Seit mehr als vier Wochen sitzen Peter und ich jetzt schon hier am Baltoro Gletscher, in dieser kargen Bergwelt, die aus nichts außer Schnee, Eis und Fels besteht. Schwarz, grau und weiß sind die Farben, die hier dominieren. Auch der Himmel war die letzten zwei Wochen, seit wir hier im Chogolisa Basecamp angekommen sind, nur noch grau in grau.
Egal wie sehr ich diese Berge liebe, ich muss mir schön langsam eingestehen, dass diese unwirkliche Welt etwas feindliches an sich hat. In der Nacht sinken die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt und unter Tags steigen sie kaum darüber hinaus.
Jeder Tag beginnt mit Chapati und kalten Füßen und endet mit Reis und kalten Füßen. Ich sehne mich nach einer deftigen Mahlzeit, einer warmen Dusche und einem weichen Bett. Doch noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben auf den Gipfel der Chogolisa zu kommen, auch wenn die Motivation mittlerweile eine ganz andere ist, als noch vor unserer Expedition.
Die Chogolisa mit ihren 7.665 Metern ist kein Trango Tower und schon gar kein Cerro Torre. Sie ist ein trapezförmiger Schneeberg, klettertechnisch einfach und trotzdem ist der „schönste Dachfirst der Welt“, wie Fred Pressl, einer der Erstbesteiger der Chogolisa, sie 1975 beschrieb, „ein zähes Luder“.
Nachdem Peter und ich den Trango Tower bestiegen hatten und hier, in unserem neuen Basecamp ankamen, sahen wir in den riesigen, von Seracs durchzogenen und mit Neuschnee bestäubten Flanken jedoch weniger ein Luder, als einen Lehrmeister. Wir wollten nicht auf den Gipfel um einfach nur oben zu stehen oder um sagen zu können, wir waren auf über 7000 Metern. Wir wollten hinauf um uns zu spüren, für uns selbst herauszufinden wie wir uns dort oben fühlen würden, denn uns Beiden war klar, dass auch wenn es uns nicht um Höhenangaben geht und es nicht unser Ziel ist einmal im Leben am Everest zu stehen, so werden wir doch einiges an Höhenerfahrung brauchen, um unsere zukünftigen Kletterprojekte zu realisieren.
Bei unserem ersten Versuch stiegen Peter und ich in drei Tagen bis auf ungefähr 6800m auf, doch dann kippte plötzlich das Wetter. Wolken zogen über die Grate rechts von uns herein, es begann zu schneien und der Wind peitschte uns zurück in unser Basecamp.
Jetzt können wir es sehen, das Luder, von dem Fred Pressl damals sprach, denn unser eigentliches Ziel haben wir schon längst erreicht. Wir haben eine klare Vorstellung vom Klettern an hohen Bergen bekommen und doch lässt uns der Gipfel nicht los. Ich weis genau, dass ich nie wieder zu diesem Berg zurückkommen werde.
Diese monotone, anspruchslose Schneestapferei, die an diesem Berg gefordert wird, ist nichts für mich – was ich wirklich suche, werde ich hier nicht finden, doch kenne ich mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass wenn ich nicht alles versuche und mein Bestes gebe, ich spätestens Zuhause eine gewisse Art von Unzufriedenheit verspüren werde.
In zwei Tagen kommen unsere Träger. Sie werden unser Basecamp abbauen und mit unserem Material über den Gondogoro La, einen 5600m hohen Pass, in Richtung Zivilisation marschieren. Wir werden ihnen folgen, doch zuerst wollen Peter und ich noch einen letzten Versuch starten.
Bei schlechtem Wetter stapfen wir über den Gletscherboden zurück, bis unter die ersten steilen Flanken und als wir unser Zelt auf 5800m aufbauen kommt endlich das von Charly vorhergesagte Wetterfenster. Es hört auf zu schneien und am schwarzen Himmel beginnt ein Wettleuchten der Sterne.
Am nächsten Morgen steigen Peter und ich bis zu dem Punkt auf, an dem wir das letzte Mal umdrehen mussten. Für ein paar Stunden legen wir uns dort noch unter einen kleinen Serac, der uns Schutz vor dem eisigen Wind bietet. Dann, um Mitternacht, starten wir unseren Gipfelversuch. Der Schnee reicht uns bis zu den Hüften und macht das Spuren unglaublich anstrengend und zermürbend. Wir zählen unsere Schritte: Eins, zwei, drei,... Spätestens bei Zwanzig bleiben wir stehen, lehnen uns gegen unsere Stöcke oder legen uns in den Schnee.
Nach neun Stunden Quälerei stehen Peter und ich endlich am Gipfel. Wir schauen hinunter, über den Grat an dem die Bergsteigerlegende Herrmann Buhl zu Tode stürzte und lassen unsere Blicke weiter über das Panorama schweifen. Seit 1986 hat niemand mehr diesen Ausblick genießen können. Vor uns liegt ein Meer an Gipfeln – ein Meer an zukünftigen Zielen.
David Lama Karakoram Expedition 2012 - Climbing Chogolisa
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