Test Atomic Backland 100 Test Atomic Backland 100
20 März 2023

Spaßgesellschaft – Test Atomic Backland 100

Atomic Backland 100 ist so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau im Skitourenbereich. Getestet wurden auch die Bindung Atomic Backland Tour Bindung, das Atomic Skin Multifit und der Atomic Backland Helm

„Mann ist der breit!“ Als ich diesen Winter am Treffpunkt zu den Skitouren mit meinem Atomic Backland 100 auftauchte, war dies der Standardkommentar von denjenigen unter meinen Skitourenfreunden, die eher mit aufstiegsorientierten (und schmäleren) Skiern unterwegs sind.

„Oh, ist der leicht!“ Dies der Standardspruch von den Freunden, die mich immer mit Latten über 100 mm Mittelbreite begleiten.

Ja, der Atomic Backland 100 ist für mich so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau im Skitourenbereich. Ein Grund warum ich ihn unbedingt einen halben Winter lang auf meinen Skitouren testen wollte. Nämlich als Skitourenski für längere und auch – wenn die Verhältnisse passen – anspruchsvolle Skitouren. Also für das, was in den letzten Jahren wieder populär geworden ist: für´s Skibergsteigen.

Getestet habe ich ihn zusammen mit den Atomic Hybridfellen „Skin Multifit“ und der Pin-Bindung „Atomic Backland Tour“. Ski (in Länge 180 cm) und Bindung bringen zusammen gerade mal 3556 g (796 g + 2760 g) pro Paar auf die Waage. Auch den Helm „Atomic Backland“ konnte ich mittesten. Bleiben wir vorerst aber mal bei den Ski – mehr zu Fellen, Bindung und Helm im weiter unten.

Die Sache mit der Skibreite

Der Ski wird eigentümlicher Weise bei vielen Shops (und auch von Atomic selbst) als Freeride-Skitourenski geführt. Eine Einstufung, die meiner Meinung nach dem Ski unrecht tut und wohl mit der Historie der Tourenskientwicklung zu erklären ist (bzw. damit, dass Atomic damit einen Ski beschreiben will mit dem man super fahren kann und nicht damit sagen will, dass nur kurze Aufstiege möglich sind). Ich kann mich erinnern, dass mir mein erster taillierter Tourenski aus dem Jahr 2002 mit 78 mm Mittelbreite schon breit vorgekommen ist. Irgendwann haben sich dann bei den Freerideski die breiten Latten mit mehr als 105 mm Mittelbreite durchgesetzt – aber sie waren lange Zeit einfach zu schwer für´s anspruchsvolle Skitourengehen. Dennoch: wer das Fahrgefühl mit breiten Skiern kennt, der mag eigentlich nicht mehr umsteigen auf schmälere Ski. Und das gilt nicht nur für knietiefen Pulver, sondern auch für die meisten anderen Schneearten – mal brettharte Verhältnisse und Skipisten ausgenommen. Man hat einfach mehr Auftrieb, ist laufstabiler. Zusammen mit den heute verbreiteten starken Rockerkonstruktionen kann ein breiterer Ski einfach kraftsparender und auch passiver gefahren werden – eine Eigenschaft, die ich persönlich speziell bei einem Tourenski für lange Touren sehr zu schätzen weiß. Da habe ich einfach nicht mehr die Kraft, genussvoll mit einem harten Brett, das aktiv gefahren werden will, die Hänge hinunter zu schwingen.

Seit es breitere und zugleich sehr leichte Skier wie den Atomic Backland 100 gibt (er wiegt gerade mal 2.760 g pro Paar (bei Länge 180 cm), gibt es für mich keinen Grund mehr, auch für anspruchsvolle und lange Skitouren einen schmäleren Ski zu nehmen. Ja ich kenne das Argument, dass breite Ski bei langen Querungen in harten Verhältnissen mühselig sind. Die Lösung: vor der Querung Harscheisen anlegen oder wenn es richtig zur Sache geht gleich auf Steigeisen umsteigen – macht man oft eh viel zu spät. Ich jedenfalls fahre seit 12 Jahren nie unter 97 mm Mittelbreite und habe noch keinen Moment erlebt, in dem ich mir einen schmäleren Ski abseits der Piste gewünscht hätte.

Die Sache mit dem Skikönnen

Ich habe das Gefühl, dass sich viele nicht so gute Skifahrer vor breiteren Skiern fürchten. Zu wuchtig wirken sie, zu sehr hat man das Bild aus den spektakulären Freeridevideos im Kopf, die alle mit dicken Skiern fahren. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wie oben erwähnt lassen sich breitere Ski mit ausgeprägter Rockerkonstruktion oft viel leichter fahren, da sie mehr Auftrieb haben und Wellen viel eleganter schlucken. Die gutmütigeren Exemplare unter den breiteren Skiern sind für mich persönlich sogar sehr gut für nicht so versierte Skitourengeher geeignet.

Doch wie fährt sich der Atomic Backland 100 nun?

Zugegeben – ein langer Einleitungstext für einen Skitest. Aber insofern wichtig, da es DEN richtigen Ski für alle nie geben wird – zu unterschiedlich sind die Anfordernisse an die Ski. Aber ist nun der Atomic Backland 100 eher ein gutmütiger Zeitgenosse oder doch eher ein Ski für den Experten? Oder beides?

Hält man den Ski in den Händen, fallen drei Dinge sofort auf:

  • Eine ausgeprägte Rockerkonstruktion des vorderen Skiteils (20 % Rocker)

  • Wenig Vorspannung des mittleren Skiabschnitts (70 %) in Camberkonstruktion (unter der Bindung)

  • Für einen Skitourenski relativ ausgeprägter Tailrocker (10 %)

Zusammen mit einem nicht allzu großen Radius von 17 m (bei 172 cm Skilänge) lässt dies auf einen wendigen und drehfreudigen Ski schließen.

Auf meinen Skitouren diesen Winter konnte ich mich davon überzeugen: genauso ist es! Ich bin in meinem Leben noch nie einen so drehfreudigen und einfach zu fahrenden Ski gefahren – also einen Ski, der sich also so leicht um die Kurven bringen lässt - wie den Atomic Backland 100. Man muss ihn nicht sehr aktiv fahren und nicht viel Druck aufbringen, um Spaß mit ihm zu haben. Alles zusammen macht den Ski sehr gutmütig und – wie oben beschrieben – durchaus geeignet für nicht so versierte Skifahrer. Dabei machte er in allen Schneearten Spaß – egal ob Pulver, Firn, Bruchharsch oder auch härtere Verhältnisse. Seine Stärken sind dabei – was aufgrund der oben beschriebenen Eigenschaften jetzt nicht überraschend kommen wird – kürzere Schwünge bei moderaten Geschwindigkeiten. Vor allem unangenehme Waldpassagen oder kleinstrukturiertes Gelände verliert dabei seinen Schrecken.

Einzig bei stark verspurtem Schnee mit vereisten Spuren tendierte er, dazu, unruhig zu werden und seitlich hin und her zu flattern: definitiv ein Resultat aus der aufgrund des ausgeprägten Rockers und der damit verbundenen kurzen Skikante sowie des geringen Gewichts – und damit eine Eigenschaft, die jeder vergleichbare Ski hat. Und natürlich zollt der Ski auf harten eisigen Pisten dem geringen Gewicht und (ja ich weiß) der breiteren Mittelbreite Tribut. Auch schwere Fahrer, die gerne schnell fahren und eine sehr aktive Fahrweise haben, werden vielleicht mit einem anderen Ski glücklicher werden.

Der Atomic Backland 100 – ein heißer Tipp für´s Skibergsteigen wie auch für technisch nicht so versierte Skitourengeher

Aber Hand aufs Herz: wieviel Skitourengeher fahren in der Praxis auf Skitouren sehr kraft- und geschwindigkeitsbetont Ski bzw. viel auf Pisten (Pistenskitourengeher einmal ausgenommen)? Dass es für Pistenskitouren oder auch für rein aufstiegsorientierte Personen geeignetere Ski gibt, liegt in der Natur der Sache. Auch für reines Freeriden gibt es noch breitere und schwerere Ski, die satter durch den Powder pflügen.

Aber der Atomic Backland 100 ist mit Sicherheit ein Ski, mit dem 80 % der Skitourengeher im freien Gelände ihre Freude haben werden (mich eingeschlossen). Nicht so versierte Fahrer wie auch Experten, die am Ende eines langen und anspruchsvollen Skitourentages keinen störrischen Bock unter den Füßen haben wollen. Er ist eine gelungene Symbiose aus Leichtigkeit mit ausreichender Breite, die das Skitourengehen zum Spaß und nicht zur Qual werden lassen. Ich habe selten einen Ski gesehen, der so ein breites Spektrum sowohl im Anwendungsbereich als auch von der Könnenstufe abdecken kann wie der Atomic Backland 100 – für mich ein echter Klassiker unter den Skitourenski. Auch, aber bei weitem nicht nur als Freeride-Skitourenski. Schlussendlich kommt es doch genau darauf an beim Skitourengehen: Spaß zu haben – Spaß beim Aufstieg mit einem leichten Ski und Spaß bei der Abfahrt mit einem angenehm zu fahrenden Ski.

Kleiner Tipp noch: Ich würde ihn auf jeden Fall in Körperlänge oder nach Geschmack etwas länger kaufen.

Was gab´s sonst noch zu testen?

Viel. Bleiben wir zunächst bei der Bindung Atomic Backland Tour.

Atomic Backland Tour

Wie oben erwähnt ist die Pin-Bindung mit 398 g pro Stück eine der sehr leichten Bindungen am Markt – einmal von Rennbindungen abgesehen. Im Gegensatz zu vielen vielleicht noch leichteren Bindungen hat sie aber alles was eine Bindung für anspruchsvolle Tourenbindung haben muss: nämlich Stopper, eine zweifache mit Skistöcken gut bedienbare Steighilfe und eine 40 mm breite Montageplatte, die die Bindung auch für breitere Ski geeignet macht. Sie ist als reine Pin-Bindung in Konkurrenz zu folgenden Bindungen: Dynafit Radical, Marker Alpinist, ATK Raider, G3 Ion und Fritschi Xenic. Sie hat damit keine extra Auslösefunktion vorne wie z.B. die deutlich schwerere Fritschi Tecton (oder andere Hybridbindungen), sondern löst – wie alle Bindungen dieser Gewichtsklasse - rein über den Hinterbacken aus.

Mein Eindruck nach 20 Skitouren:

  • Sofort fällt auf, dass die Bindung sehr sehr hochwertig ist. Viele Teile sind aus Aluminium, alle verstellbaren Mechanismen funktionieren satt und präzise.

  • Das Einsteigen in die Bindung funktioniert sehr einfach – d.h. die patentierte Einstiegshilfe funktioniert sehr gut.

  • Die Bindung ist mit Plum- und Dynafit/ATL-Harscheisen kompatibel, was mir persönlich sehr gut gefällt. So hat man nicht x Paar Harscheisen von früheren Bindungen daheim herumliegen. Bei den Dynafit/ATK-Harscheisen muss allerdings ein mitgelieferter Arretiermechanismus angebracht werden. In der Praxis funktioniert das ganz gut – allerdings muss darauf geachtet werden, dass dieses kleine Plastikteil auch richtig einrastet. Sonst verliert man das Harscheisen sofort einmal. Bei korrekter Arretierung sitzt das Harscheisen aber besser als beispielsweise bei den Dynafitbindungen.

  • Das Umstellen von Aufstieg auf Abfahrt ist auch mit dicken Handschuhen ohne viel Kraftaufwand möglich. Es müssen allerdings die Steighilfen extra zurückgeklappt werden, damit der Schuh im Hinterbacken einrastet. Auch wenn ich das manchmal vergessen hatte ist das aber eine reine Gewöhnungssache.

  • Die Stopper müssen allerdings extra mittels eines Kipphebels aktiviert werden. Auch dies ist für mich persönlich eine reine Sache der Gewöhnung und nicht wirklich ein Kritikpunkt. Bei mir ist es in Fleisch und Blut übergegangen, nach dem Ausziehen der Ski als ersten Schritt gleich die Stopper zu aktivieren.

  • Die Bindung ist um 50 mm in der Länge verstellbar, was für eine Pin-Bindung außergewöhnlich viel ist.

Fazit: Eine sehr hochwertige leichte reine Pin-Bindung, die mir auf den 20 Skitouren nie Probleme bereitet hatte (keine Vereisung, Fehlfunktionen oder dgl.) und alles hat was eine reine Pin-Bindung für anspruchsvolle Skitouren braucht.


Felle „Atomic Skin Multifit“

Bei Steigfellen bin ich heikel und sehr old school eingestellt. Gewicht ist mir egal, denn jeder Rutscher wegen schlechter Steigeigenschaften kostet mir mehr Kraft. Ich will meine Felle nicht behandeln müssen wie mein bestes Porzellangeschirr und die Felle vor Gegenanstiegen auch nicht ständig zum Wärmen in die Jacke stecken müssen. Nach einem halben Winter Test der Atomic Felle „Skin Multifit“ aus 100 % Mohair kann ich sagen: Ich gehe sehr entspannt auf Tour. Nie Probleme mit dem Hybridkleber auch bei mehrmaligen Gegenanstiegen gehabt (ein Hybridkleber ist dann doch sehr angenehm ist beim Felle aufziehen), klasse Steig- und trotzdem gute Gleiteigenschaften und so geringe Gebrauchsspuren, die mich zuversichtlich an eine lange Lebensdauer denken lassen. Einzig der Klappmechanismus am Fellende wurde nach einigen Touren etwas sperrig, so dass er sich nicht mehr so einfach über das Skiende klappen ließ. Der Workaround „Schieben von der Seite“ ist aber nicht allzu störend. So überwiegt auch hier für mich der Vorteil des Systems, dass sich der Mechanismus kein einziges Mal auf meinen Touren unabsichtlich vom Skiende löste (was bei manch anderen Systemen durchaus passieren kann).

Helm „Atomic Backland“

Der Helm Atomic Backland ist ein zwar teurer aber sehr leichter und dreifach zertifizierter (Skifahren, Klettern, Fahrrad) Helm und wurde auf bergsteigen.com vor rund einem Jahr schon einmal getestet. Um mich nicht zu wiederholen: Ich kann mich dem damaligen Testbericht uneingeschränkt anschließen: der sehr komfortable und hochwertige Helm ist ein vollwertiger Skihelm, dafür sehr leicht und vor allem durch die Dreifachzertifizierung flexibel einsetzbar. Ich empfehle in jedem Fall die Variante mit Ohrenschutz zu nehmen, die warm genug ist, auch im Hochwinter ohne Haube getragen zu werden. Tipp: Der Helm fällt recht klein aus. Mir passt bei Kopfumfang 57 cm die Größe „55-59“ cm gerade noch gut. Im Zweifel also lieber zur größeren Größe greifen.

Gesamtfazit Atomic Backland-Reihe

Atomic weiß, wie Skitourengehen geht und hat mit Ski, Bindung, Helm und Fellen ein Gesamtportfolio auf den Markt gebracht, das viel Freude macht und sehr hochwertig ist (Skitourenschuh gibt es natürlich auch, aber da hatte ich noch nicht die Ehre). Und das noch Bessere daran: fast alle dieser Produkte sind „Made in Europe“ – ein Umstand, der für mich und ich denke auch für einige andere mittlerweile sehr wichtig geworden ist und immer öfter kaufentscheidend wird.


Tester: Stefan Lieb Lind



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