01 April 2014

Ungereimtheiten bei Stecks Annapurna Solo

Letzten Herbst gelingt dem Schweizer Profibergsteiger mit seinem Annapurna Solo ein gefeierter Quantensprung im Alpinismus und gewinnt nun den Piolet d’Or 2014 – alles ohne Beweise? Und mit vielen Zweifeln…

Im vergangenen Herbst gelang dem Schweizer Profi-Bergsteiger mit seiner Solobegehehung der Annapurna-Südwand ein gefeierter »Quantensprung« in der Geschichte des Bergsteigens – Beweise für seine Begehung blieb der Schweizer ebenso schuldig wie die Beantwortung zahlreicher offener Fragen.

Am 10. Oktober um 1 Uhr in der Nacht erreichte der 37-jährige Ueli Steck den Gipfel der Annapurna (8091 m). In 17 Stunden war er über eine neue Route durch die Südwand geklettert, die zwischen 7000 und 8000 Meter nahezu senkrecht ist, und stieg in elf Stunden über die gleiche Route wieder ab. Bis auf eine Höhe von 7000 Metern wurde Steck von seinen Begleitern vom vorgeschobenen Basislager aus beobachtet, für seine nächtliche Begehung des oberen Wandteils gibt es – außer der Aussage von zwei Sherpas vier (!) Monate später, die das Licht seiner Stirnlampe gesehen haben wollen – keine Beweise. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Steck seine Kamera verloren hatte und weil er es versäumte, seinen Aufstieg per GPS- Track zu dokumentieren.

Nach seiner Rückkehr aus Nepal gab Steck einige Interviews für Schweizer Tageszeitungen, hielt sich ansonsten aber mit Veröffentlichungen zurück – vor allem, was Details seiner zu seiner Route anbetrifft. Andreas Kubin, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift »Bergsteiger« und selbst Extrembergsteiger, hat sich mit den offenen Fragen und den Ungereimtheiten in der Berichterstattung über Stecks Alleinbegehung auseinandergesetzt und diese stichpunktartig zusammengetragen:

Kletterzeit und Schwierigkeiten

Ueli brach um 5.30 Uhr vom ABC (5000 m) auf und erreichte den Fuß der Headwall (ca. 7000 m) gegen 18 Uhr = 12,5 Stunden für 2000 Meter in meist leichtem oder mittelsteilem Schneegelände.

Für den oberen Wandteil (= 6800 m, vom Biwak zum Gipfel 8091 m = 1200 m) in schwierigem Gelände (bis WI5, M6) benötigte er etwa 6 Stunden (das Biwak verließ er gegen 19 Uhr und erreichte den Gipfel gegen 1 Uhr)

Bei Sonnenaufgang (gegen 5.30 Uhr) wurde Ueli vom ABC aus auf ca. 6600 m beim Absteigen gesehen; was bedeutet, dass er maximal 4 Stunden vom Gipfel bis zu seinem Biwakplatz gebraucht hatte.

Aus Interview mit a. kubin:

Timetabel:

Oct.8 Ca. 5.30 ABC

Oct. 8 Ca 15.00 Felsband, suche nach geschütztem Platz, Spindrift verlust der Kamera und des Handschuh. Auf ca 7050m

Pause auf 6850-6900. Beim eindämmern bin ich wieder weiter ohne Rucksack

Oct 9. Ca 1.00 Gipfel

Oct.9 9.40 ABC

Wann warst Du zurück an Deinem Biwakplatz?

Dies muss wohl zwischen 04.00 und 05.30 Uhr gewesen sein.

Widersprüche in den Interviews

In den ersten Interviews sprach Ueli von Spuren im Gipfelhang und davon, dass man vom ABC jeden seiner Schritte beobachtet hätte („Es gab Spuren im Gipfelhang und vier Leute beobachteten jeden meiner Schritte mit dem Fernrohr“, Interview Bernerzeitung)

Später entpuppte sich die Spur als Lawinenabrisskante; und niemand sah ihn höher als 7000 m (= Beginn der Headwall).

Niemand sah ihn

In der Nacht kletterte Ueli mit einer Hochleistungs-Stirnlampe, die er immer wieder ausschaltete, um Batterien zu sparen (Interview mit a. kubin: Die Lampe (Tikka RXP) habe ich auf  Max Autonomy eingestellt. Also normal 7 Lumen (ca 2m) und grossen Sichtweiten 80 Lumen ( ca 70m). Die Lampe hat einen Sensor.  Nur wenn man in die weite schaut, schaltet das Licht auf 80 Lumen. Die theoretische Laufzeit der Batterie liegt bei 10 Stunden..). In jener Nacht herrschte fast Neumond (= es war stockdunkel). Wie kann man Schwierigkeiten vergleichbar mit einer Heckmair-Route an der Eiger-Nordwand ohne Licht klettern?

Niemand im ABC sah irgendein Licht in der Wand während der Nacht, obwohl die Lagerbesatzung immer wieder in die Wand hinaufschaute.

Keinerlei Beweise

Ueli hatte zwei professionelle Fotografen/Filmemacher dabei; keiner von beiden war in der Lage, irgendein Fotodokument mitzubringen; auch die Möglichkeit von Zeitrafferaufnahmen (time lapse) wurde nicht genutzt. Patitucci, ein renommierter Outdoorfotograf, schrieb an A. Kubin: „ I have never made a time lapse in my life, I don't even know how, and am not set up - so the thought never occurred to me.“

Widersprüche über Route und Biwakplatz

Der höchste Punkt, an welchem Ueli seine Kamera und Handschuh in einem Schneerutsch verlor, ist gänzlich verschieden zu jenem Punkt, an dem ihn Patitucci am höchsten gesehen hatte; anschließend sah er ihn  abklettern (es existieren zwei Fotos mit den unterschiedlichen Angaben).

Auf Uelis Wandfoto ist eine Variante eingezeichnet (in der er seine Kamera verlor), die augenscheinlich in extrem schwieriges Gelände führt und somit keinen Sinn macht.

Keine Spuren über 6800 m

Die Zweitbegeher der Route – Benoist und Graziani – haben oberhalb von 6800–7000 Metern keinerlei Spuren von Ueli gefunden, wohl aber Spuren vom Versuch Lafaille/Beghin 1991.

(Graziani: hello andreas sorry it tooks me some time to answer.

well i remembered founding  traces at around 6700m a kind of a ledge in the ice but i don t know if my memory is good. it was during the descent.

Benoist: I understand your problem but I can't tell you more because I don't know more!

Between Ueli and us there was 60cm of snow! The only trace was on his acclimatation camp at 6100m.)

Keine »Gipfel«-Botschaft

In zwei Interviews (Planetmountain.com und trax.de) erwähnt Ueli, dass er ein SAT-Phone dabei hatte; im Klettern-Artikel schreibt Patitucci: „Dann erklärt Don aufgeregt: ‚Ich habe eine Sat-Phone-Nachricht von ihm von letzter Nacht. Sie lautet ‚Bin zurück in Camp 2. Lange Nacht durchgeklettert. Esse etwas, dann steige ich ab.’ Doch die Frage blieb offen: War er am Gipfel?“

Frage: Warum sagte Ueli nicht: »Ich war am Gipfel«?

Ein später Zeuge

Am 27. Februar erhielt Ueli eine E-Mail von Tenji Sherpa, in welcher dieser ihm schrieb, dass er und der Küchenjunge Uelis Stirnlampe in der Nacht kurz unter dem Gipfel gesehen habe. In einer zweiten Mail vom 1. März fixierte Tenji die Zeit, als er die Stirnlampe gesehen hat: etwa 24 Uhr

Der Wortlaut der Mails:

 From: Tenjing sherpa

Date: 2014-02-27 7:15 GMT+01:00

Subject: Interview

To: Ueli Steck  

Hello Ueli

Today French journalist Jolly took interview with me in Kathmandu about your expedition Everest and Annapurna she said in Germany some media don't believe about Annapurna summit so she was searching some proof in Nepal and she said she will published one book in September and I sure to her Ueli summit Annapurna there is no doubt and i saw light near the summit when climbing and also our kitchen staff Ngim Dawa saw the head light when climbing and descending because our kitchen staff he checked many time in night and he said me he saw your head light near the top when climbing and descending and i told to her about all fact and she found you have done Annapurna .I was surprise when she said about it and she asked me question : say something about Ueli? and i answered Ueli is one of the faster solo climber in the world and i don't saw such a climber before and very technical , strong mind, speed and very confident and also i told her ueli climbed Everest without using oxygen and other many technical mountain like Cholache and many more...

...

Warm regards

Tenji

Von: Tenjing sherpa

Betreff: RE: Great support

Datum: 1. März 2014 06:18:17 MEZ

An: Ueli Steck 

Hello Ueli

Yas of course there are many different journalist & some journalist they just try to make wrong and some journalist they write true story and I spoke very carefully and about camera I did not have camera but I took photo in Base camp from my mobile with Annapurna but I took at day not at night if Jolly need I will check with Jolly and you summit around 1 o'clock right may be I saw you around 12 o'clock.

...

Thank you very much

Regards

Vor dem 27. Februar gab es keine Erwähnung dieses Sachverhalts, auch nicht im Klettern-Artikel von Patitucci; dort schrieb er: „Uelis Freund Tenji starrte neben mir ins Dunkel, genau wie meine Frau Janine. Sofort drehte sich Tenjis Gesicht zu mir, und gemeinsam nahmen wir die Stimmung in uns auf, während er erklärte: ‚Ich habe geträumt, Ueli sei am Gipfel gewesen letzte Nacht.’“

Scheinbar hat Tenji mit keinem Wort erwähnt, dass er Uelis Stirnlampe um 24 Uhr gesehen hatte; er sprach nur davon, geträumt zu haben.

Dan Patitucci schreibt in einer E-Mail: „ Hi Andreas, I also heard the news about the Sherpas having seen the light. No, they never said anything. Nima didn't speak English, or very little so I wouldn't have heard this news if they discussed it.“

Frage: Wenn Tenji Uelis Stirnlampe gesehen hat in jener Nacht, warum hat er dann nicht die anderen geweckt mit dem Ruf: „Leute, dort oben klettert er!!!!“

Am 15. Oktober schrieb Don Bowie auf seiner Homepage (www.donbowie.com): „I woke up a few times during the night- the first around midnight- and peered out of my tent at the face above. In the darkness I could see the clouds had lifted and the summit wind banners were much smaller- and the blowing snow had declined dramatically.“

Frage: Warum hat Don das Licht der Stirnlampe nicht gesehen, während Tenji zur etwa gleichen Zeit ein Licht sah?

Ueli sagte immer wieder in Interviews, dass er keine Beweise habe und dass man ihm glauben müsse; nun taucht plötzlich wie ein „deus ex machina“ die Mail von Tenji auf.

Kein Einzelfall

Es gibt keine Beweise für Uelis Solo-Begehungen von Pumori-Westwand und Shisha-Pangma-Südwand; Ueli gibt dies auch unumwunden zu.

Ein großes Dankeschön an Rolo Garibotti, Alexander Huber, Steph Siegrist, Ines Papert, Ralf Weber und Thomas Senf für die zahlreichen Anregungen, die Hilfe und die Diskussionen, um dies alles in dieser Form zu recherchieren.

– andreas kubin–

KOMMENTAR

Ein Super-GAU beim Bergsteigen?

Ueli Steck bekam gestern für seine Annapurna-Südwand-Begehung den Piolet d’Or 2014 (mehr). Werden dadurch die Zweifel an dieser Begehung aus dem Weg geräumt? Mitnichten! Es bleiben – auch wenn dies die Jury des »Bergsteiger-Oscars« nicht wahrhaben will – Zweifel und Ungereimtheiten im Raum stehen. Ein Nicht-Bergsteiger erkennt diese Fragen, die gestellt wurden, nicht – wohl aber der Bergsteiger! Und als Bergsteiger müssen wir diese Fragen stellen. Oder wir verurteilen das Bergsteigen zum Tode. Wer im Zeitalter von GPS, Handy-Cam und Handgelenkscomputer nicht in der Lage ist, seine Erstbegehung zweifelsfrei zu dokumentieren, hat einen schlechten Job gemacht. Und dieser Job wird auch durch die Auszeichnung mit dem Piolet d’Or nicht besser. Und ein Sherpa, der nach vier (!) Monaten aus dem Nichts auftaucht und Uelis Stirnlampe in der Nacht der Erstbegehung gesehen haben will, verifiziert nicht, sondern schürt zusätzliche Zweifel. In der alpinen Geschichtsschreibung wird die Alleinbegehung der Annapurna-Südwand immer mit einem großen Fragezeichen versehen bleiben – trotz Piolet d’Or! Der Jury des sogenannten »Bergsteiger-Oscars« sei ins Stammbuch geschrieben: Überdenkt eure Regeln, nach denen der Preis vergeben wird! Vergebt Preise nicht an die Menschen mit den gutmütigsten Augen, sondern nur noch an die, die ihre Taten belegen und beweisen können. Nur so hat dieser Preis einen Wert und das Bergsteigen behält seine Glaubwürdigkeit.

– andreas kubin–

Interview mit Ueli Steck zu den Ungereimtheiten beim Annapurna Solo



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