nächtlichen Gipfelgang. Weil er den offensichtlich verpasst hat. Dazu musst du aber ihn fragen.

Seit vielen Jahren bist Du Profi-Bergsteiger; siehst Du da nicht ganz besonders die Wichtigkeit, Deine Begehung der Annapurna glaubhaft zu dokumentieren, weil Du sie ja auch „verkaufen“ musst, um Geld zu verdienen?

Nach den für mich schlimmen Ereignissen am Everest wollte ich „low key“ bleiben.

Ich wollte diese Route klettern, als Bergsteiger. Seit Jahren beschäftige ich mich mit dieser Wand. 2007 habe ich beinahe mein Leben verloren bei einem ersten Solo-Versuch, als ich 200 Meter abgestürzt bin.

Ich bin Profibergsteiger und ich verdiene mein Geld durch Sponsoren und Vorträge, dank meiner bergsteigerischen Leistungen. Aber ich werde von niemandem direkt für diese Erstbegehung in der Annapurna bezahlt.

Du wirst aber nicht leugnen, dass Dein Marktwert als Alpinist mit Deinen Leistungen steigt; d.h. Du verdienst direkt mit der Annapurna Geld. Auch in Deinen Vorträgen wirst Du von der A. berichten, also Geld verdienen; warum hast Du dann nicht für die Dokumentation Sorge getragen?

Auch hier wiederhole ich mich: Ein zentrales Learning aus meiner Annapurna-Expedition war, dass ich mich in einem nächsten Fall noch besser absichere gegen Unvorhersehbarkeiten wie diese lokale Lawine. Den Verlust meines Fotoapparats - mein "Haupt-Beweisstück" hatte ich nicht eingeplant und damit auch keine alternativen Beweismöglichkeiten eingeplant. Das war rückblickend ein Fehler.

Du hast im Himalaya bereits mit einigen Solo-Begehungen Aufsehen erregt: Shisha-Pangma-Südwand; Pumori-Westwand, Tawoche-Ostwand; gibt es Dokumentationen über diese Begehungen?

Cholatse und Tawoche sind dokumentiert. Ich hatte immer auch Leute im Basislager die mich Beobachten konnten. Shisha Pangma habe ich meine Flasche mit meinem Namen auf dem Gipfel deponiert (was ich nie publik gemacht habe), in der Hoffnung es kommen Leute auf der Normalroute auf den Gipfel. Der Abstieg erfolgte über eine einfachere Route. Details über die Begehungen kannst du in Büchern nachlesen ( Solo, 8000+ oder Speed).

Eine Flasche, die niemand gefunden hat, ist kein Beweis!  Und wie sieht es mit der Pumori-Westwand aus, die Du in der Nacht und bei Schlechtwetter gemacht hast?

Das sehe ich genau gleich: Eine Flasche ist zumindest kein sicherer Beweis. Sie kann zu leicht im Eis verloren gehen. Man muss sich andere Wege suchen, um die Gipfelbesteigung plausibel zu machen. Ein eigentlicher "Beweis" ist enorm schwierig: Nicht einmal ein Foto reicht hier hundertprozentig aus, wenn man die modernsten Technologien der Fotonachbearbeitung kennt. Letztlich geht es immer um Plausibilitäten, nicht um Beweise.

Als einer der besten (und bestbezahlten) Bergsteiger der Welt solltest Du ein fundamentales Interesse an lückenloser Dokumentation Deiner Begehungen haben; warum sind die Dokumentationen so spärlich?

Da kann ich mich nur wiederholen: Solobegehungen sind relativ schwierig zu dokumentieren. Eine lückenlose Dokumetation ist praktisch nicht machbar. Es gibt höchstens Facts. Eine Rotpunktbegehung in einer langen Route ist selten lückenlos dokumentiert. Wer garantiert denn, dass der Kletternde nicht doch in den Bohrhaken gegriffen hat? Auch der Sichernde sieht nicht genau jeden Moment. Eine Freesolobegehung wäre keine Freesolobegehung mehr, wenn Du nicht alleine wärst.

Es gehört nun mal zu Alpinismus, dass man nicht immer alles  100% beweisen kann.

Ich bin nicht der erste der eine Begehung nicht vollständig dokumentieren kann. Von Wileki gibt es keine Gipfelfotos auf dem Lhotse, dem Kanchenjunga, das am Everest könnte irgendwo sein. Kukuczka fehlen Gipfelfotos vom Makalu, Everest, K2, niemand hat das angezweifelt.

Moderne High-Tech-Uhren bieten sehr wohl die Möglichkeit, eine Solobegehung lückenlos zu dokumentieren; warum hast Du diese Möglichkeit nicht genutzt?

Leider sind - zumindest theoretisch - auch hier Manipulationsmöglichkeiten gegeben. Ein eigentlicher Beweis ist auch damit nicht möglich. Nein, ich denke, das Gipfelfoto ist wohl immer noch die beste Plausiblisierung. Und diese Möglichkeit war mir leider eben verwehrt. Und ja: In diesem Punkt habe ich zu wenig vorausgedacht.

Du schriebst mir: „Ich war alleine unterwegs und habe nichts in der Hand. Ich weiss, was ich gemacht habe, das nimmt mir niemand.“ Reicht das Wissen eines Bergsteigers um das, was er erreich hat, aus, um außergewöhnliche Leistungen zu verifizieren? Du als Profi musst Deine Leistungen doch verifizieren, denn Du verdienst Geld damit.

Ich habe mir bergsteigerisch einen Traum erfüllt. Und noch einmal, auf die Gefahr hin, zu langweilen: Ich  werde das nie beweisen können, ob ich auf dem Gipfel war oder nicht. Ob und dass ich die Annapurna bestiegen habe, weiß letztendlich nur ich alleine. Ich habe mich damit befreit. Wenn jemand das anzweifeln will soll er das tun. Wie in welcher Form man eine Begehung beweisen muss, da steht mir nicht zu, meine Meinung zu äußern. Da müssen andere urteilen. Bis jetzt gab es keine offiziellen Richtlinien, wie eine Begehung dokumentiert werden muss. Beim Bergsteigen wurde immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Mir ist bewusst, dass es seit den Anfängen des Bergsteigens immer wieder Diskussionen gegeben hat. Wenn es um Geld, Ruhm und Ehre geht, verändert sich die Wahrnehmung. Erlebnisse und Eindrücke können nicht mit einem Foto oder Film erlebt werden. Ich kann es nur erleben, wenn ich es selber mache.

Ich habe am Berg für mich entschieden, ohne darüber nachzudenken, irgendjemandem etwas zu beweisen. Ich war ausgesetzt und exponiert, was für mich da oben im Moment zählt war das Überleben. Bei einem Abenteuer kann man nicht alles planen. Wenn das möglich wäre, wäre es kein Abenteuer mehr.

Meinst Du, dass Deine Begehung dadurch verifiziert ist, weil Du es für Dich weißt?

In keiner Weise. Mein Wissen allein kann keine Plausibilität bilden. Aber meine Erinnerung kann ich möglichst authentisch darzustellen versuchen, was ich in diesem Gespräch versucht habe. Mehr kann ich nicht tun.

Andreas Kubin, 24. Februar 2014 

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